Der FC Bayern wird von Real Madrid nach starkem Beginn regelrecht hergespielt. Dafür ist die Unterzahl nach Platzverweis nicht der einzige Grund. Auch Thomas Müller muss sich einiges vorwerfen lassen.

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"Wir sind froh, dass es beim 1:2 geblieben ist." Thomas Müller rümpfte nach der Niederlage des FC Bayern im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals die Nase.

Kein lockerer Spruch des Weltmeisters, es herrschte bittere Enttäuschung. Eine Halbzeit lang hatten die Münchner Real Madrid dominiert, dann folgte der Einbruch.

Mit seinem Doppelpack drehte Cristiano Ronaldo (47. Minute/77.) die Partie nach dem Kopfballtor von Arturo Vidal (25.).

Den Bayern droht das frühzeitige Aus. Die Spieler nannten unisono den Platzverweis gegen Javi Martinez (61.) als Ursache. Die Gründe für den Einbruch waren aber vielschichtiger:

Mangelndes Selbstvertrauen des FC Bayern

Man mag diese Einschätzung kaum mit den Bayern in Verbindung bringen, aber: Gegen die Königlichen fehlte das Selbstvertrauen.

Die Körpersprache von Vidal nach seinem verschossenen Handelfmeter (45. + 1) war symptomatisch. Müller sprach hinterher bei Sky von Sicherheitspässen und fehlender Überzeugung.

"Es lag daran", meinte der Weltmeister, "dass wir nicht mit der letzten, 100-prozentigen Überzeugung gespielt haben, dass wir die bessere Mannschaft sind". Die spanische "Mundo Deportivo" schrieb: "Die Angst und der exzessive Respekt vor dem Titelverteidiger wurden zu einem grossen Ballast für die Bayern."

Schlechtes Defensivverhalten des FC Bayern

Das angeschlagene Selbstbewusstsein führte in eine zaghafte Gegenwehr. "Man kann auch mit zehn Mann besser und viel aggressiver verteidigen. Ich habe das Gefühl gehabt, dass die Spieler das abschenken", analysierte ZDF-Experte Oliver Kahn harsch. "Nach dem 2:1 wurde es noch schlimmer."

Kahn schilderte, er habe nie das Gefühl gehabt, "dass die Bayern wirklich versucht haben, ein vernünftiges Ergebnis über die Zeit zu bringen".

Es hätten sich dagegen riesige Räume aufgetan, weil die Abstimmung beim Anlaufen gefehlt habe, meinte der einstige Bayern-Profi weiter. "Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass sie körperlich total auf der Höhe waren in der zweiten Halbzeit", sagte er.

Beispielhaft für das schlechte Defensivverhalten war die Vorarbeit von Marco Asensio zum 2:1. Philipp Lahm, Thiago und Arjen Robben liessen den 21-jährigen Spanier fahrlässig gewähren, der letztlich unbedrängt vor den Fünfmeterraum auf Ronaldo flankte.

Die Zurückhaltung dürfte zu Kahns Eindruck geführt haben, die Bayern seien nicht fit gewesen. Denn: Laut offizieller UEFA-Statistik liefen die Münchner 108,68 Kilometer und damit nur 0,28 Kilometer weniger als die Madrilenen (108,96).

Zinédine Zidane schlägt Carlo Ancelotti

Real-Coach Zinédine Zidane setzte seinem ehemaligen Lehrmeister Carlo Ancelotti indes taktisch zu. Einst lernte der Franzose als Assistent vom Italiener bei den Königlichen. Oft wird dem 44-Jährigen von Seiten der spanischen Medien ein zu pragmatischer Spielstil vorgeworfen.

Gegen die Bayern war genau dieser der Schlüssel. Aus einer Druckphase der Münchner wurde eine Drangperiode der Spanier, weil Zidane umstellte.

In der ersten Halbzeit liess der Real-Coach mit einer Sechserkette im Mittelfeld spielen. Einzig die Verteidiger Sergio Ramos und Nacho sicherten ab.

Dieses Muster hatte auch nach dem Wechsel bestand. Doch Zidane beorderte Ronaldo, der davor eine hängende Spitze war, ganz nach vorne neben Karim Benzema. Im Mittelfeld tauschte er Flügelspieler Gareth Bale gegen Asensio.

Real gab die Aussen fortan auf, kam dafür umso kompakter über die Mitte. Der Plan ging auf. Ancelotti hatte keine Antwort darauf.

Cristiano Ronaldo nicht zu halten

Das galt auch für die Bayern-Defensive gegen Ronaldo. Boateng waren mangelnde Spielpraxis und Spritzigkeit anzumerken. Und David Alaba konnte Martinez in der Abwehrmitte nicht gleichwertig ersetzen. Fatal, schliesslich trumpfte CR7 ganz gross auf.

Noch in der ersten Halbzeit war Ronaldo neben Müller der Spieler mit den wenigsten Ballkontakten (12). Mit dem 1:1 beendete der Portugiese eine Durststrecke von 659 Minuten ohne Tor in der Königsklasse.

Danach liess der 31-Jährige mit seinem zweiten Treffer sein insgesamt 100. Europapokal-Tor folgen. Kein Spieler hat in der Champions League häufiger gegen den FC Bayern getroffen - sechs Mal.

Thomas Müller ersetzt Robert Lewandowski nicht

Müller ist von solchen Erfolgen weit entfernt. "Es ist nicht seine Saison", sagte Kahn. Mehr noch: Die Bayern müssen sich eingestehen, dass sie in Robert Lewandowski nur einen Goalgetter haben.

Der Pole hat in dieser Spielzeit bereits 38 Pflichtspieltore erzielt, bei Müller sind es nur acht.

Der Nationalspieler konnte die Bälle weder festmachen, noch durch Laufwege Anspieloptionen schaffen. Weil er wieder viel für die Kollegen arbeitete, war das Zentrum oft nicht besetzt.

Den Bayern bleibt vor dem Rückspiel am Dienstag im Estadio Santiago Bernabéu nur die Hoffnung. Auch darauf, dass Lewandowski trotz Schulterblessur wieder spielen kann.

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