• Die Bayern müssen im Viertelfinal-Rückspiel gegen Paris Saint-Germain mindestens zwei Tore erzielen - und dürfen keines kassieren.
  • Aber wie soll das angesichts der anhaltenden Defensivprobleme überhaupt funktionieren?
Eine Analyse

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Das Hinspiel der Bayern vergangene Woche gegen Paris Saint-Germain war in so ziemlich jeder Hinsicht skurril. Die Daten dazu liessen jedenfalls eher auf eine Partie der ersten Pokal-Hauptrunde zwischen einer Bundesligamannschaft und einem Viertligisten schliessen und nicht auf das Viertelfinale der Champions League. Neben den vielen Statistiken gab es auch das Schaubild der sogenannten realtaktischen Aufstellung.

Hier wird die durchschnittliche Position jedes Spielers markiert und bei PSG war es dann so, dass sich nur ein einziger Spieler über das Spiel verteilt länger in der gegnerischen Hälfte aufhielt als in seiner eigenen - und das war Kylian Mbappé. Die Bayern spiegelten Paris gewissermassen: Alle Feldspieler hielten sich in der Hälfte der Franzosen auf, mit Ausnahme von Innenverteidiger Niklas Süle. Jede Mannschaft hatte also eine völlig überfüllte Spielfeldhälfte und eine beinahe verwaiste.

Das Problem aus Münchner Sicht: Sie mussten permanent die stark bevölkerte Seite bespielen, während in ihrer Verteidigungszone so viel Platz war, dass Paris' Angreifer überspitzt formuliert nur sehr schnell geradeaus laufen mussten, um gefährlich vors Tor zu gelangen.

Die Krux dieser Bayern-Saison

Die Partie gegen PSG verdeutlichte die Krux dieser Bayern-Saison deshalb so spektakulär, weil Manuel Neuer diesmal keine zwei, drei Konter des Gegners noch irgendwie zunichtemachen konnte - und weil Robert Lewandowski nicht dabei war, der im Zweifel halt immer ein Tor mehr schiesst als der Gegner und damit viele Probleme einfach so unter den Teppich kehrt. Das 2:3 war der schmerzhafte Beleg für die Kluft, die sich seit dem letzten Sommer durch das Münchner Gebilde zieht.

Die Unwucht zwischen einer unglaublichen Offensive, die in jedem Spiel und gegen jeden Gegner in der Lage scheint, sich körbeweise Chancen zu erspielen, und Bayerns lascher Defensivbewegung ist enorm. Das ist ein massives Problem, weil beide Spielarten niemals voneinander getrennt bewertet und im besten Fall verbessert werden können, sondern immer nur aufeinander abgestimmt.

Etwas plastischer formuliert: Im eigenen Ballbesitz sind die Bayern ein Monster, gegen den Ball spielen sie wie ein Mittelklasse-Team aus der Bundesliga. Und das wird in der Königsklasse in der Regel bestraft.

Die Offensive als Basis für die Defensive

Das Rückspiel am Dienstag in Paris wird wohl in etwa so verlaufen wie die Partie vor ein paar Tagen in München. Die Bayern müssen mindestens zwei Tore erzielen, also müssen sie angreifen. Mit Wucht und Verve, so wie zuletzt auch. Aber sie werden deutlich besser verteidigen müssen, sonst werden aus den zwei notwendigen Toren schnell drei oder vier.

Es ist der eine grosse Vorwurf, der Hansi Flick in dieser Saison anhaftet: Seine Bayern sind in der Defensive meilenweit von dem entfernt, was man "Normalform" nennen könnte. Wobei die Gründe dafür vielschichtig sind.

Flicks Fokus liegt ganz klar auf einem sehr offensiven und mutigen Spielstil. Darauf sind die Inhalte im Training ausgelegt und die Spielmuster so gewählt, dass immer eine Offensivaktion der Ausgangspunkt für weitere Überlegungen ist. Ein Beispiel: Das Gegenpressing als schnelle Defensivmassnahme baut auf dem Positionsspiel in den Momenten vor einem möglichen Ballverlust auf. Ohne saubere Positionierung und Staffelung, ohne Nachrücken und Zuordnen, läuft die schnelle Rückeroberung des Balles ins Leere.

