Gemessen an ihren Einnahmen müsste die schwerreiche Premier League das Nonplusultra im Fussball sein - eigentlich. Doch nach dem Scheitern des FC Chelsea stehen auch der FC Arsenal und Meister Manchester City vor dem Aus in der Champions League. In England wächst die Kritik am milliardenteuren Geschäftsmodell.
AFC Bournemouth. AFC wer? Bournemouth! Dieser Klub verdient voraussichtlich bald doppelt so viel wie der FC Bayern München oder Borussia Dortmund in der Bundesliga. Zumindest bei den TV-Einnahmen. Bournemouth ist Erster der zweiten englischen Liga, der Football League Championship - und wird sehr wahrscheinlich ab Sommer in der Premier League gegen den Abstieg spielen.
Was aberwitzig klingt, ist in England dank des 7,2 Milliarden Euro schweren Fernsehvertrags für die kommenden drei Jahre Realität. Zum Vergleich: Die Bundesliga wird in der Saison 2016/17 geschätzt 835 Millionen Euro an Fernsehgeldern einnehmen. Das Geschäftsmodell spült zwar noch nie dagewesene Summen in die Kassen der englischen Klubs - mehr als 14 Millionen Euro pro Spiel. Doch England hat sich mit der Premier League keinen Gefallen getan, sagen Kritiker. Und ihre Zahl wächst. Sie sehen sich vom aktuellen Abschneiden englischer Mannschaften in der Champions League bestätigt. Der Premier League droht auf internationaler Ebene das Total-Versagen.
"Das ist ein Witz"
Der FC Liverpool schied bereits nach der Vorrunde aus der Königsklasse aus, scheiterte dann im Sechzehntelfinale der Europa League direkt an Besiktas Istanbul. Vergangene Woche erwischte es den FC Chelsea um Startrainer José Mourinho gegen Paris St Germain. Und nun stehen auch der FC Arsenal (Heute, 20:45 Uhr live bei Sky) nach der 1:3-Hinspiel-Pleite beim AS Monaco und Meister Manchester City (Mittwoch, 20:45 Uhr live bei Sky) nach dem 0:1 zu Hause beim FC Barcelona im Achtelfinale der Champions League vor dem Aus.
"Die Premier League die stärkste Liga der Welt? Das ist ein Witz", schrieb die "Sun" zuletzt. Die Boulevardzeitung ist die Nummer eins der englischsprachigen Tageszeitungen in Europa. Sie schreibt über polarisierende Themen, Missstände, die die Menschen auf der Insel bewegen. Und so lässt sie keine Gelegenheit aus, um dem Eliteprojekt des englischen Sports die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit vorzuhalten. In der Bevölkerung trifft sie damit voll ins Schwarze. "Die Premier League hat dem englischen Fussball nicht gut getan. In keiner Weise. Ja, sie generiert jede Menge Geld, aber steht es deshalb besser um den Fussball? Nein!", sagt Andy Walsh, Präsident des Siebtligisten F.C. United of Manchester, in einem Interview dem "auslandsjournal" des "ZDF". "Es ist viel teurer geworden, ins Stadion zu gehen. Und das englische Nationalteam tritt auf der Stelle."
Ist die Transferpolitik verantwortlich?
Exorbitant steigende Ticketpreise betreffen die Millionen Fussballanhänger unmittelbar. Die Sorge um die Nationalmannschaft eint viele von ihnen zudem. In Brasilien schied England erstmals seit 56 Jahren bereits in der Vorrunde einer WM aus. Viele machen die Transferpolitik der schwerreichen Klubs dafür verantwortlich. Die Teams aus Manchester und London investieren lieber in ausländische Stars, als dass sie einheimische Talente fördern oder diesen überhaupt eine Chance geben. Mit vielen Jahren Verspätung im Vergleich zu Deutschland setzen die Klubs unterhalb der Premier League zwar auf Jugendakademien. Die meisten ihrer Talente werden es aber erst gar nicht bis ins Oberhaus schaffen.
