Die erste Ligaphase der Champions League ist Geschichte. DAZN-Experte Sebastian Kneissl zieht im Interview ein Fazit, spricht über die Vor- und Nachteile der Königsklassen-Reform und ordnet ein, ob die Gefahr einer Übersättigung besteht.

Ein Interview

Die Vorrunde der Champions League präsentierte sich in dieser Saison erstmals in einem völlig neuen Gewand: Ligamodus statt klassischer Gruppenphase, acht statt der bisherigen sechs Spieltage und Playoffs, in denen um den Einzug in die K.o.-Runde gespielt wird.

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Sebastian Kneissl, Experte beim Streaminganbieter DAZN, der den letzten Spieltag in der XXL-Konferenz zeigte, spricht im Interview über die Champions-League-Reform – und zieht ein erstes Fazit.

Sebastian Kneissl, wie haben Sie diesen historischen Champions-League-Abend mit insgesamt 18 Spielen gleichzeitig erlebt?

Sebastian Kneissl: Ich war beim Bayern-Spiel im Einsatz und habe mir danach nochmal alles im Re-Live angeschaut – es war wirklich spektakulär! Verbunden mit der Frage: Ist es überhaupt möglich, so viele Informationen auf einmal zu verarbeiten? Mein Vater zum Beispiel, Mitte 60, hat nach einer Viertelstunde gesagt: 'Nein, das ist ein Overload, da komme ich ja gar nicht mehr mit.' (lacht) Gleichzeitig habe ich aber auch unzählige Nachrichten bekommen, in denen es hiess: 'Wie geil ist bitte diese Konferenz?' Ich persönlich habe mich richtig auf diesen Abend gefreut, weil es für die meisten Zuschauer ein völlig neues Erlebnis war. Ich denke, wir können uns jedes Jahr auf dieses Datum freuen.

Ist die Konferenz der grosse Gewinn durch das neue Format?

Das ist wirklich ein komplett neues Level an Anspannung. Dieses neue Format bringt eine ganz eigene Dramatik mit sich. Diese Live-Dynamik, dieses ständige Auf und Ab – das erinnert mich an legendäre Momente wie Bayern gegen Schalke 2001, als Schalke eine Minute lang Meister war. Und genau das ist es doch, was die Leute zu Hause wollen: Spannung, Emotionen, unvorhersehbare Wendungen – aber alles auf höchstem Niveau, mit den besten Klubs der Welt. Für mich ist das der absolute Höhepunkt der Ligaphase.

Wie war die Stimmung bei den Bayern im Vergleich zu den Vorjahren, in denen man meist schon sicher durch war?

Ich war letzte Woche auch in Feyenoord dabei – da war die Stimmung vorher eine ganz andere. Direkt nach dem Spiel haben mich vor allem die scharfen Worte von Joshua Kimmich und Manuel Neuer überrascht. Ich hatte erwartet, dass Kritik kommt, aber das war schon sehr deutlich. Deshalb war ich umso gespannter auf die Reaktion. In der Arena selbst war die Atmosphäre bei den Fans realistisch: Man wusste, dass für ein Top-8-Ergebnis sehr viel hätte zusammenkommen müssen. Es gab diesen kurzen Moment, als Bayern zwei oder drei Tore hinter Borussia Dortmund lag. Da ging ein kurzes Raunen durchs Stadion. Aber das verpuffte schnell, weil die Leistung insgesamt dem aktuellen internationalen Level angemessen war.

Wie gross war die Herausforderung für DAZN, diesen XXL-Spieltag zu stemmen?

Für mich persönlich war es keine grosse Umstellung, weil ich im Einzelspiel eingesetzt war. Aber ich war in den WhatsApp-Gruppen, den E-Mail-Verteilern und den Teams-Calls dabei, wenn es um die Konferenz ging. Man hat sich brutal darauf vorbereitet – sowohl technisch als auch optisch. Alles musste reibungslos laufen, und dann hatte man mit dem Studio und der gesamten Crew nochmal einen besonderen Rahmen geschaffen. Klar, es war wild, aber auch extrem spannend und unterhaltsam – und genau das kam rüber.

