Gigantisch waren die Erwartungen vor dem Turnierstart, mindestens genauso gross die Enttäuschung nach der Auftaktniederlage gegen Ungarn. Gegen die Portugiesen muss Österreich der Umschwung gelingen. Fussball-Zwerg Island hat vorgemacht, wie man Cristiano Ronaldo & Co. das Leben schwer macht.
Österreich galt als der Geheimfavorit der Europameisterschaft. Aus gutem Grund: Seitdem Marcel Koller im November 2011 das Traineramt übernahm, ist die ÖFB-Auswahl in der FIFA-Weltrangliste von Position 72 aus in die Top-10 vorgedrungen. Die Mannschaft gilt als gewachsen, blieb in der EM-Qualifikation ohne Niederlage.
Doch nach dem enttäuschenden 0:2-Auftakt gegen Ungarn stellen sich unschöne Fragen: Wurde die Nationalmannschaft überschätzt? Droht nun sogar das Vorrundenaus? Ist es das Schicksal von Österreich, bei Grossturnieren zu versagen? Ausgerechnet gegen Gruppenfavorit Portugal müssen David Alaba & Co. Antworten liefern.
Tendenz: Schwach, unsicher, fahrlässig
Von der Form aus der EM-Qualifikation ist Österreich jedenfalls weit entfernt. Das hatte sich bereits in den letzten Testspielen angekündigt: Drei der letzten fünf Duelle vor der EM gingen verloren. Gegen Ungarn setzte sich der Negativtrend fort. Nach einem ordentlichen Beginn baute die Mannschaft kontinuierlich ab: Schwach in den entscheidenden Zweikämpfen, unsicher in der Abwehr, fahrlässig in der Chancenverwertung.
Kritische Stimmen, dass die Leistung von Österreich in der EM-Qualifikation überbewertet wurde, werden laut. Zugegeben: Mit den Hauptkonkurrenten Russland und Schweden hatte Österreich eine eher schwach besetzte Quali-Gruppe. Und doch ist nicht zu bezweifeln, dass der Kader deutlich mehr Qualität hat als in den vergangenen Jahren.
Koller in der Rolle des Psychiaters
Koller schlüpfte die vergangenen Tage in die Rolle eines Psychiaters. Viele Einzelgespräche wurden geführt. Niemand soll ausgerechnet während der EM Selbstzweifel entwickeln. "Es gilt nach vorne zu schauen und die Psyche zu stärken", sagt er im Interview auf der Verbandsseite. "Wir waren etwas zu nervös und wollten vielleicht zu viel. Ich denke, dass wir das gegen Portugal besser machen können."
Der Druck ist gross. Im Falle einer Niederlage wäre der zweite Tabellenplatz bereits unerreichbar. Österreich, die nach 1964 nie mehr die K.O.-Phase einer Europameisterschaft erreichten, würde weiter das Verlierer-Image anheften. Die Mannschaft muss also punkten, am besten dreifach.
Koller weiss, wo er ansetzen muss. "Wir brauchen vor allem mehr Ruhe in unseren Aktionen, wir hatten zu viele Abspielfehler. Dann müssen wir auch in der Defensive kompakter spielen, da waren wir zu weit auseinander."
Auch die Chancenverwertung muss besser werden. Vermutlich wäre das Spiel gegen Ungarn ganz anders gelaufen, wäre der Distanzschuss von
Island hat es vorgemacht
Ausgerechnet im entscheidenden Spiel gegen Portugal brechen wichtige Eckpfeiler weg. Mittelfeldspieler Zlatko Junuzovic fällt verletzungsbedingt aus. Dabei gehörte er zu den wenigen Akteuren, die gegen Ungarn noch funktioniert haben. Mit Aleksandar Dragovic fehlt zudem der stärkste Innenverteidiger wegen einer Gelbrot-Sperre. Gerade jetzt - wo mit
Möglicherweise kann Österreich einiges von den Isländern lernen. Trotz eines deutlich schwächer besetzten Kaders haben sie es geschafft, den Portugiesen einen Punkt abzuluchsen. Die Erfolgstaktik war simpel: Die Isländer haben aufopferungsvoll gekämpft, einen dichten Abwehrriegel gebildet und sich auf wenige Konter beschränkt.
Portugal agiert zwar in einem 4-4-2 System. Allerdings sind die Stürmer Ronaldo und Nani sehr variabel, bewegen sich hauptsächlich ausserhalb des Strafraums und ziehen dann blitzschnell vor das Tor. Umso wichtiger ist es, keine Lücken zu bieten und auch mit körperlicher Härte zu agieren. Auf diese Weise hat Island sogar Cristiano Ronaldo die Spielfreude genommen. So sehr, dass er nach dem Spiel die beleidigte Leberwurst gab.
Im Fussball ist alles möglich
Die Südeuropäer kamen zwar trotzdem zu reichlich Abschlüssen. Doch die Chancenverwertung der Portugiesen entlarvte sich als grosse Schwäche. Zudem hat das Island-Spiel bewiesen, dass sie alles andere als gefestigt ist. Speziell nach dem Gegentreffer agierten sie unsicher, hätten durchaus verlieren können. Wie gesagt: gegen Island, den Fussballzwerg. Eine Mannschaft, die laut Transfermarkt.de einen Gesamtwert von 44,75 Millionen Euro hat. Zum Vergleich: David Alaba alleine ist 250.000 Euro mehr wert.
So gesehen ist die Chance, dass Österreich ausgerechnet gegen den Gruppenfavoriten auf die Erfolgsspur findet, gar nicht so gering.
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