Aktive und ehemalige Spielerinnen, die bei grossen Fussballturnieren als TV-Expertinnen auftreten, gibt es schon seit Jahrzehnten. Doch warum bekommen Ariane Hingst und Almuth Schult plötzlich so viel Aufmerksamkeit? Die Arbeit der TV-Expertinnen Nia Künzer und Célia Šašić hat beispielsweise nie grossartiges mediales Interesse hervorgerufen. Der entscheidende Unterschied zu Hingst und Schult: Künzer und Šašić arbeiten im Frauenfussball.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Frauenfussball und Männerfussball sind, obwohl ein und dieselbe Sportart, Produkte, die sehr unterschiedlich vermarktet werden. Auch aus diesem Grund haben sie einen unterschiedlichen Stellenwert in der Gesellschaft.

Vor- und Nachberichterstattung von EM-Spielen mit aufwendiger Taktikanalyse sind im Frauenfussball selten anzutreffen. Der Live-Kommentar ist oft eine Art vertonter Lebenslauf der Spielerinnen. Es fehlt an Tiefgang.

EM-Expertinnen Schult und Hingst erfüllen die hohen Erwartungen

Bei der Übertragung von Männerfussball hingegen sorgt alleine schon die lange Sendezeit für eine gewisse Erwartungshaltung. Um diese adäquat zu füllen, wird einiges an Hintergrundwissen benötigt.

Wenn Nationaltorhüterin Almuth Schult im EM-Studio der ARD Spiele der Männer analysiert, muss sie also ihre Kompetenz ungleich stärker unter Beweis stellen, als wenn die ehemalige Nationalspielerin Nia Künzer während der Europameisterschaft der Frauen genau dasselbe tut.

Zusätzlich sorgen die höhere mediale Aufmerksamkeit und die gesellschaftlich immer noch weit verbreitete Annahme, Frauen und Fussball passten irgendwie nicht zusammen, für fast unerfüllbare Erwartungen an den Job als Expertin während eines Männerturniers.

Anzumerken ist ARD-Studioexpertin Almuth Schult und ZDF-Co-Kommentatorin Ariane Hingst dieser Druck nicht. Im Gegenteil. Sie wirken oftmals sogar befreiter als ihre männlichen Pendants. Ein Nebeneffekt der gerne angeführten Bodenständigkeit des Frauenfussballs? Vielleicht. Denkbar ist aber auch, dass sich beide in einem Setting, das sich auf Fussball als Sport fokussiert und ihn ernst nimmt, einfach nur wohlfühlen.

England ist Vorreiter für TV-Expertinnen im Männerfussball

Bei der Entwicklung weg von reinen Männerrunden hin zu mehr Diversität in Fussballübertragungen sind englische Fernsehsender deutschen um einiges voraus. Ex-Nationalspielerin Alex Scott analysiert schon länger Frauen- und Männerfussballspiele für Sky Sports und die BBC. Als erste TV-Expertin in der Geschichte der BBC begleitete sie 2018 die Männer-WM in Russland.

Chelsea-Trainerin Emma Hayes bringt den Zuschauerinnen und Zuschauern des Senders ITV während der aktuell laufenden Europameisterschaft Taktik näher und ist laut einer Umfrage eines Wettanbieters die beliebteste EM-Expertin.

Neben Scott und Hayes besprechen aktuell auch die ehemalige englische Nationalspielerin Eniola Aluko und die aktive dänische Nationalspielerin Nadia Nadim für ITV EM-Spiele.

Obwohl den englischen TV-Expertinnen in sozialen Medien von einigen Unbelehrbaren immer noch viel Hass entgegenschlägt, stehen sie doch für eine unaufhaltsame Entwicklung: die Normalisierung von Frauen und Fussball.

Frauen, die Männerfussball analysieren, entwerten Sexismus

Durch den Einsatz von aktuellen und ehemaligen Spielerinnen als TV-Expertinnen für Männerfussball wird die Geschlechtertrennung aufgeweicht und eine sexistische Grundannahme entwertet: Frauen und Fussball gehören eben doch zusammen.

Dass Frauen es allerdings nur “geschafft” haben zu scheinen, sobald sie im Männerfussball arbeiten, ist problematisch. Denn Taktikanalysen und fundierte Gesprächsrunden mit Fokus auf den Sport könnten genauso gut im Frauenfussball stattfinden.

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