Der Glanz früherer Jahre ist beim FC Barcelona verblasst. Bayern München trifft im Viertelfinale der Champions League auf einen Gegner auf der Suche nach seiner Identität, mit mehr Problemen als Lösungen - aber eben auch mit Lionel Messi.

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Was waren das schon für sagenhafte Duelle zwischen dem FC Bayern und dem FC Barcelona: Das legendäre 2:1 der Münchener 1996 im Camp Nou, der Meilenstein auf dem Weg zum späteren Europapokaltriumph.

Das vernichtende 0:4 an selber Stelle für die Bayern 13 Jahre später, das den Anfang vom Ende für Trainer Jürgen Klinsmann bedeutete.

Die beiden Demütigungen für Barca dann weitere vier Jahre später innerhalb von nur neun Tagen, erst ein 0:4 in München, dann ein 0:3 zu Hause im Camp Nou - auch das eine Spielrunde für die Ewigkeit, holten die Bayern doch ein paar Wochen später das erste und bisher einzige Triple der Klubgeschichte.

FC Barcelona gegen FC Bayern: Viertelfinale der Giganten

Nun treffen diese Giganten des europäischen Fussballs erneut aufeinander, diesmal sogar noch eine Runde früher als in den letzten beiden Vergleichen, als jeweils ein Finalteilnehmer ermittelt werden musste.

Das Viertelfinale dieser besonderen Champions-League-Saison führt die Bayern und Barca mal wieder zusammen - so klar wie vor der Partie am Freitag (21:00 Uhr, live bei uns im Ticker) im Stadio da Luz in Lissabon schienen die Rollen aber noch nie verteilt.

Die Bayern sind in einer geradezu beängstigenden Form. Wer nach der zweiten grösseren Pause in der Saison nach dem DFB-Pokal-Finale befürchtet oder vielleicht gehofft hatte, die Bayern würden Probleme bekommen, sah sich getäuscht.

Das 4:1 im Rückspiel gegen den FC Chelsea war nicht nur der 18. Pflichtspielsieg in Folge und eine Demonstration der Stärke, sondern auch ein Signal an die Konkurrenz: Der Weg zum Titel führt in dieser Saison nur über die Bayern.

Schlechteste Barca-Saison seit zwölf Jahren

Normalerweise würden die Münchener nun auf einen Gegner zumindest auf Augenhöhe treffen. Die Lage beim FC Barcelona ist allerdings verheerend. Kataloniens Stolz hat eine für seine Verhältnisse furchtbare Saison hinter sich.

82 Punkte, so wenige wie seit zwölf Jahren nicht mehr, reichten am Ende nur zur Vizemeisterschaft, in der Copa del Rey flog Barca im Halbfinale raus. Es droht die erste Spielzeit ohne Titel seit 2008. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Das Barca aus der Guardiola-Blütezeit wurde nach und nach abgewirtschaftet. Vom ehemals ausserirdischen Fussball ist kaum noch etwas geblieben. Die Mannschaft präsentiert sich wie eine Ansammlung guter bis sehr guter Spieler, der eine oder andere noch etwas zu jung, ein paar Akteure schon etwas über ihrem Zenit.

Es entwickelt sich aber seit einiger Zeit daraus kein Kollektiv mehr, die Mannschaftsteile greifen immer weniger ineinander, weder inhaltlich noch gruppendynamisch.

"Ich glaube, dass wir als Mannschaft etwas mehr vom Teamgeist leben als Barcelona", sagte Bayerns Vorstandboss Karl-Heinz Rummenigge in einem Interview mit der "Abendzeitung". Vom Ballbesitzfussball und totaler Dominanz sind allenfalls noch Versatzstücke übrig geblieben, das Pressing der Mannschaft - unter Pep Guardiola der Schlüssel zum Erfolg und das beste der Welt - ist absolut handelsüblich geworden und selbst für mittelprächtige Gegner leicht zu knacken.

Faktisch presst Barcelona ohnehin nicht mit elf, sondern mit zehn, oft genug sogar nur mit neun Spielern. Lionel Messi und auch Luis Suarez sind als erste Pressinglinie kaum der Rede wert. Die Arbeit bleibt an den Kollegen dahinter hängen, was auf diesem Niveau im Weltfussball an sich schon ein ziemlicher Wahnsinn ist.

Und weil Trainer Quique Setien, im Januar erst für den letztlich glücklosen Ernesto Valverde gekommen, bis heute keinen Plan B entwickeln konnte, ist Barcas Spiel gegen den Ball ausserordentlich verwundbar.

Lionel Messi ist der Schlüssel

Setien sollte eigentlich endlich wieder so etwas wie eine klare Spielkultur vermitteln. Kriterien, die an den reinen FC Barcelona erinnern sollen: Ballbesitz, Kontrolle, Kreativität, Spielfluss, Spielfreude.

Zu sehen ist davon auch ein halbes Jahr später fast gar nichts. Stattdessen gab und gibt es dauerhaften Zoff unter den Spieler, zwischen der Mannschaft und Sportdirektor Eric Abidal, zwischen der Mannschaft und dem Trainer, zwischen der Mannschaft und Co-Trainer Eder Sarabia.

Sogar Gerüchte um einen Abgang des ewigen Messi halten sich hartnäckig. Es knirscht und knarzt überall bei den Katalanen, nicht nur sportlich, sondern auch zwischenmenschlich.

Zudem wurden in den letzten Jahren auch zu viele teure Fehlentscheidungen getroffen. Nach Coutinho, der sich zu einem 150-Millionen-Euro-Missverständnis entwickelte, floppt in seiner ersten Saison bisher auch Antoine Griezmann. 120 Millionen Euro flossen im letzten Sommer von Barcelona nach Madrid, der sportliche Gegenwert ist bisher fast gleich null.

Griezmann bewegt sich wie ein Fremdkörper in Barcas Reihen, hat keinen Anschluss zum Spiel. Dann und wann blitzt seine individuelle Klasse auf, ein orchestriertes Miteinander zusammen mit Suarez und Messi ist aber die Ausnahme.

Im Prinzip steht und fällt mehr denn je jeder einzelne Erfolg der Katalanen mit Lionel Messi. Erwischt der einen guten Tag, zittern sie alle - auch die Bayern. Rummenigge musste wohl nicht Stunden im Videokeller verbringen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass "Barcelonas bester Spieler eindeutig Lionel Messi ist. Wenn er gut drauf ist, zieht er die ganze Mannschaft mit hoch. Es wird das Wichtigste sein, dass wir Messi gut kontrollieren."

Die Bayern gehen dessen ungeachtet als klarer Favorit in das Spiel in Lissabon. In eben diesem einen Spiel liegt aber vermutlich auch die grösste Gefahr für die Bayern: Im eigentlichen Modus mit Hin- und Rückspiel wären die Bayern in ihrer überragenden Verfassung von diesem Barcelona kaum zu bezwingen. In nur einem K.-o.-Spiel aber ist bei einem entsprechenden Spielverlauf auch für den Aussenseiter einiges möglich.

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