Niemand mochte den Fussball von Trainer Gareth Southgate bei diesem Turnier. Nun muss man nach dem Halbfinalsieg über die Niederlande (2:1) nüchtern anerkennen: Deutschland ist raus und Southgates Engländer kurz vor ihrem grössten Triumph. Berlin erwartet beim EM-Endspiel am Sonntag gegen Spanien ein Duell der Gegensätze.
Was haben wir wochenlang über die Engländer geschimpft, ihren Antifussball verflucht und ihnen eine baldige Heimreise über den Ärmelkanal gewünscht.
Jetzt müssen wir Abbitte bei Trainer
Englands bestes Spiel der EM 2024
Die Gelegenheit bekommt er jetzt am Sonntag im EM-Endspiel gegen Spanien (hier beim uns im Live-Ticker). England geht bestens gerüstet und rechtzeitig mit Topform in das Spiel des Jahres. Das 2:1 gestern Abend im Halbfinale gegen die Niederlande war endlich ein Auftritt, wie man ihn angesichts dieser Star-Mannschaft um Harry Kane und Jude Bellingham seit Turnierstart erwartet hatte. Ballsicher, zielstrebig, streckenweise hoch überlegen, mental ein Bollwerk: Das war ihr bestes Spiel bei der EM 2024.
Das Berliner Olympiastadion wird ein Duell der Gegensätze erleben. Auf der einen Seite die verspielte Truppe aus Spanien, die Freude an der spektakulären Spielgestaltung empfindet, hochtalentiert und leidenschaftlich. Auf der anderen Seite das abgezockte und kaltherzige Team aus England, das kein Pfund Sterling darauf gibt, ob das Publikum nach ständigem Ballgeschiebe in einen Sekundenschlaf fällt oder nicht. Das Motto: Wer gewinnt, hat immer recht.
Knappe Siege mit einem Tor Unterschied
Die Engländer haben in den sechs EM-Spielen niemals mehr als einen Treffer kassiert und sind nie ein Risiko eingegangen. Jeder Sieg war knapp: maximal ein Tor Unterschied. Unvergessen das Achtelfinale gegen die Slowakei. England war auf Schalke quasi geschlagen, bekam sechs Minuten Nachspielzeit, warum auch immer, und glich durch Bellinghams Fallrückzieher in letzter Sekunde aus. Die Southgate-Truppe nahm die Rettung wie eine Selbstverständlichkeit hin.
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Man muss es so sagen: Aus diesem Holz sind Meister geschnitzt. Vor drei Jahren in London, beim Finale gegen Italien, reichte die unterdrückte Souveränität nicht zum EM-Sieg. Southgate lernte daraus das Rehhagel-Prinzip, wie aus der sicheren Abwehr zu spielen ist - nicht schön, aber geduldig und effizient. So wurde Otto Rehhagel mit den Griechen vor 20 Jahren Europameister. Nun die Engländer: Ihnen doch egal, was die Leute sagen. Deutschland ist raus, sie im Finale.
Müssen wir das geisseln? Unbedingt! Und danach sofort Anerkennung zollen, dass aus den oft belächelten Lions endlich ein Titelkandidat geworden ist. Das deutsche Achtelfinal-Aus gegen England vor drei Jahren war noch dem Umstand geschuldet, dass dem damaligen Bundestrainer Joachim Löw die Kraft zu weltmeisterlichen Tugenden abhandengekommen war. Jetzt ist England ein anderes Kaliber. Der Killerinstinkt ist nicht zu leugnen. Spanien wird das spüren.
Über den Autor
- Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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