Barcelona? Liverpool? Amsterdam? Tottenham? Die Rollenverteilung vor den Halbfinalspielen der Champions League scheint klar, die Favoritenrolle liegt bei den beiden Grössen der Branche. Das CL-Powerranking.

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Die Zeit vor den ganz grossen Spielen ist auch immer die Zeit für den ganz grossen Pathos. "Bis zur Unendlichkeit und noch weiter" sollen die Träume der Tottenham Hotspur reichen, das sagt zumindest ihr Trainer Mauricio Pochettino.

"Wir müssen uns Träume setzen, ohne Träume erreichst du kein einziges Ziel." Deshalb der etwas schräge Vergleich mit der Reise zum Himmel, den der Argentinier auf der Pressekonferenz vor dem Spiel bei Ajax Amsterdam im Halbfinale der Champions League bemühte. Den Spurs-Fans dagegen würde schon ein Ausflug nach Madrid genügen - dort steigt am 1. Juni das Finale der Königsklasse.

Das Estadio Metropolitano ist der Sehnsuchtsort der vier verbliebenen Teilnehmer, von denen zumindest ein vermeintlicher Aussenseiter es tatsächlich ins Endspiel schaffen wird.

Die Partie von Pochettinos Spurs und Ajax gilt als Duell der Überraschungsmannschaften, während mit dem FC Barcelona und dem FC Liverpool zwei Schwergewichte des europäischen Fussballs aufeinandertreffen.

Einen "echten" Favoriten gibt es weder in beiden Duellen noch in der Frage, wer denn nun das stärkste Team des Kontinents stellt in dieser Saison. Aber es gibt ein paar Indizien, zusammengefasst im grossen Powerranking unserer Redaktion.

Platz 4: Tottenham Hotspur

Die Spurs haben mit Borussia Dortmund den damaligen Tabellenführer der Bundesliga und danach mit Manchester City den aktuellen Tabellenführer der Premier League rausgeworfen - und das als Last-Minute-Gast in der K.o.-Runde: Die Spurs waren in der Gruppenphase nach einem Pünktchen aus den ersten drei Spielen quasi schon raus, der angeschlagene PSV Eindhoven rettete Pochettinos Team am letzten Spieltag mit einem Remis bei Inter doch noch irgendwie in die K.o.-Phase. Seitdem schreibt Tottenham sein ganz eigenes Märchen.

Auf dem Weg ins Halbfinale haben sich die Spurs als besonders widerstandsfähig gezeigt, etliche Täler durchschritten und mit einer Mischung aus Geschick und Glück den grössten Erfolg der Klubgeschichte realisiert.

Die Mannschaft hat eine rotzige Mentalität entwickelt, die selbst die Ausfälle der wichtigsten Spieler Harry Kane, Heung-Min Son oder von Dele Alli kompensieren konnte.

Kane fällt wegen einer Knöchelverletzung weiter aus, Son muss wegen einer Gelbsperre im Hinspiel in London pausieren. Immerhin steht die Abwehr wieder. Gegen City war es schon enorm eng, jede Menge Spielglück und ein paar knappe Schiedsrichterentscheidungen fielen für die Spurs aus, die dann aber auch eiskalt zuschlugen.

Jetzt wird die Luft aber noch dünner und der Ausfall der beiden gefährlichsten Angreifer dürfte nur schwer aufzufangen sein. Tottenham hat von der Papierform die schwächste Mannschaft und auch keinen Lauf. Vielleicht reicht es auch gegen Ajax im Halbfinale noch irgendwie - die Chancen auf den ganz grossen Wurf dürften aber sehr überschaubar sein.

Platz 3: Ajax Amsterdam

Die Mannschaft, die wenigstens ein bisschen Romantik zurück in die Königsklasse gebracht hat. Mit einer vergleichsweise "Low-Budget-Truppe" trotzt Ajax den Grosskalibern, hat in den sechs Spielen gegen die Bayern, Real Madrid und Juventus nur ein einziges verloren und Real und Juventus mit teilweise berauschendem Fussball für diese Saison in den Ruhestand geschickt.

Spieler wie Matthijs de Ligt, Frenkie de Jong, Hakim Ziyech, Dusan Tadic oder Donny van de Beek haben ihren Durchbruch in dieser Saison geschafft, Trainer Erik ten Hag ein Kollektiv gebastelt, das in der Offensive auf der Welt derzeit seinesgleichen sucht. Ajax schiesst in drei Wettbewerben alles kurz und klein, hat dabei unglaubliche 160 Pflichtspieltore erzielt.

Die nahezu perfekte Mischung aus Ballbesitz- und Gegenpressingmomenten, gepaart mit Geschwindigkeit und Kreativität macht Ajax zur aufregendsten Mannschaft des Wettbewerbs. Und die Niederländer sind im Flow, scheinen eine gute Balance aus Zurückhaltung und Selbstbewusstsein gefunden zu haben.

Die Eredivisie zeigte sich solidarisch und verlegte den Spieltag am letzten Wochenende - damit Ajax ausgeruht ins erste Halbfinale mit den Spurs gehen kann.

