Sich in der hitzigen Debatte um die Ausleuchtung der Münchner Arena in den Farben des Regenbogens zu äussern, war einfach. Nur: Was folgt auf die Lippenbekenntnisse?
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.
Symbole können die Sichtbarkeit gesellschaftlicher Diskussionen verstärken, dürfen aber nicht ihr Dreh- und Angelpunkt sein. Sie sind ein Mittel, um Zustimmung zu bestimmten Themen zu signalisieren, aber wenn der äusseren Zustimmung kein innerer Prozess folgt, wird das Symbol entwertet, seine eigentliche Bedeutung ausgehöhlt. Alle, die in den vergangenen Tagen in der aufgeregten Debatte um die Beleuchtung der Münchner Arena ihre Profile in den Farben des Regenbogens angelegt haben, sind nun gefordert, Handlungen daraus abzuleiten.
Zeichen alleine reichen nicht. Es geht um Haltung, gesellschaftliche Werte, echten Wandel – und ja, es geht natürlich auch um Politik. Der Regenbogen ist ein politisches Symbol, wer etwas anderes behauptet, betreibt Augenwischerei. Um das zu erkennen, muss man sich übrigens nur die Frage stellen, woher die vielen Bilder der Münchner Arena in dieser Optik stammen. Sie sind entstanden im Rahmen der diesjährigen "!Nie wieder"-Kampagne. An den Spieltagen rund um den 27. Januar, Befreiungstag des Konzentrationslagers Auschwitz, organisiert diese Initiative seit 17 Jahren den "Erinnerungstag des deutschen Fussballs". In diesem Jahr standen jene Menschen im Mittelpunkt, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt von den Nationalsozialist*innen verfolgt und ermordet wurden. Das ist hochpolitisch.
Die ganze EM ist politisch
Wie überhaupt die ganze Europameisterschaft politisch ist, angefangen damit, dass sie auf der europäischen Idee fusst. Es ist ausserdem ein politisches Turnier, weil die Welt leider nach wie vor Lösungen finden muss im Angesicht einer globalen Pandemie, was die UEFA weder davon abgehalten hat, das Turnier mit einem Jahr Verspätung doch zu veranstalten, noch, von den gastgebenden Städten zu verlangen, dass Zuschauer*innen in den Stadien sein müssen. Klar, so eine EM verkauft sich eben besser mit Jubelbildern von den Rängen – und die Sponsoren möchten natürlich eine Garantie auf schöne Bilder. Auch das ist Politik, die weitergeht beim Blick auf die Liste, wer genau Geld in den Fussball pumpt. Das alles ist sehr offensichtlich.
Politisch war im Übrigen auch das Ansinnen der Stadt München, die Arena just bei der Partie der Deutschen gegen Ungarn in den Farben des Regenbogens auszuleuchten. Es ist fast schon frech, zu behaupten, es sei dabei (nur) um die LSBTIQA+ Community in Ungarn gegangen, an die man ein Zeichen der Unterstützung senden wollte. Es war absehbar, wie Ungarn auf die provokante Herangehensweise an das Thema reagieren würde. Das ist keinesfalls ein Grund, um die Arena etwa nicht in ein buntes Symbol für Diversität zu verwandeln, aber: Warum nur beim Spiel gegen die Ungarn? Der Juni ist "Pride Month", die Situation der Menschen, die sich weltweit der LSBTIQA+ Community zuordnen, steht da besonders im Fokus. Es wäre also eine gute Gelegenheit gewesen, um das Stadion bei sämtlichen Spielen als Regenbogen zu färben, sofern es um eine echte Überzeugung geht – und nicht um reine Symbolik. All das ist Politik: Die Arena bei sämtlichen Spielen entsprechend zu beleuchten, es gerade gegen die Ungarn zu tun, es zu verbieten. Fussball ist politisch – und mit Fussball wird Politik gemacht.
Vom Sofa aus kritisiert es sich leicht
Ungarn zu kritisieren ist notwendig, es ist aber vom deutschen EM-Sofa aus auch sehr einfach. Wer in den öffentlichen Chor mit einstimmt, muss keinen Gegenwind befürchten, kann sicher sein, Lob und Likes zu erhaschen. Das ist kein Proteststurm, sondern bloss ein laues Lüftchen, kein Widerstand, sondern Wohlfühl-Aktivismus. Zu dem passt es, Zitattafeln von Prominenten zu teilen, die nachplappern, was queere Aktivist*innen im Fussball und darüber hinaus schon lange ansprechen und fordern, ohne ihrerseits gehört zu werden. Wie viele derer, die nun ein wokes Profilbild haben, beschäftigen sich sonst mit der Situation der LSBTIQA+ Community? Im Sport, in Deutschland, in Europa, an anderen EM-Spielorten? Es wäre dringend notwendig.
Dazu gehört, in sozialen Netzwerken Own Voices zu teilen, statt die Lieblingssängerin oder den bekannten Comedian. Mit dem Zuhören fängt es an. Damit, Vorurteile, die jede*r von uns durch die eigene Sozialisation hat, zu erkennen und abzubauen, geht es weiter, hinaus in die Welt. Wo wir alle jeden Tag einen Unterschied machen können mit unserem Verhalten.
Die Diskussion um die Beleuchtung der Arena in München war nicht wertlos, weil das Symbol des Regenbogens die Aufmerksamkeit vieler Leute auch aus dem Sport auf das Thema gelenkt hat. Das darf aber nur der Anfang sein, wenn es darum geht, die Situation jener zu verbessern, die durch Feindlichkeit gegen LSBTIQA+ betroffen sind. Zuhören. Spenden. Handeln.
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