Immer wieder kam der Vergleich mit 2006. Die Erwartungen an die Heim-EM 2024 in Deutschland waren riesig. Nach vier Turnier-Wochen heisst der Europameister nicht Deutschland. Und das Wetter schlug auch manchmal Kapriolen. Trotzdem machte es viel Spass, Fans aus aller Welt zu Gast zu haben. Ein Pro und Contra.
Pro: Diese EM war ein Sommermärchen
von Jörg Hausmann
Die deutsche Mannschaft ist bei der Heim-EM 2024 schon im Viertelfinale gescheitert. Das ist sogar eine Runde früher als bei der Heim-WM 2006. Trotzdem steht das "Sommermärchen 2024" dem von 2006 in nichts nach.
Da ist zum einen der Wiedervereinigungs-Effekt zwischen den heimischen Fans und der Mannschaft. Die Liebe zur Auswahl mit dem Adler auf dem Trikot ist im Laufe eines friedlichen und fröhlichen Turniers von Neuem entflammt. Das war noch vor den beiden Testspielsiegen im März in Frankreich und gegen die Niederlande kaum vorstellbar gewesen.
Zum anderen gibt es nichts Schöneres und Erfüllenderes, als sich den Gästen aus aller Welt als ein guter Gastgeber präsentiert zu haben. Okay, das Pünktlichkeits-Defizit der Deutschen Bahn haben jetzt für ein paar Wochen auch Österreicher, Niederländer und Franzosen ertragen müssen. Davon aber abgesehen, nahmen Deutschland und die hier lebenden Menschen den Faden von 2006 wieder auf. Sie gaben allen Angereisten das Gefühl, zu Gast bei Freunden zu sein. Und diese Fans fühlten sich augenscheinlich sehr wohl.
Zudem stimmte die Qualität des Fussballs, wenn nicht gerade Gruppen- oder erste K.-o.-Spiele Englands oder Frankreichs auf dem Plan standen. Zumeist liessen die Mannschaften das Abtasten weg, siehe beispielsweise das Rekord-Tor Albaniens gegen Italien. Frisch und frei und oft in atemberaubendem Tempo wurde angegriffen und verteidigt. Und die packende Spannung dauerte meist bis in die Nachspielzeit an. Deswegen habe ich ein Sommermärchen erlebt.
Contra: Das Sommermärchen gibt es nur einmal
von Julian Münz
Dieses Turnier hat Spass gemacht! Und das ist nach mehreren verkorksten Welt- und Europameisterschaften von Uefa und Fifa auch mal wieder schön zu sagen. Es dann gleich wieder zum Sommermärchen hochzujubeln, wäre dann aber doch zu viel des Guten.
So ein Sommermärchen schreibt sich eben nicht einfach so dahin, es muss einfach alles passen. Bei der WM 2006 war das so: Gutes Wetter, euphorische Fans und Momente für die Ewigkeit, wie das wohl spektakulärste Eröffnungsspiel der WM-Geschichte oder den Abgang von Zinedine Zidane per Kopfstoss im WM-Finale. Hinzu kam, dass die WM 2006 ein überraschendes neues Bild von Deutschland zeichnete. Dass die Welt dem Turniermotto entsprechend ausgerechnet in Deutschland "zu Gast bei Freunden" sein kann, das war damals noch eine neue Erkenntnis.
2024 wiederum wussten die Gäste längst, dass sie hier bei Freunden sind. Und konnten deshalb mal ansprechen, dass die Deutsche Bahn einiges an Verbesserungsbedarf hat. Auch das Wetter zeigte sich von seiner anderen Seite - wo kein Sommer, da kein Sommermärchen. Und dann zehrten noch die sportlichen Grossmächte England und Frankreich mit ihrer fussballerischen Verweigerungshaltung bis ins Finale an den Nerven der Fans.
Das DFB-Team wiederum verhinderte die noch bis ins Frühjahr befürchtete Blamage bei der Heim-EM souverän, aber scheiterte dann gegen Spanien im EM-Viertelfinale an der ersten grossen Hürde. Ein Pendant zum Argentinien-Spiel 2006 fehlte in diesem Jahr. Wie sich die deutsche Mannschaft zurück in die Herzen der Fans spielte, war beeindruckend, märchenhaft aber noch nicht. Und das musste es nach Katar auch wirklich gar nicht sein.
Auch deshalb war die EM in diesem Jahr kein weiteres Sommermärchen - und wen sollte es auch wundern? Die Voraussetzungen bei der WM 2006 waren schliesslich ganz andere. Die Heim-EM jetzt daran zu messen, würde dem Turnier nicht gerecht werden. Sie war vielleicht kein Sommermärchen, dafür aber auf ihre Weise schön.
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