Der FC Bayern München verlor das Champions-League-Viertelfinal-Hinspiel gegen Inter Mailand mit 1:2, weil die Italiener effektiver waren. Trainer Vincent Kompany traf zudem zwei fragwürdige Personalentscheidungen.

Eine Analyse
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Das "Finale dahoam" ist für den FC Bayern München in grosser Gefahr. Das Viertelfinal-Hinspiel gegen Inter Mailand ging im eigenen Stadion mit 1:2 verloren. "Es ist frustrierend. Das Spiel hätte auf jeden Fall mehr hergegeben", sagte Bayern-Spieler Konrad Laimer.

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Zweifelhafte Aufstellung: Guerreiro statt Müller in der Startelf

Kompany sorgte mit seiner Aufstellung für eine Überraschung. Aufgrund der Verletzung von Jamal Musiala wurde vielfach davon ausgegangen, dass Thomas Müller dessen Rolle einnehmen würde. Stattdessen aber bekam der Allrounder Raphaël Guerreiro den Vorzug. Kompany begründete dies damit, dass Guerreiro im Mittelfeld bereits "wichtig gewesen" sei und "ein paar Tore gemacht" hätte – unter anderem zwei gegen den VfL Bochum im März.

Tatsächlich allerdings hat Müller in der laufenden Saison bei deutlich weniger Einsatzzeit zwei Pflichtspiel-Treffer (6) mehr erzielt als Guerreiro. Bei den Experten von Prime-Video sorgte die Entscheidung für Unverständnis. "Für dieses Spiel hätte ich ihn gebracht", sagte Christoph Kramer. Matthias Sammer stimmte zu: "Das ist auch für mich nicht einfach zu erklären."

Rückblickend war es tatsächlich die falsche Entscheidung: Guerreiro konnte nur wenig Impulse setzen und hatte in der 1. Halbzeit die wenigsten Ballkontakte aller Bayern-Spieler. Der eingewechselte Müller hingegen traf später zum zwischenzeitlichen 1:1.

Kompany erklärte, warum Müller für ihn diesmal als Einwechselspieler wertvoll war: "In der 2. Halbzeit waren wir sehr dominant. Normalerweise schiessen wir dann ein oder zwei Tore mehr. Aber Thomas hat ein Gefühl dafür, in engen Räumen immer etwas zu machen. Das war so ein Spiel." Trotzdem bleibt der Eindruck haften, dass Müller der Mannschaft in der Startelf gutgetan hätte.

Der grosse Unterschied war die Effektivität

Insgesamt war Mailand die effektivere Mannschaft, wie auch Joshua Kimmich zugab: "Sie hatten zwei, drei Chancen und haben diese mit zwei Toren genutzt. Wir hatten vier, fünf sehr gute Möglichkeiten, haben diese allerdings nicht genutzt. Gerade gegen eine Defensive wie Inter ist es nicht so einfach, sich eine Vielzahl von Torchancen zu erarbeiten."

Beim Gegentor zum 0:1 wurde die Defensive des FC Bayern mit wenigen Ballkontakten auseinandergenommen. Marcus Thuram legte den Ball für Lautaro Martinez vor, der gezielt aus rund zwölf Metern ins Tor traf.
Bereits in den Minuten zuvor war festzustellen, dass die Verteidigung des FC Bayern mit einem schnellen Spiel nach vorne zu überlisten ist.

Aufgrund der Verletzungsausfälle von Dayot Upamecano und Alphonso Davies fehlte dem FC Bayern in der Defensive Geschwindigkeit. Zudem gewannen sie in der 1. Halbzeit nur 46 Prozent der Zweikämpfe (48 Prozent über das ganze Spiel).

DAZN-Experte Benedikt Höwedes stellte beim Gegentor fest: "Bayern wird ein bisschen nachlässig, in der Verteidigung kommen sie nicht wirklich aktiv in die Zweikämpfe. Wir haben es hier hervorragend gesehen. Sie haben alle fünf Zweikämpfe, die in Frage gekommen sind, verloren. Inter nutzt das gnadenlos aus."

