Der deutsche Fussball beherrschte die Welt, als es 1974 in die Qualifikation für die anstehende Europameisterschaft in Jugoslawien ging.

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Deutschland war amtierender Welt- und Europameister, der FC Bayern hatte zum ersten Mal den Europapokal der Landesmeister gewonnen und sollte diesen Erfolg bis zum ersten Spiel in Jugoslawien sogar noch zweimal wiederholen.

Und dennoch geriet die Qualifikation abermals zu einer echten Hängepartie. Insgesamt meldeten 32 Verbände für die Titelkämpfe, die Mannschaft von Bundestrainer Helmut Schön wurde zusammen mit Bulgarien, Griechenland und Malta in Gruppe 8 gelost. Mit 9:3 Punkten (drei Siege, drei Remis) quälte sich die Mannschaft durch die Qualifikation. Schön hatte Probleme mit seinen Stars und einen Umbruch im Team zu verkraften. Immerhin erzielte Berti Vogts beim abschliessenden 8:0-Sieg über Malta per Kopf das einzige Tor seiner Länderspielkarriere.

Die Sensation der Qualifikation gelang der Tschechoslowakei. Die CSSR warf in Gruppe 1 den haushohen Favoriten England aus dem Turnier. Das Hinspiel hatten die Engländer noch 3:0 gewonnen, im Rückspiel in Bratislava verloren die Three Lions im dichten Nebel offenbar komplett die Orientierung und verloren 1:2. Beide Teams waren nun einen punktgleich, der letzte Spieltag musste entscheiden. Während die CSSR auf Zypern 3:0 gewann, mussten die Engländer durch das 1:1 in Portugal alle ihre Träume begraben. Coach Don Revie trat ein Jahr später zurück.

Die UEFA wollte das Turnier erstmals an einen Staat aus dem Ostblock geben, an Jugoslawien. Voraussetzung dafür war jedoch, dass sich die Jugos auch für die Runde der letzten Vier qualifizierten. Im Viertelfinale wartete das Überraschungsteam aus Wales. Das Hinspiel im Gradski Stadion in Zagreb gewannen die Jugoslawen 2:0. Im Rückspiel in Cardiff einen Monat später ging es dann drunter und drüber. 32.486 Fans drängten sich in den viel zu kleinen Ninian Park und sahen ein überhartes, fast brutales Spiel. Wales marschierte von der ersten Minute an, die Gäste wehrten sich gegen das körperbetonte Spiel mit unglaublicher Härte.

Nach 16 Minuten ging Jugoslawien in Führung, Evans glich noch vor der Pause aus. Die zweite Halbzeit wurde dann zu einem einzigen Spiessrutenlauf für Schiedsrichter Rudi Glöckner aus der DDR. Zuerst verweigerte er den Walisern einen Treffer, danach einen klaren Elfmeter. Die Fans reagierten mit "Sieg-Heil"-Rufen, einige Zuschauer rannten auf den Rasen. Das Spiel stand kurz vor dem Abbruch. Wenige Minuten vor dem Ende verschossen die Gastgeber auch noch einen Elfmeter: Nun waren die Fans völlig ausser Rand und Band und stürmten das Spielfeld. Die Polizei brachte die Massentumulte erst nach einigen Minuten unter Kontrolle. Jugoslawien war für die Endrunde qualifiziert, Wales wurde von der UEFA für die kommende EM gesperrt.

Weniger turbulent ging es im Viertelfinale der Deutschen zu. In Madrid holte das DFB-Team gegen Spanien ein wichtiges 1:1. Beim Rückspiel im Berliner Olympiastadion machte Uli Hoeness eines seiner besten Länderspiele und erzielte das frühe 1:0. Klaus Toppmöller mit seinem ersten Tor im ersten Einsatz machte das Halbfinale perfekt.

Neben Deutschland und Jugoslawien schafften auch die Niederlande (5:0 und 2:1 gegen Belgien) und die Tschechoslowakei (2:2 und 2:0 gegen die UdSSR) den Sprung in die Endrunde. Das erste Halbfinale zwischen dem haushohen Favoriten Niederlande und der CSSR geriet für die Oranjes zum Deja-vu-Erlebnis. Wie schon zwei Jahre zuvor in Deutschland scheiterte das Team von Rinus Michels an seiner eigenen Überheblichkeit. Vor dem Spiel war in Holland nur die Rede von der anstehenden Revanche gegen Deutschland, im Finale natürlich. Über den Gegner im Semifinale sprach niemand. Für den Titelgewinn handelte Kapitän Johan Cruyff für die Elftal 25.000 Gulden pro Spieler aus.

Der erste Schock ereilte die Niederländer schon früh: Anton Ondrus drückte einen Ball aus kurzer Distanz über die Linie (23.). Danach wurde die Partie überhart, der Tscheche Pollak und der Holländer Neeskens mussten jeweils mit Rot vom Platz. Der glückliche Ausgleich gelang dem Favoriten durch ein Eigentor von Ondrus. In der Verlängerung holte sich dann Cruyff wegen Meckerns die zweite Gelbe Karte des Turniers ab – in einem möglichen Finale wäre er gesperrt gewesen. Kurz darauf erzielte Nehoda per Kopf das 2:1 und Vesely gelang kurz vor dem Ende die Entscheidung. Hollands van Hanegem flog wegen Schiedsrichterbeleidigung ebenfalls noch vom Platz.

Im zweiten Halbfinale stand es bereits nach 32 Minuten 2:0 – allerdings nicht für Deutschland. Die Jugoslawen überrannten den Titelverteidiger vor 56.000 frenetischen Fans im Marakana zu Belgrad in der Anfangsphase förmlich. Heinz Flohe gelang nach dem Wechsel der Anschlusstreffer. Deutschland drückte nun, die Gastgeber waren konditionell fast schon am Ende. In der 80. Minute sorgte Bundestrainer Schön dann quasi für die Entscheidung. Er brachte den jungen Dieter Müller. Nur 120 Sekunden später erzielte der Kölner mit seiner ersten Ballberührung sein erstes Länderspieltor und brachte Deutschland damit in die Verlängerung. Und Müller war es auch, der das Spiel dann in der Endphase mit zwei weiteren Treffern (115. und 120.) für Deutschland entschied.

Das Finale von Belgrad sollte dann aus vielerlei Hinsicht in die Geschichte eingehen. Wie im Halbfinale lag die deutsche Elf schon wieder schnell mit 0:2 zurück. Wieder Müller und Bernd Hölzenbein quasi mit dem Schlusspfiff erzwangen die Verlängerung. Nach 30 torlosen Minuten musste zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte eines grossen Turniers ein Elfmeterschiessen entscheiden. Die Tschechen Masny, Nehoda, Ondrus und Jurkemik trafen, für den Titelverteidiger waren Bonhof, Flohe und Bongartz erfolgreich, ehe sich Uli Hoeness den Ball zurecht legte.

Der Münchener lief an und jagte den Ball in den Belgrader Nachthimmel. Antonin Panenka von Bohemians Prag hatte die Entscheidung auf dem Fuss. Kurzer Anlauf, Sepp Maier flog in die linke Ecke. Panenka allerdings schnippte den Ball nur kurz an und der leichte Lupfer landete in der Tormitte im Netz. Die "deutsche Fussballmaschine" hatte ausgedient, wie die "L'Equipe" schrieb, der "Kicker" sprach von einer Wachablösung. In der Tat hatte das deutsche Spiel viel von seinem früheren Glanz verloren. Bundestrainer Helmut Schön sollte die kommende EM schon gar nicht mehr erleben… .

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