Die Lobeshymnen auf den FC Bayern nach dem Triumph in der Champions League wollen gar nicht mehr enden, die Rede ist von einer goldenen Generation. Die Voraussetzungen dafür sind tatsächlich gegeben - eine Garantie auf Erfolg ist das aber noch lange nicht.

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Leistung ist planbar - Erfolg nicht. Der "Fussballprofessor" Ralf Rangnick geht mit diesen Bonmot gerne hausieren und er hat ja auch recht. Auch in der Champions League, dem wichtigsten und wohl auch besten Vereinswettbewerb der Welt, treten zwar 32 Mannschaften an, am Ende kann es aber auch dort nur einen Sieger geben.

Dem wird gerne konstatiert, alles richtig gemacht zu haben. Aber was ist dann mit dem grossen Rest? Alles falsch gemacht? In den entscheidenden Momenten versagt? Oder doch nur ein Spur weniger Glück gehabt?

Der FC Bayern muss sich um diese Debatten nicht scheren. Die Münchener sind ganz oben angelangt, "Champions of Europe", wie der Rekordmeister seine Follower in den sozialen Medien wissen lässt.

Auf dem langen Weg vom ersten Gruppenspiel gegen Roter Stern Belgrad im letzten September bis zum Finale gegen Paris Saint-Germain am letzten Sonntag haben die Bayern zahlreiche Bestmarken fabriziert, darunter elf Siege aus elf Spielen und den sagenhaften Toreschnitt von 3,9 pro Spiel. Man übertreibt nicht, wenn man den Triumph in der Königsklasse als hochverdient bezeichnet.

Besser geht's nicht, zumindest nicht für den Moment. Aber wenn man ganz oben ist, stellt sich automatisch auch die Frage, was danach noch kommen kann. Die Klub-WM, klar. Vielleicht auch der europäische Supercup.

Aber die Benchmark, wie Karl-Heinz Rummenigge sagen würde, bleibt die Champions League. In in dieser ist es seit Einführung des Wettbewerbs 1992 erst einer einzigen Mannschaft überhaupt gelungen, den Titel zu verteidigen: Real Madrid schaffte das Kunststück 2018. Die 2001er-Bayern und ihre Nachfolger von 2013 scheiterten an dieser Hürde.

Die Besten aller Zeiten? Vielleicht

Nun sind Statistiken wie diese aber auch dazu da, irgendwann aktualisiert zu werden. Die These, die nach dieser Saison umhergeistert, ist die, dass der FC Bayern in den kommenden Jahren unschlagbar sei.

Das erinnert fatal an Franz Beckenbauer und dessen Einschätzung der deutschen Nationalmannschaft nach dem WM-Sieg 1990, als sich der Teamchef auf dem Gipfel und eingedenk der Tatsache, dass bald ja auch noch die Stars aus der ehemaligen DDR die Mannschaft verstärken würden, hinreissen liess und damit böse auf die Nase fiel: Nur zwei Jahre später besiegte "die Truppe vom Strand" aus Dänemark die übermächtigen Deutschen im EM-Finale.

Aussagen, die in grösster Euphorie getätigt werden, sollte man grundsätzlich eher misstrauisch begegnen. Bei den Bayern deutet allerdings einiges darauf hin, dass der Triumph von Lissabon erst der Beginn einer grösseren Episode werden könnte.

Alle grossen Siegermannschaften, auch jene der Bayern, hatten etwas Einzigartiges in ihrer Zeit. Die Bayern der 70er waren erst jung und hungrig, dann erfahren und routiniert und sie hatten in jedem Mannschaftsteil den jeweils besten Spieler der Welt in ihren Reihen.

Die Bayern der Jahrtausendwende waren ein eingeschworener Haufen, angetrieben vom Finaltrauma 1999 und dirigiert von der eisernen Disziplin Ottmar Hitzfelds. Das war kein schöner Fussball, aber er war erfolgreich. Erfolgreich und stilbildend marschierte die letzte grosse Mannschaft 2013 zum Triple, Jupp Heynckes' Ensemble brachte das Beste aus allen Welten zusammen.

