Kein Müller, kein Ribéry, dafür ein 0:1 gegen Atlético: Die Bayern könnten zum dritten Mal in Folge den Einzug ins Champions-League-Finale verpassen. Trainer Pep Guardiola steht wegen seiner Personalentscheidungen im Fokus - ein echter Vorwurf lässt sich daraus aber nicht ableiten. Doch was lief dann in Madrid falsch?

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Von den vielen wichtigen und weniger wichtigen Statistiken, die so ein Fussballspiel in Zahlen zusammenfassen, ist diese eine vielleicht die bedeutsamste: "You have to win Zweikampf", lautet ein fast schon vergessenes Bonmot des ehemaligen Müncheners Bixente Lizarazu. Sonst gewinnst du gar nichts.

Zweikampfschwacher FC Bayern

Der FC Bayern hat im Champions-League-Hinspiel bei Atlético Madrid nicht nur deutlich zu wenige Zweikämpfe gewonnen - am Ende waren es nur magere 41 Prozent - er hat vor allen Dingen auch die wichtigen verloren. Zum Beispiel je fünf am Stück unmittelbar vor dem einzigen Treffer des Abends durch Saul Niguez.

Durch vier Bayern-Spieler spazierte Niguez relativ unbehelligt. Und es war wohl eine Fügung des Schicksals, dass ausgerechnet die an diesem Abend schwächsten Bayern, Thiago Alcantara und Juan Bernat, dem Treiben frühzeitig ein Ende hätten setzen können – es aber nicht vollbrachten.

Thiago lief den späteren Torschützen von der Seite statt frontal an, Bernat wollte in der gefährlichen Zone kein Foulspiel begehen. Der Rest ist bekannt und lässt die Bayern nun um den Einzug ins Finale bangen.

Warum die beiden aktuell formschwachen Spanier in einem solch wichtigen Spiel beginnen durften und stattdessen Thomas Müller (wegen Thiago) und Joshua Kimmich (wegen Bernat) nur auf der Bank sassen, war eine der grossen Fragen an diesem grossen Abend im Vicente Calderon.

"Müller spielt immer", hat es Louis van Gaal einmal prägnant formuliert. Gerade in den grossen Spielen. Guardiola aber hatte einen anderen Einfall.

Verzicht auf Müller ein Fehler?

Von Sonntag bis einschliesslich Mittwoch hatten die Bayern in etlichen Videoschulungen den Gegner in seine Einzelteile zerlegt - virtuell, am Computer. Daraus resultierten Pep Guardiolas Ideen, wie er dem bärenstarken Gegner in dessen eigenem Stadion Herr werden wollte.

Ohne Müller, ohne Kimmich und ohne den zuletzt ganz ordentlich aufgelegten Franck Ribéry. Guardiolas Plan war der von der Spiel- und Ballkontrolle und der vom Tempo auf den Flügeln.

"Ich wollte einen Linksfuss auf links und einen Rechtsfuss auf rechts haben", erklärte er nach dem Spiel. Also stellte er mit Douglas Costa (links) und Kingsley Coman (rechts) auch entsprechend auf. "Und ich wollte einen Mittelfeldspieler mehr haben. Wir wollten so mehr Kontrolle haben und Chancen kreieren."

Müller, in Guardiolas Verständnis kein zentraler Mittelfeldspieler, musste deshalb weichen, Thiago bekam den Vorzug. "In dieser Konstellation, in einem Hinspiel: Lieber einen Mittelfeldspieler mehr", verdeutlichte Guardiola zur Sicherheit nochmals.

Die Idee, mit Costa und Coman auf den Aussen Tempo und Spritzigkeit ins Spiel zu bringen, ging kaum einmal auf. Die Bayern verlagerten die Bälle zu langsam, sodass sich kaum einmal Eins-gegen-Eins-Situationen für die Sprinter auftaten.

Die Flügel waren komplett blockiert, die Bayern hatten weder Tempo noch Tiefe im Spiel. Erst als die Münchener die Halbräume für sich entdeckten und auch mal vom Flügel zur Mitte zogen, wurde es gefährlich.

Eine Frage der Einstellung

Da stand es längst 0:1. Weil die Mannschaft in der Anfangsphase ähnlich lethargisch agierte wie beim Beinahe-Kollaps gegen Juventus. Niguez' Tor war eine Blaupause vom 0:2-Gegentor von Juventus, als die Bayern Morata mit dem Ball am Fuss 50 Meter über den Platz sprinten liessen.

