Der eSportler Cihan Yasarlar zockt die Fussballsimulation Fifa 18 so gut wie kaum jemand in Deutschland. RB Leipzig will mit dem mehrfachen deutschen Meister auch in der virtuellen Welt ganz nach oben.
Den halben Tag zocken und damit seinen Lebensunterhalt bestreiten? Was wie der Traum vieler Heranwachsender klingt, ist für Cihan Yasarlar Alltag. Aufstehen, frühstücken und dann stundenlang an der Spielkonsole sitzen.
Der 25-Jährige aus Berlin ist professioneller eSportler und verdient seinen Lebensunterhalt damit, dass er die Fussballsimulation Fifa 18 auf der Playstation 4 besser beherrscht als die meisten anderen Menschen.
Vergangenen Herbst hat Bundesligist RB Leipzig den 25-Jährigen unter Vertrag genommen – fast wie auf dem richtigen Transfermarkt. "Mein Vertrag bei Schalke 04 lief aus und ich wollte eine Veränderung", berichtet der Berliner im Gespräch mit unserer Redaktion.
Im Trikot der Sachsen tritt der mehrfache deutsche Meister und amtierende Europameister bei Turnieren an. Neben Leipzig haben die Vorreiter Wolfsburg und Schalke sowie Stuttgart und Leverkusen eSportler unter Vertrag.
Rundumbetreuung wie die Profis
Wenn Yasarlar, dunkle Haare und Vollbart, durch die Trainingsakademie in Leipzig schlendert, kann man ihn locker für einen Fussballprofi halten. Dabei besitzt er keinen goldenen Fuss wie Nationalspieler Timo Werner, sondern den goldenen Daumen.
Vier bis acht Stunden am Tag – mehr als Werner & Co – trainiert er, um weitere Titel zu gewinnen. Das Ziel: die Reaktionsgeschwindigkeit verbessern und mit wenigen Spielzügen die gegnerische Abwehrkette aushebeln.
Er spricht von Pressing, um Druck zu machen, davon das eigene Spiel durchzusetzen und die Abwehr notfalls von einer Dreierkette auf eine Vierer umzustellen – wie ein Fussballprofi.
Dass RB sein Engagement nicht nur als Spielerei oder Marketinggag betrachtet, zeigt sich in der Rundumbetreuung, die er geniesst. Dazu gehören sportliche Leistungstests, Trainings- und Ernährungsplan, Gespräche mit einem Sportpsychologen.
"Diese Dinge sind wichtig, damit ich auch als E-Sportler besser werde", sagt der 25-Jährige. "Gerade der körperliche Ausgleich ist für uns Profi-Gamer von Bedeutung, um die Konzentrationsfähigkeit hochzuhalten."
Irgendwann soll auf dem RB-Gelände ein eigener Zockerraum entstehen. Derzeit hält sich Yasarlar nur sporadisch in Sachsen auf.
Mit Hilfe des Trainings will er bei FUT-Turnieren wie der Global Series, der virtuellen Bundesliga und der ESL-Meisterschaft erfolgreich sein. Sein grosses Ziel ist die Qualifikation für die virtuelle Fifa-Weltmeisterschaft im August.
In seinen alten Beruf als Bürokaufmann möchte der Berliner, der im Stadtteil Neukölln gross geworden ist, nicht zurückkehren. Muss er auch gar nicht: Laut "Süddeutscher Zeitung" verdient Yasarlar einen "niedrigen sechsstelligen" Betrag im Jahr.
Was RB ihm überweist, ist unbekannt. Für einen Turniersieg fliessen schon mal fünfstellige Summen. In Japan gibt es eSportler, die es an der Konsole zum Millionär geschafft haben.
E-Sportler sollen junge Fans binden
Aber warum haben RB Leipzig und die anderen Bundesligisten überhaupt den eSport für sich entdeckt? Der Spielemarkt ist milliardenschwer und wächst weiter, die Zielgruppe jung – und damit auch für Bundesligisten attraktiv.
Fast jeder zehnte Zocker in Deutschland hat laut einer Umfrage selbst an Online-Turnieren und -Ligen teilgenommen. Wenn Yasarlar Erfolge feiert, tritt er im RB-Trikot als Markenbotschafter und Multiplikator auf.
Der eine oder andere seiner Fans kann so womöglich auch für RB Leipzig und die Produkte eines österreichischen Dosenfabrikanten begeistert werden. Allerdings stossen seine teils plakativen Produktplatzierungen auf Facebook nicht bei allen Usern auf Gegenliebe. RB polarisiert eben.
"Wir haben festgestellt, dass unsere junge Fanbase immer mehr wächst und sich gerade auch im Thema eSports sehr zu Hause fühlt", teilte ein Vereinssprecher auf Anfrage unserer Redaktion mit. Es stecke in diesem Bereich viel Potenzial. "Fussball ist schon lange nicht mehr nur in der realen Welt in den Stadien omnipräsent, sondern hat schon längst die virtuelle Welt erobert", heisst es weiter.
Die Youtube-Videos, auf denen sich Fans Yasarlars Spiele oder Tricks anschauen, erreichen mehr als 100.000 Klicks.
Auch die RB-Leipzig-Profis greifen im Übrigen gern mal zum Controller. Mit Diego Demme, Bernardo und Kevin Kampl hat der Berliner schon gezockt. "Diego ist auf jeden Fall sehr gut und sollte es mit dem Fussball bei ihm nichts werden, hätte er mit ein wenig Training grosses Potenzial im E-Sport", sagt der Gamer.
Für ihn ist klar, dass eSport es verdient hätte, als Sportart anerkannt zu werden. "Die mentale Beanspruchung ist enorm und ich muss vor allem im Bereich der Konzentrationsfähigkeit ein Top-Niveau erreichen."
Dann wird es auch mit einer weiteren deutschen Meisterschaft oder sogar mit dem WM-Titel klappen. Während seine kickenden RB-Kollegen in der Bundesligatabelle längst abgeschlagen sind.
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