Kontinuität, Bodenständigkeit und ein paar ungewöhnliche Konzepte unterscheiden den 1. FC Heidenheim von vielen anderen Profi-Klubs in Deutschland. Zum DFB-Pokal-Gegner FC Bayern München ist der FCH quasi der komplette Gegenentwurf. Porträt eines Klubs, der mit schlauen Ideen im Profi-Zirkus erfolgreich ist.
Es ist ein beschwerlicher Weg hinauf auf den Schlossberg, es ist sehr steil, es zieht sich und am Ende ist man ausser Atem, wenn man irgendwann angekommen ist.
Der Fussmarsch hinauf in die Heimstatt des 1. FC Heidenheim ist wie ein Sinnbild für den gesamten Klub: Man muss schon etwas leisten, wenn man nach oben will. Geschenkt gibt es nichts.
So sehen sie sich hier am liebsten, kokettieren aber nicht mit ihrem Image wie anderswo, wenn Maloche und Kult in einen Topf geworfen werden und daraus so etwas wie Identifikation entstehen soll.
In Heidenheim geben sich Gefühl und Pragmatismus die Hand, sonst wäre Profi-Fussball an diesem Standort auch heute noch eine Illusion. Eine Symbiose, die sich durch alle Bereiche des Klubs zieht.
So beherbergt der 1. FC Heidenheim gemessen am Fassungsvermögen der Voith-Arena von 15.000 Plätzen etwa die meisten Business-Seats im deutschen Profi-Fussball. Hier trifft sich die Wirtschaftskraft der Region, vom Auto-Händler bis zum Metzger beim Fussball.
Und wenn kein Fussball ist, wird die Arena eben anderweitig genutzt. Über 300-mal im Jahr vermietet der Hausherr seine Räumlichkeiten. Der Hausherr, das ist Holger Sanwald.
Von der Landesliga in die zweite Liga
Der Verein ist seine Lebensaufgabe. Sanwald hat den Klub übernommen, da kämpfte der Heidenheimer Sportbund in der Landesliga gegen den Abstieg. Spätestens mit der Ausgliederung der Fussballabteilung vor zwölf Jahren nahm die Geschichte auf der Ostalb Fahrt auf, von da an ging es steil nach oben.
"Nicht im Fahrstuhl, sondern über die Treppe", sagt Sanwald. Er nennt es eine glückliche Fügung des Schicksals, dass sich zur rechten Zeit ein paar Menschen eingefunden hatten, die "bereit sind, einige Dinge komplett anders anzugehen. Daraus entsteht eine ganz besondere Energie. Und die treibt uns immer weiter", wie er dem Magazin "Socrates" erzählte.
Es gibt Menschen, die sehen immer so aus, als wären sie gerade lieber woanders. Holger Sanwald wäre wohl am liebsten jeden Tag in der Voith-Arena. Kein Zauderer, ein Schaffer, wie sie in Schwaben sagen. Einer, der etwas auf die Beine stellen kann.
Nicht allein, aber als Kopf eines kleinen Zirkels an anderen Schaffern und Strippenziehern, die aus dem Fussballverein des 50.000-Einwohner-Städtchens eine Nummer im deutschen Profi-Fussball gemacht haben. Oder zumindest ein Nümmerle.
Eine einzigartige Kontinuität
Sanwald als Geschäftsführer und Heidenheims Oberbürgermeister Bernhard Ilg haben einen engen Draht, sind jahrelange politische Weggefährten. Es ist sicher kein Nachteil, dass die Grenzen zwischen Politik und Sport in Heidenheim fliessend verlaufen.
So stimmte der Stadtrat vor einigen Jahren mit 23 zu 5 Stimmen für die Übereignung der Voith-Arena an den Klub - für den symbolischen Wert von einem Euro.
Nur mit einer vernünftigen Basis schafft man allerdings auch nicht vier Aufstiege in elf Jahren. Es ist die Herangehensweise, die Heidenheim von vielen anderen Standorten unterscheidet.
Kaum ein anderer Profi-Klub in Deutschland hat auf den entscheidenden Positionen so viel Kontinuität entwickelt wie der 1. FC Heidenheim. Sanwald und sein Trainer
Tingeltouren übers Land
Der Klub ist nicht abhängig von einigen wenigen Geldgebern. Mittlerweile sammelt Heidenheim das Geld bei rund 450 Sponsoren, die Mehrzahl davon Mittelständler aus Ostwürttemberg oder dem angrenzenden Bayern.
