Europameisterschaften sind bislang nicht die Turniere des Thomas Müller. Während er bei den Weltmeisterschaften zehn Tore in 13 Spielen erzielte, wartet er nach neun EM-Spielen noch immer auf seinen ersten Treffer. Möglicherweise durchbricht er den Fluch gegen Italien. Grosse Gegner liegen ihm. Hoffentlich auch bei der EM 2016.
Andere Stürmer wären längst genervt, wenn sie immer wieder auf ihre Torflaute angesprochen werden.
Das Wichtigste sei, dass die Mannschaft erfolgreich ist. "Ich werde jedenfalls nicht 90 Minuten im Strafraum stehen, nur um einen eigenen Torerfolg zu verbuchen, sondern werde mich weiter wie bisher in den Dienst der Mannschaft stellen."
Trotz seiner Torlosigkeit ist Müller für die Nationalmannschaft sehr wichtig. Er gibt nicht nur Vorlagen, sondern arbeitet auch in der Defensive eifrig mit. Gegen die Slowakei fing er per Kopf sogar zahlreiche Abstösse des gegnerischen Torhüters ab. "Wenn ich vorne nicht gebraucht werde, bin ich ein Mann mehr, der zum Kopfball geht, und wir haben zwei Mann mehr zur Absicherung", sagte er im "Kicker".
Trotzdem werde er weiterhin daran arbeiten, dass es bei ihm wieder scheppert: "Ich bin immer gierig auf Tore." Eine positive Tendenz ist erkennbar. In den ersten beiden Gruppenspielen blieb er noch ohne Torchance. Das Problem: Es gelang der kaum durchschlagskräftigen Offensive nicht, Räume für den Torjäger zu öffnen.
Tadellose Spielübersicht von Thomas Müller
Im dritten Vorrundenspiel gegen Nordirland erfolgte die Umstellung im Sturm.
Nun liesse sich darüber spekulieren, ob ihm nach der langen Saison die Frische fehlt. Kaum ein Spieler hat in den vergangenen elf Monaten so viele Spiele bestritten wie er. 49 Partien beim FC Bayern München, zwölf Spiele für die Nationalmannschaft, meist von Anpfiff bis Abpfiff. Sein junger und verletzungsunanfälliger Körper macht das mit. Aber auch der Kopf?
Offenbar schon. Nicht seine Torquote, aber seine Spielübersicht zeugen davon. Clever legte er gegen Nordirland das 1:0 für Mario Gomez vor. Dabei hätte er auch selber zum Abschluss kommen können. Auch im Achtelfinale gegen die Slowakei leitete er zwei Grosschancen ein. Seine Selbstlosigkeit wird bei Mitspielern und Trainer geschätzt.
Joachim Löw ist maximal zufrieden
Um seinen Stammplatz muss sich Müller also keine Gedanken machen. Niemand würde je fordern, ihn auf die Bank zu setzen. "Seit 2010 ging es in seiner Fussballerkarriere ständig bergauf. Jetzt hat er eine Phase, wo er nicht trifft. Dennoch bin ich mit ihm maximal zufrieden", wird Bundestrainer
Dieses Vertrauen ist für einen Stürmer bekanntermassen wichtig. Muss ein Torjäger fürchten, nach der nächsten vergebenen Chance auf der Bank zu landen, verkrampft er im Kopf. Ein Fussballer würde beginnen, vor dem gegnerischen Tor zu viel nachzudenken – und erst recht nicht mehr treffen.
Dass die Torlosigkeit bei Thomas Müller zu Anspannungen führt, war bislang nicht festzustellen. Man muss nur einmal schauen, welch gute Laune er ausstrahlt, wenn er im Spielertunnel auf den Einlauf wartet. Grinsend steht er da, scherzt mit Mitspielern und Schiedsrichter. Fast könne man glauben, er würde gleich in den Urlaub fahren – und kein wichtiges Länderspiel vor einem Millionenpublikum bestreiten.
Müller weiss, dass er auch ohne Tore ein wichtiger Bestandteil des Sturms ist. Der 26-Jährige gehört zu den weltweit am meist gefürchteten Torjägern. Verteidiger haben immer einen Blick auf ihn, laufen die teilweise unkonventionellen Laufwege mit und decken ihn bestmöglich. Das schafft Räume für die Mitspieler. Löw sagt: "Seine Laufwege verwirren den Gegner und bringen uns Optionen. Das macht ihn so wertvoll für uns."
Grosse Gegner liegen Müller
Möglicherweise platzt nun, wo es gegen die grossen Fussball-Nationen geht, bei Thomas Müller endlich der Knoten. Im Viertelfinale am Samstag wartet Italien, im Halbfinale möglicherweise Frankreich. Grosse Gegner in grossen Spielen liegen ihm. Bei der WM 2014 traf er dreifach gegen Portugal, bei der WM 2010 doppelt gegen England.
Gegen die Italiener spielte er bereits viermal, unter anderem im EM-Halbfinale 2012. Getroffen hat er gegen die Südeuropäer bislang nicht, immerhin aber zwei Tore vorbereitet. Die italienische Abwehr gilt mit ihrer Dreierkette, die aus eingespielten Verteidigern von Juventus Turin besteht, als schwer überwindbar.
"Dabei ist es nicht so, dass Italien keine Chancen zugelassen hätte oder eine unbezwingbare, bombensichere Defensive stellt", sagt Müller in der Sport Bild. "Die EM hat gezeigt: Es ist jede Abwehr verwundbar, auch die italienische."
Diese kessen Worte beweisen, dass Thomas Müller nichts an Selbstvertrauen oder Lockerheit verloren hat. Jetzt muss er nur noch sein erstes Tor bei einer EM erzielen. Dann wäre er wieder ganz der Alte.
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