Flanken und Dribblings des FC Bayern meist ohne Erfolg

In der 2. Halbzeit fand der FC Bayern gegen die Abwehr von Inter, die mit einer Fünferkette agierte, nahezu keine Lösung. Mit ihren Dribblings (Erfolgsquote 33 Prozent) verfingen sie sich oft, auch die Flanken kamen nur in 36 Prozent aller Fälle beim Mitspieler an.

"Das ist genau das Spiel, was Inter spielen möchte und auch in Perfektion spielen kann", sagte Höwedes. "Diese Mannschaft ist leidensfähig, ist top austrainiert wie alle italienischen Mannschaften. Sie arbeiten extrem physisch und werden nicht müde, als Mannschaft akribisch zu arbeiten."

Ein erster Moment der Freude kam in der Allianz-Arena erst auf, als sich Kompany nach 73 Minuten entschloss, Müller einzuwechseln. Und ein noch viel grösserer, als ausgerechnet Müller den Ball in der 85. Minute zum 1:1 über die Linie drückte.

Bayern wollte das 2:1 und fing sich ein Gegentor ein

Doch die Euphorie fand drei Minuten später beim Gegentreffer zum 1:2 ein Ende. Erneut kombinierte sich Inter schnell nach vorne. Diesmal schlossen sie den Angriff mit einer Flanke auf den Torschützen Davide Frattesi ab, der den Ball aus kurzer Distanz ins Tor beförderte.

Der entscheidende Fehler: Der FC Bayern hatte sich von der Euphorie des Ausgleichs anstecken lassen und agierte zu offensiv. "Du hast gemerkt, dass wir das zweite Tor machen wollten. Und dann spielten sie den zweiten perfekten Angriff. Das ist Inter Mailand", sagte Sportvorstand Max Eberl.

Als Inter von hinten heraus das Spiel aufbaute, befanden sich acht (in einem kurzen Moment sogar neun) Feldspieler des FC Bayern in der gegnerischen Hälfte. Dementsprechend schnell liess sich der Bundesligist überspielen. Lediglich Innenverteidiger Eric Dier orientierte sich nach hinten.

Minjae Kim wurde ausgewechselt und fehlte beim Gegentor

Sein Positionskollege Minjae Kim war kurz zuvor für Sacha Boey ausgewechselt worden. Dieser beging beim 1:2 einen entscheidenden Fehler: Statt Gegenspieler Carlos Augusto auf der linken Seite zu folgen, versuchte er nach vorne zu verteidigen. Augusto hatte dementsprechend viel Platz, als er den Ball zugespielt bekam, und konnte die tödliche Flanke auf den Torschützen spielen.

Warum Kompany überhaupt Kim für Boey, der eigentlich ein Aussenverteidiger ist, aus dem Spiel genommen hatte?
"Kim hatte bereits Gelb, das war ein wichtiger Faktor", antwortete Kompany. Ähnlich wie bei der Personalie Müller lässt sich allerdings festhalten, dass der Trainer hier eher die falsche Entscheidung getroffen hatte.

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Ein Tor Unterschied ist laut Müller "gar nichts"

Der Blick des Trainers richtet sich nach vorne: "Es ist Halbzeit, es steht 2:1 für Inter und wir müssen das Rückspiel gewinnen." Auch Müller bleibt positiv gestimmt: "Wir haben ein Tor Unterschied. Das ist im Fussball gar nichts. Das ist eine Aktion. Dementsprechend lassen wir uns nicht unterkriegen." Prime-Experte Sammer schätzt die Chancen im Rückspiel auf "51:49 für Inter, aber es ist trotzdem alles drin."

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz und Mixed Zone
  • Prime Video: Bayern München – Inter Mailand
Teaserbild: © picture alliance/Pressefoto Ulmer/Markus Ulmer