Flick musste im Winter schon einmal nachjustieren, als die Bayern Woche für Woche in Rückstand gerieten, und das fast immer nach demselben Muster: Die zu hoch stehende Abwehrreihe wurde einfach überlaufen, weil weiter vorne der Druck auf den Ball fehlte. Also zog Flick seine Mannschaftsteile etwas weiter auseinander und verkürzte damit den Raum im Rücken der Abwehrspieler und Torhüter Neuer.

Auf das eine Problem folgt ein neues

Das half, um die schnellen Konterattacken der Gegner besser zu kontrollieren, gibt seitdem aber den Raum vor der Abwehrreihe mehr preis. Und darauf reagieren Bayerns Kontrahenten seitdem. Zögern die Abwehrspieler nur einen Moment im Aufrücken Richtung Ball, bleibt der Raum davor für einen kurzen Moment ungesichert und anspielbar. Rücken sie sofort nach vorne, ist die Zone in ihrem Rücken verwundbar.

Diese Zwickmühle haben nun schon fast alle Bundesligisten für sich als Angriffspunkt entdeckt, wie 36 Gegentore nach 28 Spieltagen belegen. Und wenn die Gegenspieler Mbappé und Neymar heissen, also der beste Konterstürmer der Welt und der beste in engen Räumen und mit dem Rücken zum Tor, droht das Problem schier unlösbar zu werden.

Bayern-Spiele hatten in den besten Phasen der Mannschaft immer ihren eigenen Rhythmus und der wurde von den Bayern bestimmt. Wenn es aber wild hin und her geht, schmeckt das den Münchnern gar nicht.

Das entpuppt sich immer wieder als Problem und wird verstärkt von weiteren Faktoren: Die gar nicht mehr so ganz neuen Spieler im Kader waren bisher keine grosse Hilfe. Eigentlich sollten die Kaderspieler 18 bis 23 oder 25 den Dauerbrennern auch mal eine Verschnaufpause verschaffen.

Weil die Ergebnisse aber oft nicht stimmten, weil die Bayern ständig einem Rückstand hinterherlaufen mussten, blieb das Stammpersonal immer wieder (zu) lange auf dem Platz. Und bei den wenigen Ausnahmen - wie beim Pokalspiel in Kiel - waren die Ergänzungsspieler dann nicht auf der Höhe.

Immer wieder Konzentrationsschwächen

Das und der sehr enge Terminkalender sorgen dafür, dass dem einen oder anderen an sich zuverlässigen Spieler immer mal ein Fehler unterläuft. Nicht alle wirkten zuletzt körperlich und geistig frisch.

Das führt wiederum zu einer getrübten Gefahrenwahrnehmung, wie beim 0:2 gegen Paris zu sehen: Ein Gegentor dieser Art ist auf diesem Niveau schlicht inakzeptabel. Und weil dann auch noch permanent Abwehrspieler ausfallen, muss Flick immer wieder eine neue Formation in der Viererkette stellen. Wenn die Bayern dann auf einen Tiefenpass wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen reagieren wie bei Mbappés erstem Tor, könnte das auch damit zu tun haben, dass die nötige Abstimmung fehlt.

Die Bayern haben in 43 Pflichtspielen in dieser Saison 31 Mal mindestens ein Gegentor kassiert. Gegen Offensiven, die weit weniger zu bieten hatten als Paris.

Die grosse Herausforderung am Dienstagabend wird nicht nur sein, zwei Tore zu erzielen. Das haben die Bayern locker drin, zumal PSG selbst eher zweifelhaft verteidigt. Die wohl noch grössere Aufgabe besteht darin, den Laden hinten dichtzuhalten - ohne dabei die notwendige Offensivpower zu beschneiden. Das ist ein maximal anspruchsvolles Unterfangen. Aber wenn es eine Mannschaft schaffen könnte, dann ja wohl die Bayern.

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