Claudia Neumann kommentiert das Finale der Champions League und online drehen Fussballfans frei. Solidarität von Kollegen bleibt weitestgehend aus. Alles wie immer?

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Mara Pfeiffer (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es ist nicht neu, dass sich (vor allem) cis Männer im Internet so richtig schön auskotzen, wenn Claudia Neumann ein Fussballspiel kommentiert. Nun hat das ZDF seine Journalistin sogar im Finale der Champions League ans Mikrofon gelassen und da ging das Gejaule online schon los, bevor die überhaupt das erste Wort gesprochen hatte. Mit Sexismus allerdings, beteuern die Kommentierenden eifrig, habe das rein gar nichts zu tun. Es gehe allein um Qualität.

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Wir müssen über strukturellen Sexismus reden

Doch das ist Blödsinn. Natürlich sind nicht (mehr) alle Kommentare über und gegen Neumann sexistisch, die Lust aber, mit der bei ihr auf Fehler gewartet wird, um sie dann genüsslich zu sezieren, basiert auf strukturellem Sexismus: Viele der Kommentierenden sind im Grunde der Meinung, als Frau gehöre Neumann nicht an dieses Mikrofon. Eingestehen wollen sie sich das nicht, stattdessen behaupten sie, Neumann sei die eine Journalistin, die nichts tauge.

Nach dieser Theorie würden andere, vermeintlich bessere Kolleginnen nicht auf diese Weise zerlegt. Doch die Realität sieht anders aus. Das Problem ist, die Debatte lässt sich nicht sinnvoll führen, weil der Wille zur Reflexion über internalisierten Sexismus fehlt. Die spannende Frage, die zuerst gestellt werden müsste, wäre doch: Wieso arbeiten vergleichsweise immer noch viel mehr Männer im Fussball? Es liegt daran, dass die vorhandenen Strukturen und handelnden Personen sie begünstigen – und eben nicht daran, dass sie alle besser sind als die Frauen.

Frauen müssen im Fussball überperformen

Wer das wiederum glaubt, ist natürlich der Meinung, Neumann sei schlechter als die Mehrzahl ihrer Kollegen. Denn er gesteht sich ungern ein, dass er Spiele, die von Männern kommentiert werden, einfach laufen lässt, während er bei ihr 90 Minuten verkniffen auf Fehler lauscht. Die in Live-Kommentaren übrigens immer passieren, auch bei guter Vorbereitung – das ist normal. Aber um als Frau überhaupt Anerkennung zu finden, soll alles zu 120 Prozent sitzen.

Diese Anspruchshaltung ist ein Problem. Es gibt keinen Grund, der rechtfertigt, wieso Männer in vielen Bereichen prima durchkommen, wenn sie ihren Job mittelmässig erledigen, während von Frauen Perfektion erwartet wird. Gleichberechtigung bedeutet nicht, Frauen dürfen keine Fehler machen. Der Massstab, der an Neumann angelegt wird, ist ein anderer, als der bei ihren Kollegen – allein schon durch die Intensität, mit der jedes ihrer Worte beobachtet wird.

Die Debatten um Frauen sind schon heftig genug

Es wäre naiv, davon auszugehen, dass die Debatten in all ihrer Heftigkeit nichts mit Neumann machen. Dafür, dass sie sich davon nicht beirren lässt, gebührt ihr Respekt. Wichtig und gut ist auch, dass das ZDF seiner Journalistin den Rücken stärkt.

Vollkommen absurd ist dagegen, wie nach dem Finale einige Medien Neumanns Arbeit analysieren oder User*innen aufrufen, das zu tun. Was kommt als nächstes, dass nach dem "heute journal" diskutiert wird, wie Marietta Slomka ihren Job gemacht hat? Eine Debatte über die Moderationsleistung von Katrin Müller-Hohenstein im "Aktuellen Sportstudio"? Noten für Artikel von Journalistinnen?

Newsflash: Frauen, die wie und wo auch immer in der Öffentlichkeit stehen, werden so schon intensiv debattiert, es braucht sicher keine Medien, die sich daran noch beteiligen. Solidarität hingegen, das wäre mal was. Unterstützung, statt Öl ins Feuer zu giessen.

Ohne Verbündete, ohne Haltung, ändert sich nichts

Klar kann man hinter den Satz "Sexistische Beleidigungen sind nicht okay" ein "Aber" packen und casual über die Leistung von Neumann oder anderen Kolleginnen diskutieren. Wenn man das für angemessen hält. Oder man könnte stattdessen mal posten, wie stark es von Neumann ist, dass sie diesen Weg unbeirrt weitergeht. Dass sie ein Vorbild ist für jüngere Kolleginnen.

Man könnte sogar so weit gehen, zu schreiben: "Wie im Netz über Claudia Neumann geredet wird, finden wir nicht okay. Wir solidarisieren uns mit ihr gegen die Hetze, die sie an jedem Arbeitstag als Kommentatorin erlebt."

Denn um strukturellen Sexismus im Fussball zu beenden, bräuchte es Verbündete und Haltung. Das gilt, wenn Lise Klaveness sich bei der Uefa zur Wahl stellt, ebenso wie bei der Debatte, ob die WM der Frauen übertragen wird – oder eben beim Umgang mit Claudia Neumann.

All die Themen leben nicht zuletzt von unwidersprochenen Falschaussagen: Interessiert niemanden, hat nicht genug Erfahrung, da fehlt es an Kompetenz. Widerspruch wäre ein Anfang. Aber man muss das natürlich wollen. Reflektieren. Abgeben. Zeichen setzen. Und vielleicht liegt genau da das Problem.

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