Der Spielabbruch zwischen Albanien und Serbien ist der Aufreger der gestrigen EM-Qualifikationsspiele. Dabei musste der Sport einer alten politischen Debatte weichen. Der Konflikt - ausgetragen auf der Bühne des Fussballs - könnte nun Einfluss auf die diplomatischen Beziehungen beider Länder haben.

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In der 42. Minute musste der britische Schiedsrichter Martin Atkinson die Partie in Belgrad nach einer halbstündigen Unterbrechung abrechen. Die albanischen Spieler hatten sich geweigert, erneut das Spielfeld zu betreten, auf dem sie zuvor von serbischen Zuschauern attackiert worden waren. Ursprung der Tumulte war eine Drohne, an der eine grossalbanische Flagge befestigt war und die damit einem seit Jahren schwelenden Konflikt neue Brisanz verlieh.

Konflikt um Grossalbanien als Auslöser

Der Konflikt zwischen Serben und Albanern geht zurück bis zur Unabhängigkeitserklärung Albaniens nach dem ersten Balkankrieg im Jahr 1912. Damals waren die Grenzen der Balkanregion durch die Londoner Botschafterkonferenz neu beschlossen worden, um einer Expansion Serbiens bis zur Adria entgegenzuwirken. Dadurch befand sich knapp die Hälfte der albanischen Bevölkerung ausserhalb des heutigen Albaniens auf eroberten Gebieten von Mazedonien und dem Süden Serbiens, darunter der heutige Kosovo.

Seitdem fordern albanische Nationalisten eine Wiedervereinigung. Diese Forderung erhielt durch die Unabhängigkeit des Kosovo im Jahr 2008 neue Nahrung und liess besonders die albanische Bevölkerung im Süden Serbiens nach mehr Autonomie verlangen. Einen Anschluss des Kosovo an Albanien verhindert eine Vereinbarung mit der EU, welche eine Aufhebung der Grenzen verbietet.

Ministerpräsident Edi Rama wird am 22. Oktober als erster albanischer Regierungschef nach Serbien reisen, wobei auch über den Kosovo-Konflikt beraten werden soll. Zusätzliche Brisanz erhält dieser Besuch nun durch die Provokation beim gestrigen EM-Qualifikationsspiel. Pikanterweise geht dieser Vorfall wohl auf das Konto von Olsi Rama, den Bruder des Ministerpräsidenten, der von seiner VIP-Loge aus die Drohne gesteuert haben soll, wie serbische Medien berichten.

Fussballspiele werden als politische Bühne missbraucht

Es ist nicht das erste Mal, dass ein internationales Fussballspiel einer serbischen Mannschaft als Bühne für politische Zwecke missbraucht wird. In lebhafter Erinnerung ist das EM-Qualifikationsspiel im Oktober 2010 zwischen Italien und Serbien in Genua. "Die grösste Schande in der Geschichte des serbischen Sports" schrieb die Zeitung "Politika" damals, nachdem serbische Hooligans dafür sorgten, dass das Spiel nach nur sechs Minuten abgebrochen wurde.

An politischen Hintergründen zweifelte zu diesem Zeitpunkt niemand. "Das war inszeniert. Die Auftraggeber sitzen in Belgrad", sagte damals Tomislav Karadzic, der Chef des Serbischen Fussballverbandes. Ähnlich sah es Slobodan Homen, Staatssekretär im Justizministerium, der eine Torpedierung der pro-europäischen Bestrebungen des Landes sah: "Offensichtlich will jemand beweisen, dass Serbien weder bereit noch reif für Europa ist." Während der Randale wurde auch eine albanische Flagge verbrannt, die als inoffizielle Flagge des Kosovo gilt.

Politische Annäherung der Staaten gefährdet

Schon länger streben Albanien, Serbien und der Kosovo nach einer Aufnahme in die EU. Die Europäische Union hatte bisher im Konflikt um die Unabhängigkeit des Kosovo, die von serbischer Seite bis heute nicht anerkannt wird, immerhin vermittelnd eingreifen können. Im April 2013 schlossen die Regierungen des Kosovo und Serbien ein Abkommen zur Normalisierung der beiderseitigen Beziehung.

Angesichts des bevorstehenden Besuches des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama in Serbien kommt der Vorfall in Belgrad zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt und es scheint nicht ausgeschlossen zu sein, dass auch hinter diesem Vorfall politische Hintermänner stehen, die die proeuropäischen Bestrebungen Serbiens einmal mehr unterwandern wollen - auch wenn Olsi Rama indes bestreitet, die Drohne gesteuert zu haben.

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