Gegen die Londoner dürfte ten Hags Mannschaft sogar leicht favorisiert sein, in einem möglichen Finale aber dann doch zu unerfahren, um die Sensation zu schaffen. Für die meisten Spieler im Kader sind ein Halbfinale oder Finale noch Neuland, wenngleich einige schon vor zwei Jahren in der Europa League nah dran waren am Titel.

Die Königsklasse ist aber nochmal eine andere Hausnummer. Ajax bleibt eine reelle Aussenseiterchance, mehr aber auch nicht.

Platz 2: FC Liverpool

Nach dem Brocken FC Bayern bekamen die Reds mit dem FC Porto den leichtesten Gegner im Viertelfinale zugelost und lösten die Aufgabe in aller Souveränität. Jürgen Klopps Mannschaft ist die beste in Sachen Pressing und Gegenpressing und offensivem Umschalten, kein Team ist schneller im Kopf und mit den Beinen als der FC Liverpool.

Die Geschwindigkeit ist Liverpools ganz grosse Stärke, das Sturm-Trio Sadio Mane, Roberto Firmino und Mo Salah das beste der Welt. Dahinter sichert der unterschätzte Jordan Henderson ab und im Abwehrzentrum steht der von den Spielerkollegen zum "Spieler der Saison" gewählte Virgil van Dijk wie eine Wand.

Das ist die heimliche Waffe der Reds: Die Offensive überstrahlt alles, im Grunde gewinnt Klopps Mannschaft die Spiele aber mit einer überragenden Defensive. Erst 20 Tore in 36 Ligaspielen und neun in zehn Champions-League-Partien, unter anderem in sechs Spielen gegen die Bayern, Paris St.-Germain und Napoli, sind Zeugnis der Liverpooler Defensivstärke.

Dazu spielt die Mannschaft so geradlinig und schnörkellos wie keine andere Mannschaft nach vorne und kann eine Wucht entwickeln, die einzigartig ist - gerade in den Heimspielen an der Anfield Road.

Das Problem: Zwei der möglichen drei Spiele finden definitiv auswärts statt. Und es gibt Schwachstellen in der Mannschaft, die in der Spitze zwar absolute Weltklasse verkörpert, aber nicht immer besonders homogen erscheint.

Joel Matip gilt als Wackelkandidat, die Kadertiefe gibt bei Ausfällen wichtiger Stammspieler nicht das nötige Niveau her. Und: Klopp hat seine Mannschaften bisher zwar immer wieder in Finalspiele führen, aber nur ein einziges bisher auch gewinnen können.

2012 mit Borussia Dortmund im DFB-Pokal gegen die Bayern. Danach: Zwei Niederlagen im Champions-League-Finale, eine im Europa-League-Finale, eine im englischen Ligapokal…

Platz 1: FC Barcelona

"In welcher Mannschaft spielt Lionel Messi? Diese Mannschaft ist der grosse Favorit!" Pep Guardiolas Bonmot ist zwar schon zwei Jahre alt, besitzt aber immer noch seine Gültigkeit.

Trotz den Salahs, Sons und Tadic‘ gibt es keinen besseren Unterschiedsspieler auf der Welt als Leo Messi. Und weil die restlichen zehn Barca-Spieler bisweilen auch ganz gut sind, dürften die Katalanen aus dem Quartett die besten Chancen auf den Henkelpott haben.

Barca marschiert bisher wie ein Uhrwerk durch den Wettbewerb, ist als einzige Mannschaft noch immer ungeschlagen, hat in der K.o.-Phase erst Lyon, dann Manchester United im Vorbeigehen eliminiert, die einen in der Addition beider Spiele mit 5:1, die anderen sogar mit 5:0.

Barca wackelte zwar auch in ein paar Sequenzen, hatte gerade gegen Lyon ein paar knifflige Momente zu überstehen. Aber dann eben Messi, der in nur sechs Spielen in dieser Saison schon acht Tore erzielt hat und ziemlich wahrscheinlich mal wieder Torschützenkönig der Champions League wird.

Bei Barca stimmt das Gesamtpaket, die Mannschaft ist über Jahre gewachsen und aufeinander abgestimmt. Die Balance aus Angriffswucht und erdrückendem Pressing ist überragend.

Mit Marc-Andre ter Stegen steht der derzeit wohl beste Keeper der Welt im Tor, Spieler wie Gerard Pique, Jordi Alba, Sergi Busquets, Ivan Rakitic oder Luis Suarez wissen, wie man die Champions League gewinnt. Und über allen thront Messi.

Barca hat den nationalen Meistertitel schon im Sack, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil im Halbfinale gegen Liverpool ist, die kämpfen in der Premier League gegen ManCity um die erste Meisterschaft seit 29 Jahren - was für die meisten Pool-Fans noch wichtiger wäre als ein Triumph in der Königsklasse.

Barcelona hat das beste Setup, den besten Spieler und die meiste Erfahrung und ist deshalb unter vier starken Mannschaften so etwas wie der Favorit.

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