Thomas Müller ist ausgerechnet vor dem EM-Halbfinale in der Torkrise, dabei braucht Deutschland seine Treffsicherheit gegen Gastgeber Frankreich mehr denn je. Ob der Bayern-Star seine Lockerheit verloren hat, was seine Körpersprache vermittelt und was ihm jetzt hilft – ein Erklärungsansatz.
Deutschland bangt mit ihm. Deutschland leidet mit ihm. Deutschland hofft auf ihn.
Die erste Alternative
Was läuft bei der EM 2016 bisher schief?
Einfach gesagt: Müller trifft das Tor nicht. Im dritten Gruppenspiel gegen Nordirland schoss er sechs Mal aufs Tor. Eine Chance war hochkarätiger als die andere. Pfosten, Latte, knapp daneben - kein Ball wollte rein. Auch im Viertelfinale gegen Italien hatte Müller vier Torschüsse.
Gegen die Squadra Azzurra waren seine Aktionen aber nicht mal von Durchschlagskraft gezeichnet. Nun sprach Müller, völlig ungewöhnlich für ihn, von einem Journalisten damit konfrontiert, über besagte hohe Belastung.
"Das Fussballgeschäft ist extrem lebendig. Du hast täglich Einflüsse auf dich selbst. Es wird über einen gesprochen, es wird mit einem gesprochen", meinte er. Es gebe keine Ruhepausen. "Das ist das Brutale, einmal Luft holen und dann wirst du wieder unter Wasser gedrückt. Mental ist das eine Riesenbelastung." Müssen wir uns ausgerechnet vor dem Halbfinale Sorgen machen?
Wie ist die Körpersprache von Thomas Müller zu deuten?
"Er wirkt verwundert", sagt Jan Pienta im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Scout des FC Bayern entdeckte Müller einst als Elfjährigen bei einem Jugendspiel des TSV Pähl, brachte den Oberbayern zum Rekordmeister. Ansonsten sehe er den "alten" Thomas Müller, meint der 72-Jährige, der den Nationalspieler noch heute regelmässig auf dem Vereinsgelände in München trifft.
Körpersprachen-Experte Winfried Goessl erklärt wiederum, dass der Bayern-Star wie all seine DFB-Kollegen schier grenzenloses Selbstvertrauen ausstrahle. "Das lebt ihnen der Bundestrainer vor", erklärt der Mentaltrainer im Gespräch mit unserer Redaktion. Zu dieser Einschätzung passt ein Zitat Müllers vor der Abreise nach Marseille. Er sehe den Druck bei Frankreich, sagte er, einen "viel schöneren Fussball gibt es nicht."
Muss nun Joachim Löw ran oder ein Mentaltrainer?
Golf muss her. Allerdings nicht der Volkswagen, sondern der Sport. Müller spielt diesen gerne zum Ausgleich. Er tat es auch in Evian-les-Bains, wo das DFB-Team residiert. Er weiss, was er zum Abschalten braucht. "Er hadert nicht mit sich selber. Er hatte auch in der Jugend Phasen, in denen er nicht traf. Der lässt sich davon nicht unterkriegen", erzählt Pienta. "Er bleibt stets seinen Charaktereigenschaften treu. Er ist schon immer gelaufen, immer weiter und weiter, hat immer alles gegeben und irgendwann hat es dann wieder geklappt."
Müller hat weitere Möglichkeiten: DFB-Psychologe Dr. Hans-Dieter Hermann ist ständig bei der Mannschaft. Bleibt noch Löw selbst. "Wenn Sie den Jogi Löw sehen von der Körpersprache her. Das ist pures Selbstbewusstsein. Das vermittelt er seinen Spielern, er impft es ihnen durch pure Wertschätzung ein", erklärt Mentalcoach Goessl. Das sei eine grosse Führungsleistung. "Da können sich viele Führungskräfte in Unternehmen ein Beispiel daran nehmen." Auch der "Bundestorjäger" Müller profitiert von dieser Gabe des Bundestrainers.
Was hilft Thomas Müller?
Ein Tor. Da führt kein Weg dran vorbei. Löw, er selbst, seine Teamkollegen - alle verweisen auf den grossen Dienst Müllers' an der Mannschaft. Doch die Öffentlichkeit muss beruhigt werden. Und das geht eben nur über einen Tor.
Sein Entdecker hat eine Vorahnung: "Hundertprozentig. Thomas kam schon immer wie Phoenix aus der Asche", sagt Pienta auf die Frage, ob Müller gegen Frankreich treffen werde. "Denken Sie dann an meine Worte. Ich bin mir sicher, dass das aus heiterem Himmel kommt, wenn keiner damit rechnet. Dann trifft er wieder und er weiss selber nicht, wie er das gemacht hat." Hoffen wir, dass er Recht behält.
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