Erstmals in der Vereinsgeschichte steht Paris Saint-Germain im Finale der Champions League. Trainer Thomas Tuchel ist es gelungen aus Individualisten ein Team zu formen, sinnbildlich dafür steht Superstar Neymar.

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Es lief die 42. Spielminute im Champions-League-Halbfinale zwischen RB Leipzig und Paris Saint-Germain, als PSG-Superstar Neymar sein ganzes Können zeigte.

Artistisch, per Hackenvolley, bugsierte der Brasilianer im Strafraum den Ball in Richtung von Angel di Maria, der wiederum per Linksschuss das 2:0 für die Pariser erzielte.

Wieder einmal hatte Neymar sein schier grenzenloses technisches Potenzial gezeigt, doch daneben zeigte er in diesem Duell auch ungeahnte Qualitäten. So gewann er, laut Datenanbieter "Opta" 57 Prozent seiner Zweikämpfe, brachte 85 Prozent seiner Zuspiele an den Mitspieler und hatte mit 79 Ballkontakten einen enormen Wert für einen Offensivspieler.

Neymar arbeitet plötzlich in der Defensive mit

Neymar war überall auf dem Platz zu finden, verlor er den Ball jagte er seinem Gegenspieler nach, um diesen wieder zurückzuholen. Befand sich Paris in der Defensive rückte auch der brasilianische Offensivstar zurück und beteiligte sich an der Abwehrarbeit, in einem Masse, wie es zuvor über viele Jahre nicht zu sehen war.

Verlor der 28-Jährige dort den Ball, winkte er oftmals ab und blieb einfach stehen, im Vertrauen, dass seine Teamkollegen den Fall schon klären würden. Zudem wurde er, bei aller spielerischen Genialität, für seine Schauspieleinlagen mehrfach harsch kritisiert.

Beim Champions-League-Finalturnier in Lissabon wirkt der Superstar aber wie ausgewechselt und steht damit sinnbildlich für den Wandel von Paris Saint-Germain.

Thomas Tuchel drohte Aus bei PSG

Seit dem Einstieg Katars wurden Jahr für Jahr üppigste Millionenbeträge in neue Spieler investiert, um den Klub auch international zur Vorzeigeadresse zu machen – mit bislang überschaubarem Erfolg. Während die Ligue 1 zur One-Man-Show von PSG verkam (sieben Meisterschaften in den vergangenen acht Jahren), reichte es in der Champions League immer nur maximal bis zum Viertelfinale.

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Transfersummen-im-Bundesliga-Europa-Vergleich © 1&1 Mail und Media

Trainer wie Laurent Blanc oder Unai Emery mussten aufgrund von verpatzten Champions-League-Saisons den Klub verlassen. Auch dem jetzigen PSG-Coach Thomas Tuchel hätte wohl ein ähnliches Schicksal gedroht, wäre das Team nicht ins Halbfinale eingezogen.

Der ehemalige BVB-Coach hatte in seiner bisherigen Amtszeit teilweise Probleme, die hochtalentierten Offensivkünstler, nach seinen Vorstellungen, ins Team einzugliedern.

Neymar, di Maria und Mbappé glänzen

In der Vorbereitung auf die laufende Saison verzichtete Tuchel auf Neymar, weil dieser nicht in einem solchen Mass trainierte, wie es Tuchel erwartete. Sofort kochten die Gerüchte um eine Rückkehr des Brasilianers zum FC Barcelona wieder hoch.

Aber Neymar blieb und nutzte die knapp viermonatige Coronapause scheinbar zur intensiven Arbeit. Neben der körperlichen Fitness soll er laut Medienberichten aber auch im mentalen Bereich gearbeitet haben.

Nun zeigt er sich beim Finalturnier in Lissabon in bestechender Form. Genau so wie di Maria, der im Alter von 32 Jahren seinen x-ten Frühling erlebt, nachdem er bei PSG zuvor eigentlich schon aussen vor war. Der Dritte im Bunde, Kylian Mbappé, schwächelt momentan noch etwas nach seiner Verletzung im Ligapokalfinale.

Doch dem 21-Jährigen gehört zweifelsohne die Zukunft im Weltfussball auf der Position des Stürmers – zu gewaltig ist sein Antritt und seine Schnelligkeit, gepaart mit einem tollen Abschluss.

"Es ist einfacher für einen Spieler zu laufen, den man mag"

Aber anders als in den vergangenen Jahren agieren die Offensivkünstler nicht mehr als Individualisten innerhalb des Teams, sondern ordnen sich im Kollektiv ein, wie Neymar und di Maria (ein Tor, zwei Vorlagen) gegen Leipzig eindrucksvoll untermauerten.

"Es ist uns gelungen, einen Kader zu schaffen, in dem jeder etwas beiträgt. Es ist einfacher, für einen Spieler zu laufen, den man mag", bilanzierte Mbappé nach dem ersten Finaleinzug der Klubgeschichte. Zu oft war es in der Vergangenheit der Fall, dass individuell unterlegene Teams die Pariser auseinanderspielen konnten, weil sie nicht als Team agierten, sondern jeder Mannschaftsteil für sich agierte.

Doch Tuchel ist es inzwischen gelungen, aus einer Ansammlung von Stars ein Team zu formen. "Wir sind so eng zusammengerückt wie eine kleine Mannschaft", sagte Tuchel bei "Sky" nach dem Finaleinzug: "Es fühlt sich an, als würde man, in Anführungszeichen, einen Underdog trainieren, der sich komplett darüber definiert. Man könnte uns unterstellen, wir definieren uns nur über die Einzelqualität – aber das ist eben nicht so."

Neuzugänge bringen Team enger zusammen

Der deutsche Trainer erklärte, dass die Neuzugänge Keylor Navas und Ander Herrera das Team noch einmal zusätzlich zusammengebracht haben. So ist PSG inzwischen keine reine Ansammlung von Künstlern mehr.

"Wir haben nicht nur Qualität gezeigt. Wir haben auch Hunger gezeigt und eine Verbissenheit, uns reinzuschmeissen, das Tor zu verteidigen und uneitel zu spielen. Das ist das Mittel und das macht mich sehr froh, weil wir das konstant auf den Platz bekommen", meinte Tuchel: "Das ist der Hammer."

Dieser "Hammer" dürfte auch eng mit dem deutschen Trainer verknüpft sein, der sich mit einem Sieg im Finale gegen den FC Bayern sogar ein Denkmal in der Seine-Metropole setzen würde.

Schliesslich hat es Tuchel geschafft, endlich die grossen Wünsche und enormen Vorstellungen der katarischen Geldgeber in einem zuvor noch nie dagewesenen Masse zu befriedigen.

Der Champions-League-Titel wäre die Vollendung.

Verwendete Quellen:

  • Sky-Übertragung: RB Leipzig – Paris Saint-Germain; 18.8.20
  • "Opta" aus "Kicker.de"
  • Fussballeuropa.com: "Die ganze Nacht geweint": Kylian Mbappe mit Tränen-Geständnis
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