Die Sicherheitslage in Frankreich ist seit Monaten angespannt. Staatspräsident Francois Hollande bestätigte jüngst eine erhöhte Terrorgefahr für die EM 2016. Wir haben mit einem vielgereisten deutschen Fussball-Fan über die Sorgen vor einem Terroranschlag gesprochen, aber auch über mögliche Ausschreitungen durch Hooligans und das richtige Verhalten während des Turniers.
Ingo Veigel hat in den vergangenen zehn Jahren auf seinen Reisen mit der deutschen Nationalmannschaft viel erlebt. Der 40-Jährige hatte zunächst bei der WM 2006 das eigene Land kreuz und quer bereist und dabei mehr über Deutschland erfahren als jemals zuvor.
Danach folgten "Groundhopping"-Trips zur EM 2008 in Österreich und der Schweiz, zur WM 2010 in Südafrika, der EM 2012 in Polen und der Ukraine sowie zur WM 2014 in Brasilien. Natürlich wird Ingo Veigel auch zur EM nach Frankreich fahren. Konkrete Angst vor Anschlägen hat er dabei nicht - und dennoch ist etwas Entscheidendes anders als bei den Turnieren zuvor.
Herr Veigel, ungeachtet der Streiks und Terrorwarnungen in Frankreich – wie gross ist die Vorfreude auf die EM?
Ingo Veigel: Die Vorfreude ist natürlich immer da. Aber wenn man die WM in Brasilien miterlebt hat, dann ist die Erwartungshaltung bei dieser EM jetzt nicht so riesig (lacht). Die WM vor zwei Jahren hat da schon ein Gefühl hinterlassen, das nur schwer zu toppen ist. Aber nichtsdestotrotz fängt's langsam zu kribbeln an.
Sie waren in Südafrika, in Polen, der Ukraine und in Brasilien. Auch hier gab es vorab für Fans Reisewarnungen, vor allem wegen der Kriminalität. Schaffen die Terrorwarnungen für die EM in Frankreich ein neues Gefühl oder ist es vergleichbar?
Nein, es ist tatsächlich anders. Bei den genannten Trips in der Vergangenheit konnte man Gefahren vermeiden, indem man sich im Land und in den Städten entsprechend verhalten hat und nicht unbedingt in abgelegene Ecken gegangen ist. Das war insofern unproblematisch, wir hatten da niemals Probleme, weil wir gewisse Regeln eingehalten haben.
Sie hatten Ihre Sicherheit selbst in der Hand. Genau diese Kontrollmöglichkeit nimmt der Terror aber ins Fadenkreuz. Man soll sich nicht mehr sicher fühlen können.
Genau das ist der Unterschied in Frankreich. Hier schaut man dann schon sehr bewusst, dass man den grossen Menschenansammlungen aus dem Weg geht. Allerdings meiden wir bei unseren Trips ohnehin die grossen Public Viewings und Fan-Meilen. Das ist nicht so unser Ding. Sollte sich aber dennoch eine konkrete Gefahr darstellen, sollte man wohl beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel meiden. Es gibt also schon auch hier ein paar Möglichkeiten, um Risiken zu minimieren. Aber wir mischen uns auf unseren Trips ohnehin lieber unter die Einheimischen und gehen den grossen Fan-Scharen aus dem Weg, weil wir lieber alleine unterwegs sind, um eigene Eindrücke zu gewinnen. Auf den ganzen kommerziellen Fan-Hype haben wir gar keinen Bock.
Wir hoch hängt ihr das Thema Sicherheit bei Eurer Reiseplanung?
Man spricht natürlich darüber, das ist klar. Andererseits: Was soll man denn machen? Eine völlige Sicherheit wird es auch trotz der massiven Sicherheitsmassnahmen nicht geben. Ein mulmiges Gefühl bleibt da schon, klar.
Gab es die Überlegung, deshalb auf den Trip zur EM in Frankreich zu verzichten?
Eigentlich nicht. Das war auch für andere Turnier-Fahrer, die ich kenne, eigentlich kein Thema. Andererseits habe ich gehört, dass der Schwarzmarkt für EM-Tickets wohl gar nicht läuft. Selbst in den Online-Ticket-Börsen bekommt man für einen geringen Aufpreis zum jetzigen Zeitpunkt noch Tickets. Das ist bei so einem Turnier schon untypisch. Sogar für das Eröffnungsspiel der Franzosen gab es vor wenigen Tagen in Frankreich noch Karten.
