Deutschland ringt Italien in einem epischen Elfmeterschiessen nieder und steht mal wieder im Halbfinale eines grossen Turniers. Trotz des historischen Siegs muss sich Joachim Löw harsche Kritik gefallen lassen. Der Bundestrainer reagiert darauf aber gelassen.
Wie viel Dramatik kann ein Fussballspiel vertragen? Das Viertelfinale der Europameisterschaft zwischen Deutschland und Italien hat den Rahmen auf jeden Fall schamlos gesprengt. Das Spiel der beiden besten Mannschaften des Turniers hielt, was sich die Fans im Vorfeld davon versprechen durften.
Wenngleich auf beiden Seiten nicht alles immer funktionierte, war es dennoch eine 120-minütige Schlacht auf fussballerisch höchstem Niveau, der proklamierte Abnutzungskampf, geprägt von taktisch geschickten Winkelzügen beider Trainer. Und dann dieses Elfmeterschiessen, mit Fehlschüssen aus der Kategorie "Bezirksliga".
Mit einem Versuch in den Nachthimmel von Bordeaux (
Ein Spiel, viele Geschichten
Und dabei waren es
Fun Fact am Rande: Vorher hatten in der Geschichte deutscher Elfmeterschiessen nur Uli Hoeness und Uli Stielike nicht getroffen - in Bordeaux verschossen gleich drei deutsche Spieler.
Dieses Spiel hatte so viele Geschichten zu erzählen, die von den Ausfällen von
Am Ende wurde aber auf Seiten der Sieger - ungewöhnlich genug - über die von
Es war klar, dass Löws Herangehensweise gegen die ebenso defensiv- wie konterstarken Italiener so oder so Anlass zu heftigen Debatten geben würde. Er entschied sich dafür, Italiens 3-5-2-Formation in gewisser Weise zu spiegeln. Löw vertraute wie im Testspiel vor ein paar Monaten auf ein deutsches 3-4-3 - und musste sich deswegen teilweise heftige Kritik gefallen lassen.
Scholl attackiert sportliche Leitung
Richtiggehend erbost zeigte sich Mehmet Scholl bei der "ARD" über die deutsche Taktik, die die Mannschaft ihrer Stärken beraubt und Italien damit in die Karten gespielt hätte. Ohne Grund habe Löw die bewährte Formation mit einer Viererkette gestrichen und die Mannschaft deshalb in letzter Konsequenz zu wenige Chancen erspielt.
Im besten "Geht’s raus und spuit’s Fussball"-Duktus attackierte der ARD-Experte gleich noch Urs Siegenthaler und dessen Scoutingabteilung, sie mögen doch besser morgens länger bleiben, statt "während des Trainings Ideen" einzubringen.Nun gibt es dazu wie so oft im Fussball sehr unterschiedliche Sichtweisen.
Eine Tatsache ist jedoch: Spanien hat es im Achtelfinale 90 Minuten lang mit "seiner" Taktik versucht und war krachend gescheitert. Die Italiener hatten dabei ein halbes Dutzend bester Torchancen, aber nur zwei Tore erzielt. Die überfallartig funktionierende Offensive ist ein elementarer Baustein des italienischen Spiels, wer sich im Vorfeld damit beschäftigt hatte, wusste das.
Es war erhöhte Vorsicht geboten, denn es dürfte - um Italiens zweite grosse Leidenschaft nicht zu kurz kommen zu lassen - kaum eine andere Mannschaft bei diesem Turnier geben, gegen die man tunlichst nicht in Rückstand geraten sollte.
Löw hatte die Idee mit der Dreierkette
Also setzte die deutsche Mannschaft um, was ihr an taktischem Rüstzeug mit auf den Weg gegeben wurde. Löws Mannschaft spielte geduldig und passte den Ball. Riskante Dribblings waren keine zu sehen. Ging der Ball dann verloren, griff das Gegenpressing nahezu tadellos gut, die aufgerückte Dreierkette sicherte grundsolide ab.
Das klassische Steil-Klatsch-Spiel der Italiener war nicht existent, hohe Bälle hinter die deutsche Abwehrlinie wurden konsequent verteidigt.
Eine einzige Chance hatte Italien in 120 Minuten, als der Mittelfspieler Schweinsteiger den Laufweg von Emanuele Giaccherini in die Tiefe zu spät erkannte. Ein individueller Bock, keine Frage des Systems. "Man muss die Italiener mit den eigenen Mitteln schlagen, und manchmal auch mit Intelligenz", sagte Löw.
"Die Italiener sind eine andere Mannschaft als die Slowaken. Sie spielen immer von aussen in die Mitte. Das ist berechenbar. Gut, aber berechenbar. Deshalb mussten wir reagieren und die Mitte dicht machen. Die Dreierkette haben wir ab und zu trainiert, haben das auch im März gegen Italien gespielt. Das war keine grosse Umstellung."
Und im Übrigen sei die Dreierkette seine eigene Idee gewesen. "Das war direkt nach dem Spiel zwischen Italien und Spanien mein erster Gedanke."
Sechstes Mal in Folge im Halbfinale
Deutschland steht zum sechsten Mal in Folge im Halbfinale eines grossen Turniers, die Konstanz der letzten zehn Jahre ist tatsächlich zum Niederknien. Und Spiele wie dieses gegen Italien, den sportlichen Tod gleich mehrmals vor Augen, können am Ende die entscheidenden Impulse geben.
"Was die Mannschaft heute geleistet hat, ist eines Champions würdig. Sie hat Italien komplett dominiert. Das Elfmetertor war unglücklich. Unser Weg ist definitiv noch nicht zu Ende", sagte Khedira. Und Manager Oliver Bierhoff hat schon das ganz grosse Ziel vor Augen.
"Die Spieler sind happy, aber sie haben das nächste Spiel vor Augen. Es ist mein grosser Traum und mein Wunsch, den EM-Titel zu holen. Und daran arbeiten wir."
Davor hat die UEFA aber noch ein Halbfinalspiel platziert, der Gegner wird entweder Frankreich oder aber Island heissen. Die deutsche Mannschaft kann nach dem Wahnsinn gegen Italien aber kaum noch etwas schocken. Keine Gastgeber. Und auch nicht die Überflieger aus Island.
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