Der einstige BVB-Stürmer Karl-Heinz Riedle gilt als Italien-Kenner. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt der Weltmeister die Emotionen bei Nationalcoach Antonio Conte, die Null-Tore-Bilanz von Thomas Müller und was das DFB-Team im EM-Viertelfinale unbedingt vermeiden sollte.

Ein Interview

Immer wieder begegnete ihm in seinem Leben Italien: Karl-Heinz Riedle. Der einstige Starstürmer von Borussia Dortmund wurde in Italien Weltmeister, er gewann mit dem BVB gegen die Italiener von Juventus Turin die Champions League - und er spielte drei Jahre selbst in der Serie A.

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Vor dem EM-Viertelfinale des DFB-Teams am Samstagabend (21:00 Uhr, LIVE bei uns im Ticker) gegen Italien sprach der heute 50-Jährige mit unserer Redaktion über den emotionalen Nationalcoach Antonio Conte, darüber, warum Thomas Müller bald wieder trifft und die Taktik, der Deutschland gegen den vermeintlichen Angstgegner treu bleiben sollte.

Herr Riedle, Sie kennen Italien gut. Die "Squadra Azzurra" begeistert derzeit bei der EM durch grosse Emotionen, wie man zuletzt auch bei Antonio Conte sah.

Karl-Heinz Riedle: Italiener sind allgemein sehr emotional. Sie sind zum Teil sehr aufbrausend, aber insgesamt herzlich. Conte verkörpert diese Art zu hundert Prozent.

Sie spielten zur selben Zeit wie Conte in der Serie A. War er als Spieler so, wie er heute als Trainer ist?

Er war schon immer einer, der dem Gewinnen alles untergeordnet hat. Auf dem Platz hat er immer dazwischen gehauen, ein richtiger Arbeiter.

Glauben Sie, dass seine Mannschaft das übernommen hat?

Sie nur auf Leidenschaft zu reduzieren, wäre ein Fehler. Sie spielen taktisch sehr gut, haben mit Graziano Pellè und Éder zwei gute Spieler vorne drin. Der eine ist ein Knipser, der andere ist sauschnell. Die Italiener bringen diese Spitzen bislang sehr gut in Position.

Italienische Taktik heisst enorme Kompaktheit im Mittelfeld und besagtes schnelles Umschaltspiel?

Sie haben eine überragende Abwehr mit Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini in der Mitte. Gianluigi Buffon ist im Tor eine Bank, zudem machen die Aussenspieler einen guten Job. Wenn man aber das Mittelfeld miteinander vergleicht, haben wir die wesentlich besseren Einzelspieler. Das DFB-Team arbeitet als Mannschaft gut zusammen, die Offensivspieler laufen permanent die gegnerische Abwehr an. Deutschland wird für Italien der erste Gegner sein, der sie in punkto Präzision im Angriff fordern wird.

Mats Hummels verlangt, weiter hoch zu verteidigen, weil das DFB-Team sonst das Mittelfeld preisgeben würde.

Ja, wir müssen den Italienern unseren Stil aufdrücken. Wir sind der Weltmeister. Unsere Mannschaft hat sich während des Turniers das Selbstvertrauen erarbeitet. Mancher Spieler hat noch gar nicht das gezeigt, was er kann. Gerade von Thomas Müller erwarte ich mir noch einiges. Er kann von der einen auf die andere Minute zünden. Ich bin der Ansicht von Mats, dass wir hoch verteidigen müssen und uns jetzt nicht anders verhalten sollten, nur, weil es gegen die Italiener geht.

Sie waren selbst Stürmer. Braucht Müller diesen einen Treffer, um wieder völlig frei vor dem Tor zu sein?

Müller ist nicht der typische Stürmer, der an sowas verzweifelt. Er ist einer, der sowas wegsteckt. Zu hundert Prozent geht das aber sicher nicht nahtlos an ihm vorbei, wenn immer wieder diskutiert wird, was er falsch macht. Ich denke, er macht gar nichts falsch. Wenn der Ball an den Pfosten oder an die Latte geht, ist es Pech. Siehe Robert Lewandowski. Gegen die Portugiesen hat er wieder getroffen. Vielleicht schiesst uns Müller mit eben diesem einen Tor ins Halbfinale!?

Wird er aktuell zu negativ bewertet?

Er ist mega wichtig für die Mannschaft, was er läuft, wie er Spass in die Truppe reinbringt. Seine ganze Ausstrahlung. Momentan trifft er nicht, aber er wird wieder treffen.

Getroffen hat zuletzt Julian Draxler. Muss er auch gegen Italien spielen, eben weil er ballsicher, aber mit Dynamik auf die gegnerische Abwehr zugeht?

Löw hat sich sicher schon einen Schlachtplan zurecht gelegt. Es wäre schwer zu vermitteln, wenn er Draxler nach diesem Spiel gegen die Slowakei (Achtelfinale, Anm. d. Red.) draussen lässt. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Für mich war er an dem Tag der beste Spieler. Wir werden versuchen, von Anfang an Druck zu machen und die Italiener werden versuchen, das möglichst zu unterbinden. Sie wissen, dass es schwierig ist, eine deutsche Mannschaft aufzuhalten, die ins Rollen gekommen ist. Sie werden unser Spiel zerstören wollen. Deswegen dürfen wir uns im Mittelfeld nicht auf ein Klein-klein einlassen.

Bundestrainer Löw meinte, dass schon jetzt die zwei bisher besten Mannschaften der EM aufeinandertreffen.

Auf jeden Fall. Italien hätte man lieber im Endspiel gehabt. Auch Gastgeber Frankreich, den möglichen Halbfinal-Gegner. Dass wir diese Gegner nun alle auf der Strecke zum Finale haben, ist sicher etwas unglücklich. Das ist nun mal so, es wäre ein tolles Finale gewesen.

Karl-Heinz Riedle spielte zwischen 1990 und 1993 in Italien für Lazio Rom. Er schoss in 84 Spielen in der Serie A 30 Tore für den Hauptstadt-Klub. 1990 wurde der einstige Top-Stürmer mit Deutschland in Italien Weltmeister, im Champions-League-Finale 1997 erzielte er für Borussia Dortmund gegen Juventus Turin (3:1) zwei Treffer. Der heute 50-Jährige arbeitet mittlerweile als Repräsentant für den BVB und die Uefa. Deshalb reist er während der EM durch Frankreich. In Oberstaufen im Allgäu unterhält der 42-malige Nationalspieler zudem eine Fussballschule und ein Hotel.
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