Und das ist dann - da muss man Guardiola auch mal in Schutz nehmen - keine Frage der Auf-, sondern der Einstellung, der Willensstärke und der Entschlossenheit.

"Wir haben viele Male gesprochen über die ersten Minuten von Atlético - und wir haben dann keinen Ball gewonnen. Als Trainer sagt man, was passieren wird. Aber die Spieler spielen das Spiel!", sagte der Coach sichtlich nachdenklich.

"Das fantastische Tor von Saul Niguez war die Konsequenz für unsere ersten 25 Minuten. Da haben wir kein Duell gewonnen, das haben wir nicht gut gemacht."

Viel besser machten es die Bayern dann ab der 30. Minute. Was gegen die These spricht, dass es allein an Guardiolas Aufstellung und dem Verzicht auf Müller und Ribéry gelegen haben könnte. Beide kamen Mitte der zweiten Halbzeit, da war Bayerns beste Phase schon wieder am Abklingen.

Neuen Schwung konnten weder Müller noch Ribéry verleihen. Der Franzose war es sogar, der durch einen leichten Ballverlust Atlético die einzige und zugleich beste Chance der zweiten Hälfte auf dem Silbertablett servierte, Fernando Torres aber traf nur den Pfosten.

Es war nicht alles schlecht

Es ist müssig zu spekulieren, wie die Partie mit einer anderen Aufstellung verlaufen wäre. Ziemlich sicher dürfte aber sein, dass die Bayern auch mit einem etwas anderen Personal nicht mehr Räume vorgefunden hätten gegen Atléticos famos eingespieltes Defensivverhalten: Die Rojiblancos blieben im 52. Pflichtspiel in dieser Saison zum 33. Mal ohne Gegentor.

"Es ist immer schwer zu sagen, ob Thomas das gewisse Etwas hätte einbringen können", formulierte es Kapitän Philipp Lahm gewohnt diplomatisch. "Er ist immer ein Vorbild für alle, solche Entscheidungen auch zu akzeptieren. Sicher ist jeder sauer, wenn er auf der Bank sitzt. Aber Thomas ist einer, der dann immer Vollgas gibt, auch wenn er von der Bank kommt."

Die Bayern waren einfach nicht präsent in der Anfangsphase und die erste Viertelstunde der Partie im Calderon gilt es jetzt auszubügeln.

"Aggressivität und Mut haben gefehlt in der ersten Halbzeit, wir waren da zu schläfrig", sagte Manuel Neuer. "Wir müssen im Rückspiel hellwach sein!" Immerhin haben Dreiviertel des Hinspiels gezeigt, wie man Atlético beherrschen kann, ohne zu viele Konter zuzulassen - und wie man gegen diese Mannschaft zu eigenen Möglichkeiten kommt.

"Wir haben nicht wirklich damit gerechnet, dass wir so viele Torchancen bekommen. So viele Chancen bekommt man gegen eine gute Defensive eigentlich nicht", sagte Lahm. 20 Torschüsse hatten die Münchener am Ende, zwölf davon abgegeben im Strafraum. Das hat noch kein anderes Team in dieser Saison im Calderon geschafft. Das macht Mut.

Fürchterliche Bilanz

Den werden die Bayern auch brauchen, ohne aber zu übersteuern. Das ist ihnen in den entscheidenden Momenten nämlich schon zweimal passiert und führt zu einer fürchterlichen Bilanz: In den drei Halbfinals vor Guardiolas Amtsantritt in München gab es drei Finaleinzüge mit fünf Siegen, einer Niederlage und 14:3 Toren gegen Lyon, Real Madrid und Barcelona.

Und seit Guardiola in München ist? Wurde zweimal in Folge das Finale verpasst, es wurden inklusive des Spiels vom Mittwoch vier der fünf Partien verloren und eine gewonnen, dabei wurden 3:11 Tore erzielt - gegen Real, Barca und nun eben Atlético.

Im Rückspiel in München wird sich alles zuspitzen, auch auf die Frage, wie Pep Guardiolas Wirken bei den Bayern zu betrachten ist. Der Trainer war in der Nacht nach dem Hinspiel jedenfalls erstaunlich ruhig und auch zuversichtlich.

"Wir müssen nur ein Tor schiessen, dafür müssen wir intelligent spielen", sagte Guardiola. Und er deutete bereits an, dass er im Heimspiel eine anders formierte Mannschaft aufs Feld schicken wird. "Wir müssen bereit sein, am Dienstag neu aufgestellt zu spielen."

Dann ziemlich sicher mit Thomas Müller in der Startelf und vielleicht auch mit Franck Ribéry.

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