Ein Skandal um eine Jubelpose überschattet den Türkei-Sieg im EM-Achtelfinale gegen Österreich. Der zweifache Torschütze Merih Demiral benutzte die Geste der Grauen Wölfe, einer rechtsextremistischen Bewegung. Sein Land wird dafür wohl büssen müssen.
Natürlich versuchte Merih Demiral sofort alles, um seine Geste zu verharmlosen.
Der türkische Nationalspieler lieferte eine einfache Erklärung, warum er den kleinen und Zeigefinger ausgestreckt und die restlichen Finger an beiden Händen zu einer Wolfsschnauze geformt hat: Er will das Fingerspiel beim Publikum gesehen und nur nachgemacht haben. Selten so gelacht.
Politische Botschaften überschatten sportlichen Erfolg
Der Wolfsgruss überschattet den sportlichen Erfolg der Türkei bei dieser EM. Seine beiden Tore beim überraschenden 2:1 im Achtelfinale gegen Österreich sind plötzlich nachrangig: Bis morgen will der europäische Fussballverband Uefa entscheiden, ob Demiral überhaupt zum Viertelfinale am Samstag gegen die Niederlande antreten darf.
Entlastende Argumente gibt es nicht. Demiral wusste, was er tat. Der Wolfsgruss ist das Symbol für die "Grauen Wölfe" aus der rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung. Jeder Türke kennt das Zeichen so wie jeder Deutsche den Hitlergruss. Die Uefa hat keine Wahl und muss ihn sperren. Die Statuten verbieten Spielern politische Botschaften auf und neben dem Rasen.
Bereits mehrere solcher Fälle bei dieser EM
Den albanischen Nationalspieler Mirlind Daku sperrte die Uefa für zwei Spiele, weil er die Fans zu nationalistischen Sprechchören animiert hatte. Dem englischen Superstar Jude Bellingham droht schon ein Verfahren für eine obszöne, aber vergleichsweise harmlose Handbewegung: Er hatte nach seinem Fallrückzieher-Tor gegen die Slowakei eine Bewegung Richtung Gemächt angedeutet.
Jetzt der Fall Demiral. In Deutschland wird die Bewegung der Grauen Wölfe vom Verfassungsschutz beobachtet, in Österreich ist der Wolfsgruss sogar verboten. Man kann die Gesetze in einem Land, wo man zu Gast ist, ignorieren. Aber dann muss man auch die Konsequenzen tragen. In diesem Fall: Ein Spiel Sperre wäre angebracht.
Angst vor Reaktionen und Ausschreitungen
Aber die Uefa will nichts übereilen. Eine harte Strafe kann ungeahnte Folgen auf den Strassen haben. Einerseits freut man sich, wenn Menschen, die sich mit der türkischen Nationalmannschaft identifizieren, ausgelassen ihren sportlichen Erfolg in einem Autokorso feiern. Andererseits ist offensichtlich: Die Freude schlägt nicht selten in Aggression und Angriff über.
In Massen fliegen in den Stadien Trinkbecher Richtung Eckfahne, wenn Spieler der gegnerischen Mannschaft zum Eckball antreten. Beim Achtelfinale in Leipzig wurden vorsichtshalber die Polizeikräfte verstärkt, damit kein Platzsturm nach dem Abpfiff drohte. Tatsächlich wurde der genannte Wolfsgruss nicht selten in den Fankurven gesichtet.
Die Uefa kann das nicht länger tolerieren. Schon jetzt muss man feststellen: Das Turnier wurde zu oft für politische Propaganda missbraucht. Jede Toleranz würde jetzt Nachahmer motivieren, ihre Botschaften auf ganz grosser Bühne loszuwerden. Damit ist der Fussball nie gut gefahren. Demiral ist 26 Jahre alt. Er muss die Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Trotz der beiden Tore.
Über den Autor
- Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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