Für seine Kritiker ist Diego Simeone der unfairste Trainer der Welt. Für die Fans von Atlético Madrid ist er ein Held. Für den FC Bayern ist der Argentinier vor dem Halbfinal-Rückspiel der Champions League eine Riesen-Herausforderung. Wie Simeone tickt, was er sich schon alles erlaubt hat und warum er so erfolgreich ist? Wir geben Antworten.

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"El Cholo", wie die Fans von Atlético Madrid Diego Simeone nennen, steht vor dem Champions-League-Rückspiel zwischen dem FC Bayern und Atlético Madrid unter Schummelverdacht - schon wieder.

Diego Simeone und die Aussetzer

Simeone ist wegen einer Ballwurf-Affäre in der Primera División für die drei letzten Spieltage eigentlich gesperrt. Doch der Argentinier soll am Samstag im Estadio Vicente Calderón beim Sieg über Rayo Vallecano (1:0) unerlaubterweise Anweisungen an die Trainerbank gegeben haben.

Auf TV-Bildern und Fotos ist zu sehen, wie der Coach während des Spiels auf der Tribüne mit seinem Handy telefonierte. Neben ihm sass Torwarttrainer Pablo Vercellone – mit Headset. Hör- und Sprechgarnituren trugen auf der Bank Konditionstrainer Felipe Iglesias und nach seiner Auswechslung Kapitän Gabi. Ein erneuter Regelverstoss - wie schon viele Male zuvor.


Ballwurf-Affäre um Diego Simeone

Am 35. Spieltag sorgte Simeone im Heimspiel gegen den FC Málaga (1:0) für einen Eklat. Während der Gegner einen Konter fuhr, leitete er mutmasslich einen Balljungen an, einen zweiten Ball aufs Feld zu werfen.

Der Gegner konnte den Konter nicht zu Ende spielen, die Grosschance war dahin. Simeone wurde mit Rot auf die Tribüne geschickt und bis zum Saisonende gesperrt.

Simeone verteilt Schläge auf den Hinterkopf

Am 22. August 2014 ging es für Atlético im Finale um den spanischen Supercup gegen den grossen Rivalen Real Madrid. Wieder konnte sich Diego Simeone nicht beherrschen.

Als der vierte Offizielle seinen Spieler Juanfran nach einer Behandlung nicht zurück auf den Rasen liess, schlug er dem Schiedsrichter zweimal leicht auf den Hinterkopf. Simeone musste auf die Tribüne. Von dort aus coachte er dreist weiter - und wurde für acht Spiele gesperrt. Simeone: "Das waren die Angst und die Nerven."

Simeone stürmt auf den Platz

In der Verlängerung des Champions-League-Endspiels 2014 gegen Real Madrid (1:4 n.V.) stürmte er wie wild auf den Platz, ging auf Real-Profi Raphael Varane los, nachdem dieser einen Ball Richtung Atlético-Bank geschossen hatte. "Varane hat mich mit seinem Schuss provoziert", sagte er. "Wir Älteren mögen es nicht, wenn so was mit uns gemacht wird."


"El Cholo" liebt Pathos

Simeone liebt das Pathos. Der Fussball stehe im übertragenen Sinn für "das Leben des Mannes auf der Strasse, der von Tag zu Tag lebt", meinte er einmal auf die Fans der Madrilenen angesprochen. "Die Leute identifizieren sich mit uns, wir sind eine Quelle der Hoffnung für sie."

Mit Sprüchen wie diesem kommt er bei den Anhängern des Arbeiterklubs an. Nach dem Pokalsieg, der Copa del Rey, gegen den Stadtrivalen Real, sagte er: "Hätte man den Leuten 1999 gesagt, dass es vierzehn Jahre dauern, aber so enden würde, hätten sie das sofort unterschrieben."

Zuvor hatte Atlético in 25 Duellen nicht mehr gewonnen. Simeone liebt es auch martialisch, immer betont er die harte Arbeit. "Wenn ich Schlamm sehe, werfe ich mich hinein. Arbeit ist alles." Oder: "Nicht derjenige gewinnt den Krieg, der die meisten Soldaten hat. Sondern derjenige, der sie am besten zu nutzen weiss."

Wie tickt dieser Diego Simeone?

Familie und Zugehörigkeit sind für Diego Simeone alles. Er isst jeden Tag mit seinen Kindern – am iPad über Skype, weil diese in Argentinien leben.

Wenn seine Spieler sich warm machen, sitzt er allein in der Kabine und ruft zu Hause an, manchmal sind es drei Anrufe - einer für jedes Kind. Die Anrufe sind Teil eines Rituals: die Ruhe vor dem Sturm. "Für vier oder fünf Minuten bin ich ein normaler Mensch", erklärt er.

Simeone ist zudem ein Kontrollfreak, warnte seine Spieler einst, er würde sie jede Minute im Auge haben. "Meine Familie ist nicht hier", sagte er. "Ich habe also nichts Besseres zu tun."

Immer geht es um Loyalität, Verbindlichkeit und Zusammengehörigkeit.


Wie war Diego Simeone als Fussballer?

Genau gleich. Ein Provokateur sondergleichen, oft über die Grenze des Erlaubten hinaus.

Wie im Achtelfinale der WM 1998 gegen England, als er mit voller Wucht in den Rücken von David Beckham sprang, dieser sich zum Nachtreten hinreissen liess und mit Rot vom Platz flog.

Die andere Seite: Simeone war schon damals ein von harter Arbeit und schier grenzenlosem Ehrgeiz Getriebener, beinahe süchtig nach Herausforderungen.

Was denken Fans und Spieler über "El Cholo"?

Fans und Spieler von Atlético verehren ihn. Simeone war Kapitän jener Mannschaft, die 1996 das Double aus Meisterschaft und Pokal gewann. Er arbeitet stets an der emotionalen Bindung zwischen Anhängern, dem Klub - und ihm.

"Als ich ging, wusste ich, dass ich den Verein verliess, um eines Tages zurückkehren zu können. Ich wusste, ich würde wiederkommen, ich wusste es", meinte er einmal. "Ich habe das Gefühl, immer hier gewesen zu sein, mein ganzes Leben. Ich weiss, was die Leute wollen und was der Klub will. Und wenn man das Gefühl hat, hierherzugehören, macht das alles einfacher."

Blut, Schweiss und Tränen – das Umfeld kann sich mit dem, worüber der Chefcoach spricht, identifizieren. "Unsere Fans sind Maurer, Taxifahrer und Churro-Verkäufer", erklärte Co-Trainer Germán Burgos einmal. Die Atléticos nennen es "Cholismo": eine Lebensweise, wie sie von "El Cholo" propagiert wird.

Was ist Simeones Erfolgsgeheimnis?

Er nimmt die Leute mit. "Bei uns sind die Spieler, Zeugwarte, Angestellten und Fans auf einer Linie", erklärt er. Beim Hinspiel gegen die Bayern zeigte sich das, als er unermüdlich animierte – und alle frenetisch mitzogen.

Es ist eine Atmosphäre, wie man sie in der Allianz Arena vergeblich sucht. Simeones Mannschaft wird zudem die beste Defensive der Welt nachgesagt, ein Mix aus Pressing und Gegenpressing in allen Zonen, einer Zick-Zack-Staffelung im Mittelfeld und schnellem Umschaltspiel.

Sein Fussball ist wie er selbst: eklig, aber leidenschaftlich. Unnachgiebig, aber mitunter unfair. Oder wie es der künftige Bayern-Coach Carlo Ancelotti sagen würde: "Atlético spielt, wie Simeone gespielt hat: hart, konzentriert und taktisch perfekt."

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