"Ich feiere den neuen Modus total."

DAZN-Experte Sebastian Kneissl

Hat die neue Ligaphase der Champions League insgesamt gehalten, was im Vorfeld versprochen wurde?

Ich feiere den neuen Modus total! Ich bin wirklich beeindruckt, welche Dynamiken sich entwickelt haben. Es gab nur wenige Spiele, in denen es um nichts mehr ging. Auf der anderen Seite mussten Top-Teams wie Paris oder Manchester City bis zum Schluss arbeiten, um in der K.o.-Phase dabei zu sein. Genau das ist ja auch die Idee: Die vermeintlich überlegenen Klubs können sich nicht mehr sicher sein, sondern müssen sich auf ein neues System einstellen.

Welche positiven Effekte des neuen Formats sind Ihnen neben der Konferenz noch besonders aufgefallen?

Die Bedeutung jedes einzelnen Spiels ist spürbar gestiegen. Jedes Team in der Ligaphase muss durchgehend liefern. Es gibt auch die Überraschungsteams, die den Wettbewerb aufmischen, und genau diese Mannschaften sorgen für zusätzliche Spannung. Der Wettbewerb wird dadurch noch kompetitiver, weil in jedem Spiel mehr auf dem Spiel steht. In den letzten Jahren hatte die Gruppenphase etwas an Reiz verloren. Zu viele Spiele fühlten sich bedeutungslos an, oft war eine B-Elf im Einsatz. Es fehlte ein wenig die Schärfe – und genau die ist jetzt zurück.

Sind die Spiele dadurch attraktiver geworden?

Definitiv. Natürlich gibt es auch im neuen Modus Spiele, die vielleicht nicht ganz so viele Zuschauer anlocken – das war im alten Format aber genauso. Hat der Wettbewerb insgesamt an Attraktivität gewonnen? Eindeutig ja. Hat er an Wertigkeit zugelegt? Definitiv ja. Was ich aus verschiedenen Vereinen aus England höre: Es findet ein Umdenken statt.

Inwiefern?

Früher lag der Fokus auf der nationalen Liga, weil man sich darüber für die Champions League qualifizieren wollte. Jetzt verschieben sich ein paar Prozentpunkte, weil man in der Champions League durchgehend 'on point' sein muss. Das macht sich bemerkbar – psychologisch wie spielerisch. Die Sinne sind geschärft, und genau das sieht man auf dem Platz. Ich finde, die Fussball-Qualität in der Ligaphase war deutlich höher als in den Gruppenphasen der letzten ein, zwei Jahre.

"Die neue Ligaphase ist absolut gelungen."

DAZN-Experte Sebastian Kneissl

Ist die Champions League damit auf ein neues Level gehoben worden?

Ja, sie ist tatsächlich auf ein neues Level gehoben worden. Ich bin grundsätzlich vorsichtig mit Lob, auch wenn ich es gerne und viel verteile, wenn es gerechtfertigt ist. Und ich stehe der Uefa in vielen Punkten kritisch gegenüber. Aber in diesem Fall muss ich wirklich sagen: Die neue Ligaphase, die Idee der Playoffs – wer gesetzt ist, wer nicht – und das gesamte System sind absolut gelungen.

Benötigt man aber wirklich acht Spieltage, um das Feld von 36 auf 24 Teams zu reduzieren? Ist das Ganze nicht doch zu aufgebläht?

Das ist natürlich ein Punkt, über den man diskutieren kann. Ich persönlich mag es, wenn ich qualitative Spiele bekomme. Gleichzeitig gibt es immer die Frage: Wie kann man gewisse Teams wirtschaftlich unterstützen? Es gibt Vereine, die durch die Champions League mehr verdienen, als ihr gesamter Etat sonst hergibt, und das ist ein wichtiger Faktor. Letztlich geht es im Fussball auch um Wirtschaftlichkeit. Ich finde, das ist noch im Rahmen und händelbar.

Sehen Sie denn eine Gefahr der Übersättigung?

