Die EM 2004 hatte ihren Ursprung am 12. Oktober 1999 in Aachen. Dort vergab die UEFA die Titelkämpfe an Portugal – und überging dabei die ebenfalls aussichtsreich gestarteten Österreich und Ungarn, die das Turnier in Co-Produktion austragen wollten und Spanien. Nach den negativen Erfahrungen aus den Turnieren 1996 und vor allem 2000 schaffte die UEFA das Golden Goal und ersetzte es durch das so genannte Silver Goal: Das Spiel wird nur bei Führung eines Teams nach einer ganzen Verlängerungshalbzeit entschieden.

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50 der 52 UEFA-Verbände meldeten sich für die Qualifikation. Kasachstan als jüngstes Mitglied verzichtete, Portugal war als Gastgeber natürlich schon qualifiziert. Deutschland wurde in Gruppe 5 gelost, zusammen mit Schottland, Island, Litauen und den Färöer Inseln. Pikant dabei: Bei den Schotten stand der ehemalige Bundestrainer Berti Vogts an der Seitenlinie. Die Qualifikation verlief recht holprig. Gegen die Färöer kam es beinahe zweimal zur Komplett-Blamage (2:1 und 2:0), gegen Litauen spielte die DFB-Elf zu Hause gar nur 1:1.

Den Vogel schoss die DFB-Elf aber auf Island ab. Beim 0:0 gab es keine einzige echte Torchance von Ballack und Co. zu bewundern, was die Experten kurz nach dem Spiel heftig kritisierten – und Teamchef Rudi Völler zur Explosion brachte. „Jaja, du sitzt hier schön und hast schon das dritte Weissbier drin. Ich kann diesen Käse nicht mehr hören. Wenn wir kein geschossen haben, ist das noch ein tieferer Tiefpunkt, als wir eigentlich schon hatten. So einen Scheiss, den kann ich nicht mehr hören“, wetterte Völler im Fernsehstudio der ARD dem perplexen Waldemar Hartmann entgegen.

Die Wutrede von Tante Käthe ist bis heute legendär, der Weissbier-Waldi war geboren. Hartmann hat noch heute einen lukrativen Vertrag mit einer Münchener Brauerei am Laufen. Die letzten beiden Partien gegen Schottland und Island wurden zu Endspielen, die die deutsche Elf dann aber souverän für sich entschied (3:0 und 2:1) und als Gruppensieger das EM-Ticket löste. Die Schotten wurden Zweiter und bekamen es in den Playoffs mit den Niederlanden zu tun, wo es gegen Oranje aber nicht zur Qualifikation reichte (1:0 und 0:6). A propos Playoffs: Das kleine Lettland schaffte dort die Sensation und kegelte mit der Türkei immerhin den WM-Dritten aus dem Wettbewerb.

Die Auslosung zur Endrunde im Dezember 2003 liess der deutschen Elf den Atem stocken: Mit Holland und Tschechien erwischte Deutschland zwei richtig dicke Brocken. Aussenseiter Lettland wurde indes kaum beachtet. Teamchef Völler sprang kurz vor dem EM-Turnier über seinen Schatten und nahm mit Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski zwei junge Himmelsstürmer mit nach Portugal.

Der Auftakt gegen die Niederlande machte tatsächlich Hoffnung Torsten Frings’ Freistoss landete nach 30 Minuten im holländischen Tor. Danach bot Deutschland eine konzentrierte Leistung, musste aber neun Minuten vor dem Ende doch noch den Ausgleich durch Ruud van Nistelrooy hinnehmen.

Die zweite Partie gegen die frechen Letten wurde dann zum Offenbarungseid und ersten Tiefpunkt: Beim 0:0 blamierte sich der haushohe Favorit bis auf die Knochen. Da die Tschechen die Niederlande in einem phantastischen Spiel 3:2 niedergerungen hatten, brauchte Deutschland in der letzten Partie gegen eben jene Tschechen unbedingt einen Sieg. Tschechiens Trainer Karel Brückner schonte gegen die DFB-Elf gleich acht seiner Stars und trat im für ihn bedeutungslos gewordenen Spiel mit einer besseren B-Elf an.

Ballack brachte Deutschland in Führung, Marek Heinz glich aber nur kurze zeit später aus. Deutschland berannte in der zweiten Halbzeit das tschechische Tor, vergab aber eine Vielzahl bester Möglichkeiten. Nach einem Konter der Tschechen in der 77. Minute besiegelte Milan Baros mit seinem 2:1 das deutsche Schicksal. Erneut war der dreifache Europameister bereits in der Vorrunde gescheitert. Rudi Völler nahm 24 Stunden nach dem Aus seinen Hut. Nach einigen Irrungen und Wirrungen präsentierte der DFB dann einige Wochen später Jürgen Klinsmann als neuen Teamchef.

