Aufgrund des Spielplans ist sicher: Ein Aussenseiter, der noch nie eine Europa- oder Weltmeisterschaft gewonnen hat, wird diesmal im EM-Finale stehen.
Ungerechter hätten die Mannschaften in der K.o.-Runde kaum verteilt sein können. Auf dem starken Zweig befinden sich mit Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich und England die Giganten des europäischen Fussballs. Zusammen haben diese Nationen neun der insgesamt 14 Europameisterschaften gewonnen. Rechnet man die Weltmeisterschaften hinzu, kommen 20 Titel zusammen.
Auf der anderen Seite duellieren sich die "Fussball-Zwerge": Schweiz, Polen, Kroatien, Portugal, Wales, Nordirland, Ungarn und Belgien. Keine dieser Nationen gewann jemals eine Europa- oder Weltmeisterschaft. Aufgrund des Spielplans ist jedoch klar: Eine dieser Nationalmannschaften wird am 10. Juli im Endspiel stehen.
Kroatien gilt als Topfavorit
Kroatien gilt aufgrund der starken Vorrunde bereits als Geheimfavorit. Personell muss sich die Mannschaft von Trainer Ante Cacic vor den grossen Nationen nicht verstecken. Der Ex-Wolfsburger
Ein Stolperstein könnten allerdings die eigenen Fans sein - wenn man die überhaupt so bezeichnen kann. Beim zweiten Gruppenspiel gegen Tschechien gab es Ausschreitungen. Mit einem Bussgeld von 100.000 Euro fiel die Strafe zwar milde aus. Doch die Angst vor weiteren Vorkommnissen, die zu härteren Strafen bis hin zum Turnierausschluss führen könnten, ist gross. Das Problem: Einige Fangruppierungen stecken mit dem kroatischen Fussballverband im Clinch – und wollen diesem offenbar schaden.
So gilt für das Achtelfinale am heutigen Abend gegen Portugal (21:00 Uhr) das Motto: Hauptsache es bleibt friedlich. Portugal ist noch sieglos, hat bislang keine EM-Form bewiesen. Hauptproblem war die Chancenverwertung. Ein paar Zahlen dazu: Im ersten Gruppenspiel gegen Island gab es 26 Schüsse und ein Tor, gegen Österreich 23 Schüsse und gar kein Tor.
EM-Zwerge setzen auf einzelne Superstars
Doch die Tendenz stimmt positiv: Im entscheidenden Gruppenspiel gegen Ungarn verbuchte Portugal zwar nur fünf Chancen, machte daraus aber drei Tore. Der Grund: Superstar
Doch ist es bekanntlich gefährlich, wenn die ganze Last auf den Schultern eines einzigen Top-Spielers liegt. Dieses Problem hat Belgien, die am Sonntag auf Ungarn treffen, nicht. Dessen Kader beinhaltet zahlreiche Ausnahmekönner. Eden Hazard zählt zu den besten Offensivallroundern der Welt. Der beidfüssige Dribblingkünstler hat laut den Fussball-Mathematikern von "CIES Football Observatory" sogar einen höheren Marktwert als Ronaldo.
Auch Kevin De Bruyne hat als Vorlagengeber, der aber auch mit seinen Fernschüssen Gefahr ausstrahlt, eine Schlüsselrolle in der Nationalmannschaft eingenommen. Romelu Lukaku gilt als eines der grössten Stürmer-Talente der Welt. Erwähnenswert ist auch Mittelfeldspieler Radja Nainggolan, der in der Defensive praktisch fehlerlos agiert und gegen Schweden sogar den Siegtreffer erzielte.
Lediglich taktische Defizite lassen sich der Mannschaft vorwerfen. Eine häufige Kritik an Trainer Marc Wilmots lautet, dass eine grundsätzliche Spielidee fehlt. Stattdessen werde zu sehr auf die individuelle Qualität der Einzelspieler gesetzt. Dennoch ist zumindest ein Halbfinaleinzug wahrscheinlich. Im Viertelfinale wartet der Gegner aus der Partie Wales gegen Nordirland (Samstag um 18:00 Uhr). Letztere haben bislang nicht überzeugt.
Wales lässt sich dieser Vorwurf nicht machen. Die zuvor kaum in Erscheinung getretene Fussball-Nation, die seit 1958 an keiner EM- oder WM Endrunde teilgenommen hat, bezwang in der Vorrunde die Slowakei und Russland, wurde somit Gruppenerster. Superstar Gareth Bale von Real Madrid (der teuerste Transfer aller Zeiten) hat mit seinen drei Toren grossen Anteil daran. Für einen Sieg gegen Nordirland dürfte es reichen, für die Individualisten aus Belgien eher nicht.
Schweizer bekommen "Jahrhundertchance"
Nicht unerwähnt lassen möchten wir die Schweiz und Polen. Handelt es sich doch um die beiden Mannschaften, die Am Samstag um 15:00 Uhr das Achtelfinale einläuten. Aufgrund der schwach besetzten Tableauhälfte schreibt die Tageszeitung 20 Minuten "Der Schweiz bietet sich eine Jahrhundertchance."
Doch bereits das Duell mit den Polen ist schwer zu bestehen. Hauptproblem ist das Offensivspiel. Die Schweizer haben noch kein Tor aus dem Spiel heraus erzielt. Hoffnungsträger Xherdan Shaqiri gelingt im Angriff denkbar wenig. Hoffnung macht immerhin, dass auch der polnische Weltklasse-Stürmer Robert Lewandowski bei der EM ohne Torerfolg ist.
Unsere Prognose: Belgien und Kroatien duellieren sich in einem völlig offenen Halbfinale. Im Endspiel geht es aber gegen eine echte Fussball-Nation wie Weltmeister Deutschland oder Titelverteidiger Spanien. Dann wird das Abenteuer des EM-Zwerges ein rasches Ende nehmen. Vielleicht kommt es aber auch ganz anders. Wer weiss das schon?
Wichtig ist nur eins: Die Zeit der defensiv-taktierenden (teilweise quälend langweiligen) Gruppenspiele ist vorbei. Ab sofort geht es um alles. Das verspricht Spannung. Mögen die K.O.-Spiele also endlich beginnen.
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