Das erklärt, weshalb es in der Nationalmannschaft nicht läuft, aber warum hinken die englischen Klubs auch in der Champions League hinterher? Edin Dzeko, der bei Manchester City unter Vertrag steht, hat folgende Erklärung. "In allen anderen Ligen ist ein grosses Loch zwischen den Top-Teams und dem Rest. Da kämpfen ein, zwei oder vielleicht drei Teams um den Titel", sagt er "Goal.com". "In England sind es sechs oder sieben Teams, die Meister werden können und ausserdem können die Teams von unten die Top-Teams schlagen". Deshalb würden englische Teams manchmal auf europäischem Boden scheitern. In der Premier League sei jedes Spiel hart. Man könne die Spieler nicht ausruhen lassen, weil man immer mit voller Stärke spielen müsse, meint der Stürmer.
Eine Erklärung, die jedoch nur an der Oberfläche kratzt. Tatsächlich muss man in Teilen wohl auch die Trainer wie Jose Mourinho, Arsene Wenger oder Louis van Gaal verantwortlich machen, die in ihren Spielsystemen oft zu festgefahren wirken. Und die als Manager ihres Vereins auch für die oft verfehlte Transferpolitik gerade stehen müssen. Das viele Geld wird häufig lieber in vermeintlich grosse, ausländische Namen als in einen in der breite schlagkräftigen Kader investiert. Das ist von Trainern und Geldgebern zu kurzfristig gedacht und macht sich im Kräfteverschleiss der Spieler zwangsläufig irgendwann bemerkbar.
Ein absurdes Geschäftsgebaren
Der immense Druck in der ersten Liga verleitet zudem zu Aktionismus. So verbannte Manchester United jüngst Stürmerstar Radamel Falcao wegen eines Leistungstiefs in die zweite Mannschaft. Dabei kam der 29 Jahre alte Kolumbianer im vergangenen Sommer für eine Leihgebühr (!) von 7,6 Millionen Euro für eine Saison zum Rekordmeister.
Nicht wenige nennen dieses Geschäftsgebaren absurd. "Die reichen Klubs werden immer reicher, weil sie von reichen Leuten finanziert werden, denen es nicht nur darum geht, Geld zu machen. In unserer Liga zählt die Liebe zur Region und zum Verein", meinte Norman Smurthwaite, Präsident des DrittligaKlubs Port Vale FC, im "auslandsjournal". "Bei einem Klub wie Chelsea ist das anders. Das ist, wie eine Gucci-Handtasche zu besitzen." Viele Fans können nicht verstehen, warum die Klubs bei den Abermillionen international nicht liefern
Fussballprofis kassieren ab
Nationalspieler Wayne Rooney ist mit 425.000 Euro pro Woche der Spitzenverdiener der Liga. Bundesliga-Star Marco Reus bekommt nach seiner Vertragsverlängerung in Dortmund dem Vernehmen nach 154.000 Euro pro Woche. Wer von beiden der bessere Fussballer ist, bleibt jedem Fussballfan selbst überlassen.
In England regt sich aber vor allem deshalb harsche Kritik, weil die Fussballprofis mächtig abkassieren, während das weitere Personal der Klubs mitunter gerade so über die Runden kommt. So verdienen zum Beispiel gut ausgebildete Mitarbeiter im Gastrobereich weniger als das sogenannte "living wage". Dieser "Existenzlohn" soll Berufstätigen ein überschaubar erträgliches Leben im extrem teuren London sichern. Der FC Arsenal weigert sich bis heute, entsprechende Beträge auszuzahlen. Die Kluft zwischen Anhängern und Klubs wird immer grösser. Wohl nur ein unerwartetes Weiterkommen der beiden verbliebenen Teams in der Champions League kann dagegen wirken - zumindest vorübergehend.
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