• Die Diskussionen um das abgebrochene Interview von Toni Kroos gehen auch zwei Tage nach dem Champions-League-Triumph von Real Madrid weiter.
  • Unser Kolumnist Olaf Thon hat eine sehr deutliche Meinung zu der Situation.
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Ich habe mir schon bei der ersten Frage, die darauf abzielte, dass Liverpool ja besser gewesen sei, gedacht: oh, oh. Toni Kroos gewinnt zum fünften Mal die Champions League – und am Ende auch verdient, denn Real-Torwart Thibaut Courtois hätte an dem Tag auch in einer Verlängerung jeden Ball gehalten – aber es war natürlich knapp. Und da ist es kein Wunder, dass er gereizt ist.

Das ist immer das Problem eines Interviews kurz nach dem Spiel, dass da die Emotionen blank liegen. Normalerweise muss man als Journalist spätestens nach der zweiten Frage gemerkt haben, dass das Interview besser auf den Triumph abzielen sollte: Mensch, fünfter CL-Sieg! Er hätte ihn über den grünen Klee loben müssen. Meiner Meinung nach wäre es am besten gewesen, er hätte ihn nach dem Spiel in den Arm genommen, hätte ihn gedrückt und ihm gratuliert. Der ZDF-Journalist Nils Kaben wäre in die Geschichte eingegangen und Toni Kroos wäre zufrieden gewesen.

Das ist eine ganz sensible Geschichte, kurz nach so einem Spiel Fragen zu stellen und wirklich eine grosse Kunst, mit den Fussballern umzugehen. Denn Fussballer sind keine einfachen Menschen.

Ein Journalist darf auch mal über Grenzen gehen

Man muss doch mal den Gefühlen freien Lauf lassen. Die beiden haben sich geduzt, es ist also davon auszugehen, dass sich die beiden kennen. Und ich finde, dann darf auch ein Journalist mal über Grenzen gehen und Sympathie anbringen. Genau das hätte Toni Kroos erwartet, doch der Journalist hat bei ihm nicht den richtigen Knopf gedrückt.

Dennoch müssen Field Interviews nach dem Spiel sein. Das gehört einfach dazu. Ich finde es auch nicht schlimm, was da passiert ist. Toni Kroos hätte nur nicht abrupt gehen dürfen, sondern hätte sagen können: "Komm, lass uns nochmal neu anfangen. Wir haben hier Grosses erreicht. Darüber möchte ich sprechen."

Toni Kroos ist der Allergrösste

Aber das sind eben Emotionen und am Ende reden wir gerade alle drüber. Das macht die Sache auch irgendwie wieder charmant und zeigt deutlich, dass Toni Kroos der Allergrösste ist. Er hat fünfmal die Champions League gewonnen, das wird so schnell keinem anderen Deutschen gelingen. Ich habe ihn - und auch Bastian Schweinsteiger - öfter scharf kritisiert, weil die beiden anders gespielt haben, als ich das gerne gesehen hätte. Man muss aber akzeptieren, dass beide besondere Spieler sind, die man auch mal kritisieren darf. Aber im richtigen Moment muss man sie über den grünen Klee loben.

Dabei empfinde ich die deutschen Journalisten nicht zwingend als kritischer, wie Toni Kroos das impliziert hat. Vor allem die Südeuropäer sind zwar im Erfolgsfall emotionaler für den Protagonisten, schlagen aber im Fall einer Niederlage noch tiefer in die Magengrube. Wir Deutschen versuchen oft diesen Mittelweg zu gehen, bei dem wir auch im Falle eines Sieges noch ein Haar in der Suppe finden.

Ich glaube, Toni Kroos hätte souveräner reagieren können, aber auch der Journalist wird etwas daraus gelernt haben. Am Ende haben jedenfalls beide etwas für ihre Popularität getan.

Protokoll von Sabrina Schäfer
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