FC-Bayern-Star Joshua Kimmich weckt durch sein starkes EM-Debüt gegen Nordirland Erinnerungen an den jungen Phillip Lahm. Der Blogger Matthias Kiessling hat die ersten Karriereschritte des 21-Jährigen in seiner Zeit bei RB Leipzig hautnah miterlebt. Er sagt, man dürfe sich vom Bubi-Look des Verteidigers nicht täuschen lassen.

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Überragende Passquote, überragende Zweikampfwerte, Lob von allen Seiten: Joshua Kimmich war nach dem deutschen 1:0-Sieg gegen Nordirland das Gesprächsthema Nummer eins. "Jo hat das sehr gut gemacht. Er hat grosse Laufwege verrichtet und gute Flanken geschlagen. Ich war absolut zufrieden mit dieser Leistung auf der grossen Bühne", sagte Joachim Löw über den EM-Debütanten.

Schon nach seinem zweiten Länderspiel wird darüber diskutiert, ob der Bayern-Profi die neue Ideallösung als Rechtsverteidiger oder gar ein legitimer Nachfolger von Philipp Lahm sein könnte. Der Fussball-Blogger Matthias Kiessling erklärt im Interview, warum der Vergleich mit Lahm hinkt, er Kimmich aber dennoch eine grosse Karriere zutraut.

Herr Kiessling, Sie haben Joshua Kimmich während seiner Zeit bei RB Leipzig zwischen 2013 und 2015 intensiv beobachtet. War ein solcher Karrieresprung wie das überragende EM-Debüt gegen Nordirland voraussehbar?

Matthias Kiessling: Kimmich kam als 18-Jähriger von der U19 des VfB Stuttgart nach Leipzig. Da ahnte wohl niemand, dass er sich zwei Jahre später bei Bayern München und in der Nationalmannschaft durchsetzen würde. Allerdings sah ich schon in den ersten Partien, dass seine spielerische Klasse, seine Handlungsschnelligkeit und seine Mentalität überdurchschnittlich gut waren. Wie er Bälle antizipierte und Lücken schloss, das war schon damals grosse Klasse. Ich dachte: Aus dem kann mal was werden.

Zur Saison 2015/16 wechselte Kimmich zum FC Bayern München. Welchen Anteil hat Pep Guardiola an seinem weiteren Aufstieg?

Ich habe mit einem Übergangsjahr gerechnet, in dem er gelegentlich mal eingewechselt wird. Aber Guardiola ist ja für sein Vertrauen in junge Spieler bekannt. Er hat "Jo" als eine Art Ziehsohn betrachtet und der hat seine Chance genutzt. So ist er einfach. Allerdings hätte er ohne die Personalsorgen in der Bayern-Innenverteidigung wohl kaum so viel gespielt.

Was macht Kimmich so stark?

Er hat einfach den Arsch in der Hose, sich in Drucksituationen durchzusetzen. Das kann dir kein Trainer beibringen. Einen wie ihn kann man einfach reinschmeissen. Er sah gegen Nordirland so aus, als würde er das zum zehnten Mal machen. Man sollte sich von seinem Bubi-Aussehen nicht täuschen lassen.

Kann Kimmich ein neuer Philipp Lahm werden, wie manche nun behaupten?

Der Vergleich hinkt ein bisschen, weil Kimmich als Mittelfeldspieler ausgebildet wurde. Von der Dynamik her ist die Rechtsverteidigung nicht seine Paradeposition. Er ist eigentlich keiner, der vom Flügel aus Flanken schlägt. Ihm fehlt die offensive Dynamik eines Lahm, mal in den Strafraum vorzudringen und Torgefahr auszustrahlen. Bei RB hat Kimmich in zwei Jahren nur drei Tore geschossen und vier vorbereitet.

Ist seine Spielweise gar nicht mit dem Bayern-Kapitän vergleichbar?

Doch, schon. Beide sind technisch stark, lesen Situationen schnell und gut. Lahm hat ja in den letzten Jahren auch vermehrt im defensiven Mittelfeld agiert, wo er die Bälle nach vorne verteilt. Beide können sich Richtung Mittelfeld und Zentrale orientieren. Aber wie gesagt: Offensiv gehen Kimmich die Qualitäten eines Phillip Lahm noch ab.

Charakterlich ähneln sie sich hingegen. Auch Kimmich gilt als bescheiden und bodenständig.

Absolut. Sein Drang nach medialer Aufmerksamkeit ist begrenzt. Aber er kann auch selbstbewusst seinen Standpunkt rüberbringen.

Wie hat sich der Rechtsfuss in den letzten Jahren spielerisch weiter entwickelt?

Das ist wegen seines Positionswechsels vom Mittelfeld in die Verteidigung bei den Bayern schwer zu beurteilen. Schnell denken, schnell bewegen, sichere Pässe spielen: Diese Dinge hat er früher in Leipzig schon grossartig gelöst. Insofern hat mich die Leistung gegen Nordirland nicht überrascht.

Allerdings war er gegen die Nordiren defensiv so gut wie gar nicht gefordert. Sind seine Verteidigerqualitäten wirklich EM-reif?

Ich sehe ihn tatsächlich nicht als Ideallösung in der letzten Reihe, also der Abwehrkette. Gegen schnelle Aussenstürmer fehlen ihm vielleicht noch etwas Dynamik und Geschwindigkeit.

Also ist es möglich, dass er gegen offensivstarke Teams wieder für Benedikt Höwedes weichen könnte?

Ich glaube nicht, dass er nun jede Partie starten wird. Aber er hat sich auf den Zettel des Bundestrainers gespielt. Einen Kimmich kannst du auch in einem Finale bringen. Er würde sich da nicht in die Hose machen.

Hat er das Zeug zu einem ganz Grossen?

Ich denke schon. Er bringt alles mit, um sich auf diesem hohen Niveau einzulernen und zu behaupten. Ich traue ihm eine Karriere wie im Fall von Bastian Schweinsteiger zu, wenn alles optimal läuft.

Zur Person: Matthias Kiessling (42) schreibt seit 2010 als „Rotebrauseblogger“ über RB Leipzig.
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