So trist der Auftritt der DFB-Elf war, so spektakulär gestalteten sich die restlichen Vorrunden-Gruppen. Portugal mogelte sich in Gruppe A am letzten Spieltag ausgerechnet gegen den grossen Nachbarn Spanien ins Viertelfinale. Griechenland verblüffte als Gruppenzweiter – es sollten noch weitere Überraschungen folgen. In Gruppe B kam es gleich zum Auftakt zum Duell der Giganten zwischen England und Frankreich. Die Engländer führten bis zur 91. Minute 1:0, David Beckham hatte sogar noch einen Elfmeter verschossen. Dann zirkelte Zindeine Zidan einen Freistoss zum Ausgleich ins Netz. Im totalen englischen Chaos erlief Thierry Henry einen zu kurzen Rückpass von Steven Gerrad auf Keeper David James, der sich nur durch ein Foul zu helfen wusste. Zidane blieb eiskalt und gab den Engländern in der Schlusssekunde den Todesstoss.

Am Ende kamen aber beide Favoriten durch Siege gegen Kroatien und die Schweiz ins Viertelfinale. Dramatik pur in Gruppe C: Vor dem letzten Spieltag genügte Schweden und Dänemark ein remis, um sicher im Viertelfinale zu stehen. Da die beiden Skandinavier am dritten Spieltag aufeinander trafen, vermutete Italien bereits vor dem Spiel eine grosse Verschwörung. Gegen Bulgarien warf sich die Squadra dann aber beinahe selbst aus dem Turnier, ehe Antonio Cassano in der Schlussminute doch noch zum 2:1 traf. In der anderen Partie stand es zu diesem Zeitpunkt 2:1 für Dänemark – womit die Schweden draussen gewesen wären. In der 91. Minute aber traf der Schwede Mattias Jonson aus dem Gewühl heraus zum 2:2 und die Italiener mussten die heimreise antreten. Wilde Spekulationen machten die Runde, das Spiel der Dänen und Schweden sei abgesprochen gewesen, vom nordischen Pakt war die Rede.

„Die Wahrheit des Ausscheidens aber ist: In dieser Mannschaft stand kein einziger Champion“, brachte es die „La Stampa“ auf den Punkt. Schlimmer noch: der einzige Superstar Francesco Totti nahm sich nach seiner üblen Spuckattacke gegen den Dänen Christian Poulsen im ersten Spiel gleich selbst aus dem Turnier. Die Viertelfinals wurden bestimmt durch die Elfmeterschiessen. Portugal und England lieferten sich im Estadio da Luz zu Lissabon einen echten Krimi. Nach 120 Minuten stand es 1:1. das Elfmeterschiessen danach wurde zum dramatischsten seit langer Zeit. Rui Costa für Portugal und David Beckham, der bei seinem Schuss wegrutschte, verschossen.

Portugals Keeper Ricardo entledigte sich dann seiner Handschuhe und hielt den Versuch von Darius Vassell mit blossen Händen. Den entscheidenden letzten Elfmeter verwandelte Portugals Nummer eins dann selbst und Portugal stand im Halbfinale. Auch zwischen Holland und Schweden kam es zum Elfmeterschiessen. Die Niederlande – gebrandmarkt durch das EM-Halbfinale vier Jahre zuvor gegen Italien – schüttelte aber ihr Trauma ab und setzte sich 5:4 durch.

Die Überraschung schaffte Griechenland, das den amtierenden Europameister Frankreich durch einen Kopfballtreffer von Angelos Charisteas entthronte. Einzig die Partie Tschechien gegen Dänemark wurde zu einer klaren Angelegenheit: Di Tschechen setzten sich erwartungsgemäss 3:0 durch. Im ersten Halbfinale dominierte Portugal die Niederlande fast nach Belieben. Der Gastgeber spielte Oranje förmlich an die Wand und führte nach 60 Minute 2:0. Ein Eigentor lief die Holländer zwar noch mal hoffen, zum Remis reichte es an diesem tag aber nicht mehr. Die nächste Überraschung im zweiten Halbfinale: Nicht Tschechien, sondern der krasse Aussenseiter Griechenland setzte sich durch. Nach torlosen 90 Minuten entschied das erste Silver Goal der Geschichte durch Traianos Dellas die Partie. König Otto Rehhagel und seine Griechen standen tatsächlich im Finale.

Kein Experte und kein Zuschauer im ausverkauften Estadio da Luz – die griechischen Fans mal ausgenommen – glaubten wirklich an die Sensation. Im Eröffnungsspiel hatten die Griechen den Gastgeber 2:1 bezwungen. Nochmal würde sich Portugal nicht so düpieren lassen. Und wieder kam es anders. Portugal rannte verzweifelt an, doch Rehhagels Abwehrbollwerk hielt jedem Angriff stand. In der 57. Minute versetzte Charisteas mit seinem Kopfball nach einer Ecke von Basinas den Portugiesen den Genickschuss.

Portugal versuchte alles, die Griechen aber standen in der defensive phantastisch. Auch der neue Superstar Cristiano Ronaldo vermochte den Abwehrriegel nicht zu knacken. Als Schiedsrichter Dr. Markus Merk nach 94 Minuten abpfiff, hatten die europäischen Titelkämpfe ihre bis dato grösste Sensation: Griechenland war Europameister! In der griechischen Heimat wurden die Helden von Millionen Fans auf dem Olymp empfangen. Otto Rehhagel wurde zum Ehrenbürger Griechenlands ernannt.

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