Der Pole Piotr "Peter" Nowak spielte einst als Spielmacher in der Bundesliga für Dynamo Dresden und 1860 München. Im Gespräch mit unserer Redaktion analysiert der Profi-Trainer vor dem heutigen EM-Duell den Gegner des DFB-Teams.
Piotr Novak warnt dabei, dass sich die Deutschland gegen Polen (ab 20:45 Uhr im Live-Ticker) keinesfalls nur auf Superstar
Herr Nowak, Polens Nationaltrainer Adam Nawalka ist erfolgreich, aber nicht unumstritten. In seinem ersten Jahr nominierte er insgesamt 70 verschiedene Spieler für die "Bialo-Czerwoni". Wie sehen Sie seine Arbeit?
Piotr Nowak: Nawalka hat nach der gescheiterten Qualifikation für die WM 2014 versucht, eine neue Mannschaft zu bauen. Es war der richtige Weg, sich die ganze Palette an Spielern genau anzuschauen. Nur so konnte er herausfinden, wer von der Spielausbildung und vom Charakter her zu seinem Team passt.
Jetzt hat er die richtige Kombination beieinander. Das letzte Jahr hat der Mannschaft gezeigt, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Das polnische Team ist mental stark und hat fussballerisch einiges zu bieten. Die neuen Gesichter, wie Bartosz Kapustka und Arkadiusz Milik, haben bewiesen, dass Nawalka richtig lag.
Nawalka wird vorgeworfen, auf Spieler zu setzen, die seine "Lieblinge" seien. Beispiele sind Krzysztof Maczynski von Wisla Krakau, der sich einst nicht mal in China durchsetzen konnte, und Thiago Cionek, der lange nur in der italienischen Serie B spielte. Beide sind bei der EM dabei - mutig oder engstirnig?
Jeder Trainer hat Spieler, denen er vertraut. Das sind nicht unbedingt gleich "Lieblinge". Er weiss, dass solche Spieler die taktischen Vorgaben auf dem Platz bedingungslos umsetzen werden. Das hat sich in der Qualifikation gezeigt. Nawalka vertraut den Spielern und sie vertrauen ihm.
Stürmer Milik konnte sich einst bei Bayer Leverkusen und dem FC Augsburg nicht durchsetzen, ist im Nationalteam bei einem 4-4-2 aber nicht wegzudenken. Ist er die ideale Ergänzung zu Lewandowski?
Ich glaube ja. Beide spielen jetzt ein Jahr zusammen. Milik kam damals jung in die Bundesliga. Er musste Erfahrungen sammeln. Milik hat in den vergangenen Monaten enorm vom Zusammenspiel mit Lewandowski profitiert. Robert hat ihm viele Tipps mitgegeben.
Deshalb versteht Milik das Spiel besser. Er ist zudem sehr flexibel, kann überall spielen, hat viele Freiheiten hinter Lewandowski. Er profitiert davon, dass jeder Gegner mit zwei, drei Mann gegen Robert verteidigt. Diesen Platz nutzt Milik. Das hat er gegen Nordirland (Siegtorschütze, d. Red.) gezeigt.
Ist Milik damit die grösste Gefahr für das DFB-Team?
Ich glaube schon. Aber: Lewandowski ist Weltklasse. Robert genügt eine halbe Chance, um ein Tor zu schiessen. Beide verstehen sich blind. Wenn Lewandowski auf die Seite ausweicht oder sich zurückfallen lässt, geht Milik nach vorne und umgekehrt. Zudem übernimmt Grzegorz Krychowiak (vom Europa-League-Sieger FC Sevilla, d. Red.) viel Verantwortung im Mittelfeld, sodass sich die beiden auf ihre Freiräume vorne konzentrieren können.
Wo liegen Miliks Stärken?
Kommt er zum Abschluss, hat er einen guten Schuss. Vor allem aus der Distanz, aus 20, 25 Metern ist er richtig gefährlich, auch bei Standards. Er ist ein unberechenbarer Spieler, sehr trickreich.
Warum greift es aber zu kurz, die polnische Mannschaft auf Lewandowski und Milik zu reduzieren?
Weil zum Beispiel Jakub Blaszczykowski gegen Nordirland auf dem Flügel ein sehr starkes Spiel gemacht hat. Er harmoniert hervorragend mit Lukasz Piszczek (Borussia Dortmund, d. Red.) hinter ihm. Die rechte Seite ist sehr stark. Auf links haben wir mit Kapustka einen jungen Spieler, der viel über seinen Enthusiasmus kommt. Krychowiak wiederum ist der Mann für die langen Bälle.
Dennoch gilt der Bayern-Star als der Fixpunkt. Wie wird Lewandowski in Ihrer Heimat gesehen?
In Polen verlangen die Leute, dass er fünf, sechs Tore pro Spiel schiesst. Das ist unmöglich, klar. Aber man kann seinen Status schon jetzt mit einstmals grossen polnischen Fussballspielern wie Grzegorz Lato, Kazimierz Deyna oder Zbigniew Boniek vergleichen. Robert ist ein Vorbild für alle polnischen Jugendspieler, auch, weil er vom Charakter her ein einwandfreier Mensch ist. Er gibt sich nicht als grosser Star, spricht mit jedem.
Was muss das DFB-Team umsetzen, um dieses Polen nicht ins Spiel kommen zu lassen?
Beide Mannschaften gehen gerne hohes Tempo. Heute werden sie abwarten müssen, wie sich die ersten zehn, fünfzehn Minuten entwickeln. Wer geht nach vorne? Wer übernimmt die Initiative? Deutschland wird taktisch pokern müssen. Bundestrainer Joachim Löw wird seit Monaten alle Informationen beisammen haben. Er hat sicher schon im Kopf, was ihn erwartet.
2008 und vor vier Jahren in der Heimat war bereits nach der Vorrunde Schluss. Was ist für die "Bialo-Czerwoni" diesmal drin?
Die Mannschaft ist heute eine ganz andere. Das Minimalziel ist das Achtelfinale. Die Spieler und der Trainer wollen aber mehr. Das ist auch gut so. Polen war lange nicht erfolgreich. Auch die Fans stehen diesmal hinter dem Team. Das war 2008 und 2012 anders. Wenn die Gruppenphase überstanden ist, ist alles möglich.
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