Beziehungsstatus? Es ist kompliziert. So lässt sich die Liebe zum Fussball oftmals beschreiben. Doch das aktuelle Turnier sorgt für Schmetterlinge und Glücksgefühle.

Eine Kolumne
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In der Liebe wird ja gerne von "Frühlingsgefühlen" gesprochen, wenn Menschen sich frisch oder neu ineinander verlieben. Wer sich dem Fussball verbunden fühlt, kann da nur mit dem Kopf schütteln. Der Frühling ist die Jahreszeit der harten Entscheidungen. Welche Teams sind bis zum Schluss im Kampf um den Klassenerhalt dabei, wer qualifiziert sich fürs europäische Geschäft, wohin geht die weitere Reise des eigenen Vereins? Frühlingsgefühle im Fussball, das ist Stress, sind schwitzige Hände vorm Fernseher, heisere Kehlen im Block.

Überhaupt. Fussball. What’s to love? Die Frage stellt sich mit betrüblicher Regelmässigkeit, weil die Masslosigkeit in diesem Geschäft nach Corona sofort wieder ungebremst Tempo aufnimmt, die Selbstüberschätzung, weil patriarchale Strukturen hier so fest verankert sind, Machtspieler sich besonders wohlfühlen, Turniere fragwürdig vergeben werden und fragile Männlichkeit in ganz grossen Schüsseln serviert wird, wenn es um diesen Sport geht. Ehrlich? Es nervt.

Endlich steht der Fussball im Fokus

Und nun diese EM in England. Plötzlich steht das im Fokus, worum es geht: Fussball. Plötzlich ist es dennoch kein Problem, auch die gesellschaftlichen und politischen Dimensionen dieses Sports anzusprechen. Plötzlich fachsimpeln da Frauen, bringen ihre Expertise ein, ihren Witz und ihre Liebe zu diesem Sport, scheinen endlich auch deutsche Medien aufzuwachen zu einer notwendigen Entwicklung. Ich bin keine Freundin davon, diesen Sport, sobald Frauen am Ball sind, zu einem familienfreundlichen Event zu verniedlichen – und was das angeht, gilt es einen Spagat zu bewältigen in einem Text wie diesen, also: Es ist toll zu sehen, wie viele Familien in England im Stadion sind. Es ist ebenso grossartig zu erleben, dass dieser Fussball als Sport ganz selbstverständlich Fans begeistert und das aktuelle Turnier auch Skeptiker und Zweiflerinnen mitnimmt.

All das lässt sich in Zahlen ablesen. Der bisherige Publikumsrekord eines Turniers, der EM 2017 in den Niederlanden, ist schon jetzt gebrochen. Das Halbfinale zwischen England und Schweden erreichte mit 5,39 Millionen Zuschauern und Zuschauerinnen (23,6 Prozent Marktanteil) den bisherigen Bestwert bei Spielen ohne deutsche Beteiligung. Im Vergleich verfolgen 58 Prozent mehr Fans die EM am Fernseher als das Turnier 2017, der alte Rekord von 164 Millionen vor den Bildschirmen ist bereits nach den Viertelfinalspielen übertroffen. Das alles sind sehr gute Neuigkeiten.

Sportlich ist es eine tolle Meldung, dass im Finale zwei Trainerinnen an der Seitenlinie stehen. Von den 16 Teams, die bei dieser EM qualifiziert waren, wurden bei Beginn des Turniers zehn von Männern und nur sechs von Frauen gecoacht. Schaut man auf die für Frauen häufig noch deutlich steinigeren Wege in diesem Beruf, ist es ein besonderes Ausrufezeichen, dass zwei von ihnen das Finale an den Kollegen vorbei erreichen. Es ist auch ein Hinweis an nationale Verbände, wie wichtig es ist, in der Ausbildung für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen.

"It's coming home": Englische Halbfinal-Party am Trafalgar Square

Der letzte Schritt steht noch aus, doch schon nach dem Einzug ins EM-Finale durch das 4:0 gegen Schweden jubelten die englischen Fans beim Public Viewing auf dem Londoner Trafalgar Square frenetisch. Der Glaube an den Titel bei der Heim-EM ist riesig. (Bildcredit: imago)

Es muss ein "weiter so" geben

Mehr Sichtbarkeit für Expertinnen schaffen bei diesem Turnier die übertragenden Sender und andere Medien. Eine Entwicklung, die hoffentlich über die EM hinaus Bestand haben wird – und Meldungen wie jene, dass Tabea Kemme und Julia Simic künftig als Expertinnen bei Sky die Bundesliga beobachten, machen da Hoffnung. Fussball bleibt nämlich Fussball, egal, ob die Kugel von Frauen oder Männern bearbeitet wird – und die Kolleginnen bleiben Expertinnen, egal, wer am Ball ist. Diese Feststellung darf sich ruhig noch weiterdurchsetzen.

Für Verband und Vereine gilt es nun, anders als nach der WM 2011, den Schwung aus diesem Turnier mitzunehmen in den Bundesliga-Alltag. Welches enorme Potenzial Fussball der Frauen hat, wurde in der letzten Saison gerade in internationalen Spielen mehrfach angedeutet. Die EM macht das nun noch mal mit Nachdruck deutlich, wohlgemerkt, während nationale Spiele der Männer teils bereits wieder laufen. Mit dieser Erkenntnis geht eine Verantwortung einher, dauerhaft mehr Überzeugung, Geld, Aufmerksamkeit und Begeisterung zu investieren.

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