Eine einzige Entscheidung bringt die Wende

Was damals allerdings ganz anders war: Nach dem verlorenen "Finale dahoam" 2012 rüsteten die Münchener auf allen Ebenen noch einmal auf, holten Spieler und Funktionäre dazu, um endlich ans Ziel zu gelangen. Das Niveau war schon da, es musste "nur" noch einmal angepasst und verfeinert werden.

Im letzten Sommer dagegen wähnte sich die nationale und internationale Konkurrenz fast schon in Sicherheit vor den Über-Bayern. Mit Arjen Robben und Franck Ribery verliessen zwei der prägenden Köpfe der letzten Dekade den Klub, auch Mats Hummels ging wieder von Bord.

Die zuvor schon initiierten Umwälzungen im Kader bekamen dadurch noch einmal eine ganz neue Qualität. Mit dem nicht unumstrittenen Trainer Niko Kovac bot sich eine Angriffsfläche und im Herbst hatte es tatsächlich den Anschein, die Bayern würden an ihrem Umbruch lange zu knabbern haben.

Eine einzige Entscheidung - Kovacs Demission und die Inthronisierung von Hansi Flick - war dann der Wendepunkt. Und nun, nach dem Triple, nach Flicks Meisterleistung im Rekordtempo, ist von den Nachwehen des Umbruchs nichts mehr zu sehen. Darin liegt die eigentliche Leistung der Saison und ein ganz entscheidender Wettbewerbsvorteil.

Viele Konkurrenten vor dem Neustart

Denn während die Bayern in diesem Sommer allenfalls kosmetische Korrekturen an ihrem Kader vornehmen müssen, haben einige der grössten Kontrahenten mit massiven Einschnitten auf allen Ebenen zu kämpfen.

Der FC Barcelona benötigt einen womöglich radikalen Neustart, Real Madrid wird nach zwei enttäuschend frühen Ausscheiden in der Champions League auch einiges verändern müssen. Der FC Chelsea kauft sich im Moment eine völlig neue Mannschaft zusammen, Juventus Turin wagt es ab sofort mit dem Trainerneuling Andrea Pirlo, sogar Atlético Madrid wirkte in vielen Momenten etwas Diego-Simeone-müde.

Bleiben noch Manchester City, PSG und selbstverständlich der FC Liverpool. Paris ist trotz der Niederlage im Finale nun gefühlt angekommen im engsten Zirkel und wird wie Manchester auch im Zweifel ein bisschen Geld aus dem Nahen Osten beschaffen können, um es mal wieder zu versuchen.

Liverpools Ausscheiden gegen Atlético war zudem eher ein Ausrutscher. Jürgen Klopps Mannschaft hat ähnliche Voraussetzungen wie jene der Bayern. Und wenn dann unter Umständen noch Thiago von einer roten Maschine zur anderen wechselt …

Super Kader, super Trainer

Die Bayern jedenfalls behalten ihr Gerüst aber wohl. Lediglich Javi Martinez wird die Münchener nach acht Jahren verlassen, was mit Jerome Boateng passiert, ist ebenfalls offen. Manuel Neuer, David Alaba und Thomas Müller sollen als Korsettstangen bleiben - wobei Alabas Zukunft auch nach Monaten immer noch nicht geklärt ist.

Der Österreicher ist nun auf neuer Position, als Abwehrchef und einer der Anführer der Mannschaft und eines der Gesichter des Triples in einer herausragenden Verhandlungsposition. Beide Seiten sind aber guter Dinge, dass die Zusammenarbeit fortgesetzt wird.

Mit Leroy Sané kommt zudem einer der besten Tempodribbler der Welt und der erst 18-jährige Innenverteidiger Tanguy Nianzou, den die Bayern vor Kurzem holten, gilt selbst im von Talenten verwöhnten Frankreich als einer der Besten auf seiner Position. Und dann ist da ja noch Lucas Hernandez, 80 Millionen Euro schwer und in der abgelaufenen, seiner ersten, Saison bei den Bayern lediglich ein Rollenspieler. Der aber schon bald für grössere Aufgaben bestimmt ist.

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