Was sagt die Familie zu eurer EM-Reise? Haben sie Bedenken?
Weniger. Wenn natürlich irgendetwas während des Turniers passieren würden, wäre es anders. Aber aktuell hält es sich in Grenzen. Man fragt höchstens mal kurz nach: "Willst du da wirklich hin?" Und der eine oder andere Nicht-Fussballfan meint: "Wir kannst du nur da rüberfahren?" Aber das Risiko, dass man tatsächlich selbst betroffen ist, halte ich für gering. Ich war mal Fallschirmspringen, da hatte ich mehr Schiss (lacht). Wir hoffen einfach das Beste, das nichts passiert.
Die Franzosen haben neben der Terrorgefahr noch andere Sorgen, welche die EM-Stimmung eintrüben. Massive Streiks lähmen teilweise das öffentliche Leben. Bereitet ihr euch darauf vor?
Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass man die Streiks während der EM aufrechterhalten und beispielsweise den Zugverkehr lahmlegen kann. Aber wir sind bei unserem Trip natürlich schon auch aufs Auto angewiesen. Und sollte es erneut Benzin-Engpässe geben, wird es schon schwierig. Vielleicht komme ich da mit meinem Diesel wenigstens ein bisschen weiter (lacht).
Was bei dieser Fussball-EM völlig vom Terror überlagert wird, ist das Hooligan-Problem. England, Polen, Russland, Kroatien, die Ukraine und Deutschland haben berüchtigte Szenen. Hat man das im Hinterkopf?
Eigentlich nicht. Meine einzige brenzlige Situation bei allen Reisen war bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz. Es war nach dem Deutschland-Spiel gegen Polen. Da hat man mir nach Spielende vor dem Stadion den Schal vom Hals gerissen und ich musste die Füsse unter die Arme nehmen. Auch meine Kumpels hatten in Kneipen in Klagenfurt sehr brenzlige Situationen. Sie sind dann auch kurzzeitig verhaftet worden, obwohl sie nichts dafür konnten. Das war aber eine Ausnahme. In der Regel mache ich mir da überhaupt keinen Kopf, weil man diesen Situationen einfach aus dem Weg gehen kann – wenn man es nicht selbst drauf anlegt.
Ihr sucht bei euren Fussball-Trips ja auch gezielt den Kontakt mit den anderen Fans, aber eben mit friedlichen Absichten.
Ja. In Südafrika waren wir beispielsweise auch beim Achtelfinale Deutschland gegen England. Das war sehr entspannt; wir sind da auch mit englischen Fans abgehangen. Aber natürlich auch nicht im grossen Mob, das ist wohl immer das Entscheidende. Wenn man grössere Fangruppen sieht und sich sofort denkt "Ok, mit denen würde ich jetzt auch nicht unbedingt ein Bier trinken", dann geht man denen eben aus dem Weg.
Ihr verbindet Fussball mit Land und Leuten, wart in Polen, der Ukraine, in Südafrika und Brasilien. Welches schöne Erlebnis ist nachhaltig in Erinnerung geblieben?
Es stimmt, wir schauen uns auf unseren Trips auch ausserhalb der Spielorte um, um das Land und die Menschen zu erleben. Wir hängen dann lieber irgendwo mit ein paar Einheimischen ab, als mit deutschen Fan-Horden. Das kann dann schon mal eine coole Kneipe sein, in der verschiedene Nationen miteinander Fussball gucken.
Was die Erinnerungen anbelangt, gab es auf jedem Trip tolle Momente, aber die genialste Erfahrung war schon Brasilien. Beispielsweise ein Ausflug in das Fischerdorf Canoa Quebrada, abends Caipirinhas und Spass mit ein paar Dorfbewohnern. Tolle Momente vor einer atemberaubenden Kulisse.
Und wer wird Europameister? Deutschland, weil ihr dabei seid?
(lacht) Das wäre natürlich die Krönung. Aber ich denke auch an Frankreich, eine starke Mannschaft. Und sie haben den Heimvorteil.
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