Doch klar, und viele Menschen empfinden bereits eine gewisse Übersättigung. Fussball läuft quasi jeden Tag, besonders in der Champions League gibt es an jedem Spieltag zwei bis drei Top-Partien. Verliert der Wettbewerb dadurch an Reiz? Ich persönlich nehme das nicht so wahr. Ich verstehe die Diskussion, aber aktuell sehe ich noch kein Problem. Ob sich durch die gestiegene Anzahl an Spielen irgendwann eine Übersättigung einstellt? Das werden wir in zwei, drei Jahren sehen.

Der FC Bayern und der BVB haben durch die Playoffs im Februar ein extrem anspruchsvolles Programm. Ist die Belastung zu gross?

Aktuell? Nein. Natürlich ist es anstrengend, 90 Minuten auf dem Platz zu stehen. Aber die Top-Klubs haben auch die Möglichkeit, mit ihrem breiten Kader zu rotieren und die Belastung zu steuern. Die Vereine sind gefordert, noch gezielter ins Management der Spielzeit zu gehen. Das verändert auch den Fussball – und macht ihn meiner Meinung nach sogar noch attraktiver. Denn dadurch wird strategisches Denken noch wichtiger: Wie verteile ich die Belastung? Wer bekommt mehr Spielzeit? Wer hat noch Kraftreserven? Für Spieler, die bisher hintendran waren, kann das sogar eine Chance sein.

Experte Kneissl über Schwachpunkte der CL-Reform

Welche Dinge könnte man bei dem neuen Format noch verbessern?

Die gesetzten Teams haben in den Playoffs das Rückspiel immer zu Hause. Da könnte man über eine Anpassung nachdenken – zum Beispiel das Heim- und Auswärtsspiel per Zufallsprinzip festzulegen. Wenn Bayern gegen Celtic spielen würde, würde ich schon gerne das Rückspiel im Celtic Park sehen. Einfach, weil da eine Wahnsinnsstimmung herrscht. Es würde für noch mehr Dramatik sorgen. Aber ich würde mir wirklich noch ein, zwei Jahre nehmen, um das Format abschliessend zu bewerten.

Sehen Sie sonst noch eine Schwäche des Formats?

Die grösste Schwäche des Formats liegt für mich in einer möglichen Konstellation, wie sie beim Spiel Stuttgart gegen PSG hätte entstehen können. In der alten Gruppenphase hattest du nur deine eigene Gruppe mit vier Teams. Du konntest also maximal drei weitere Mannschaften beeinflussen. Jetzt ist es anders: Wenn zwei Teams bereits sicher weiter sind, könnten ihre Leistungen viel mehr Mannschaften betreffen – positiv oder negativ. Gott sei Dank haben sowohl Stuttgart als auch PSG geliefert – dadurch gab es keine unangenehmen Fragen im Nachgang. Aber das Risiko bleibt.

Wenn die Konferenz so gut ankam – wäre es eine Überlegung, zwei zu machen? Beispielsweise an den letzten beiden Spieltagen?

Dann verliert es für mich schon wieder an Reiz. Dann schon eher am ersten Spieltag.

Also das volle Programm direkt zum Einstieg – und dann als Highlight zum Abschluss?

Genau, aber ich frage mich: Hat es denselben Reiz, wenn man es zweimal macht? Ich finde, dieser eine Termin – der achte Spieltag – hat nochmal eine besondere Strahlkraft. Jeder, der in der Champions League spielt, weiss, dass an diesem Tag alles entschieden wird. Und genau das macht diesen Spieltag so besonders. Ich würde es deshalb bei einem Termin belassen, weil das Event dadurch noch mehr Präsenz bekommt. Die Stimmung in den letzten Tagen war einfach ansteckend – und das soll so bleiben.

Über den Gesprächspartner

  • Sebastian Kneissl wagte 2000 mit nur 17 Jahren als vielversprechendes Talent (U19-Vize-Europameister) den Sprung von Eintracht Frankfurt zum FC Chelsea, kam dort aber nicht bei den Profis zum Einsatz. Er spielte anschliessend unter anderem für Fortuna Düsseldorf und Wacker Burghausen. 2014 beendete Kneissl aufgrund einer Sportinvalidität seine Profikarriere. Seit 2016 ist er unter anderem bei DAZN als Experte tätig.

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