In der Region tummeln sich Firmen, die in den unterschiedlichsten Segmenten Weltmarktführer sind - sie gilt als eine der wirtschaftsstärksten in ganz Europa. Die Sponsoringpakete reichen vom niedrigen vierstelligen Betrag bis hin zum Hauptsponsor-Betrag. In Heidenheim wirbt der Bäcker aus dem Stadtteil ebenso wie Porsche.
Diese Unternehmen und ihre Macher zusammenzubringen, sie miteinander zu verknüpfen und ihnen eine Anlaufstelle zu bieten, ist ein tragender Pfeiler im Heidenheimer Konzept.
Sanwald hat unzählige Gespräche geführt, Kontakte geknüpft und Verbindungen hergestellt. Er ist über die Dörfer getingelt und hat Sponsoren und Förderer an Land gezogen. Da holt man sich auch mal eine blutige Nase, aber die Region hat erkannt, was beim 1. FC Heidenheim möglich ist.
Immer geerdet bleiben
Das Nachwuchsleistungszentrum ist klein, aber die Jugendmannschaften im Leistungsbereich haben es wieder in die jeweilige Bundesligastaffel geschafft. Das ist den Machern von der Ostalb sehr wichtig.
Der Klub ist dringend darum bemüht, geerdet zu bleiben. Im letzten Eck der Gegengeraden steht immer noch ein kleiner Kiosk, die Voith-Arena wurde gewissermassen um diese Reminiszenz an die Landesliga-Zeiten des Klubs herumgebaut. Es war für die Entscheidungsträger eine Selbstverständlichkeit, die urige Atmosphäre rund um die Kultstätte im Stadion zu konservieren.
Es sind die kleinen Details, die den Klub unterscheiden vom Gros der anderen Profivereine in Deutschland - und die ihm eine Grundlage schaffen, sich im Geschäft des Grosskapitals zu behaupten.
Auch sportlich klopft die Mannschaft immer vehementer an die Tür zur Bundesliga. Mit den beiden starken Absteigern Köln und Hamburg ist in dieser Saison wohl nicht viel mehr möglich, aber auf lange Sicht würden sie auch in Heidenheim gerne noch eine Etage höher.
Schmidt und Schnatterer als Institutionen
Verantwortlich dafür ist der Trainer. Frank Schmidt ist ein paar Meter entfernt vom Stadion geboren, ihn hat es als Profi einst nach Nürnberg, Fürth, Aachen und Wien verschlagen. Mit seiner Rückkehr und der eher zufälligen Beförderung zum Cheftrainer begann der sportliche Aufstieg.
Schmidt hat eine sehr verbindliche Art und was er sagt, meint er auch genau so, wie er es sagt. Das klingt dann so: "Ich kann meine Spieler in den Arm nehmen, aber sie können auch den Schuh in den Arsch bekommen. Das verstehe ich unter einem ehrlichen Umgang miteinander."
Der Trainer hat ein recht altmodisches Kriterium ganz oben auf seine Agenda gepackt: den Teamgeist. "Fehler zu machen, ist bei uns ausdrücklich erlaubt. Aber Fehler bitte aus Leidenschaft und Mut. Und nicht aus Dummheit und Faulheit", sagt er.
Mittlerweile kommt es immer seltener vor, dass Spielerberater die Nase rümpfen, wenn sie einen Anruf aus Heidenheim bekommen. Der Klub hat sich in der Branche einen guten Ruf erarbeitet.
Heidenheim ist zu einer Anlaufstation geworden für jene, die sich entwickeln wollen oder es anderswo nicht geschafft haben. Marc Schnatterer ist so ein spezieller Typ. Auch er ist schon fast elf Jahre im Klub, Kapitän, verlängerter Arm des Trainers.
Mit dem Pokalspiel beim FC Bayern geht für die ganze Region, aber auch für Schnatterer, der einst für die zweite Mannschaft des KSC nicht mehr gut genug war, ein Traum in Erfüllung. Vielleicht wartet am Ende das Pokal-Halbfinale.
Verwendete Quellen:
- Socrates: "Power der Provinz"
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