- Viele Fehler, kein Lerneffekt: Die UEFA irritiert mit ihrem Verhalten und muss während der EM eine Menge Kritik einstecken.
- Marketing-Experte: "Sport-Organisationen nach wie vor in einem Professionalisierungs-Prozess".
- Veränderungen, ein Umdenken und Lerneffekte sind bei grossen Verbänden "schwierig".
Kritik an grossen Sport-Verbänden ist heutzutage fast schon ein Reflex, ein Automatismus. Das Misstrauen den Organisationen gegenüber ist riesig, der Ruf ramponiert bis schlecht. So gesehen betreibt die Europäische Fussball-Union (UEFA) bei der laufenden EM fleissig negative Imagepflege. Denn die Zahl der Fehltritte ist inzwischen auf ein beachtliches Mass angewachsen. Das Krisenverhalten? Landet leider passgenau in allen möglichen Fettnäpfchen. Und der Lerneffekt? Liegt in etwa bei null, so wirkt es zumindest.
Jeder UEFA-Fauxpas ist fast schon eine eigene Geschichte wert. Und jedes Mal kassierte der Verband verbale Veilchen, musste jede Menge Kritik einstecken. Vor allem im Verhalten rund um die Corona-Krise bewies die UEFA wenig bis gar kein Fingerspitzengefühl, sondern setzte ihre eigenen Wünsche und Forderungen mit dem moralischen Holzhammer um. So wurden die Ausrichterstädte im Vorfeld der EM unter Druck gesetzt, Fans ins Stadion zu lassen. Wer sich weigert, fliegt, lautete damals der dezente Hinweis. Dazu sollte Grossbritannien die Quarantäneregeln für die VIPs "anpassen". Hätte das nicht funktioniert, hätten die Finalspiele nicht in London stattgefunden. Auch hier: Eine Drohung, so simpel wie effektiv.
EM 2021: Die Wünsche haben sich überschlagen
Im Laufe des Turniers wurden dann parallel zu steigenden Inzidenzen – wie zum Beispiel in England – die Kapazitäten in den Stadien erhöht. Die UEFA schweigt – oder verweist auf die lokalen Behörden. "So kann man nicht auftreten. Denn als Ausrichter sitze ich genauso mit im Boot", kritisiert Dr. Tim Ströbel, Professor für Marketing und Sportmanagement an der Universität Bayreuth, im Gespräch mit unserer Redaktion. Für den normalen Bürger sei das nicht nachvollziehbar, so Ströbel, "aus Marketing-Perspektive ist es schwer zu erklären und zu kommunizieren. Ich hatte das Gefühl: Das Turnier hat gut angefangen, doch dann haben sich die Wünsche der UEFA überschlagen."
Die EM als Superspreader-Event: Der Vorwurf ist längst da, in etwa zwei Wochen dürfte man dann wissen, ob und in welcher Grössenordnung das Turnier tatsächlich ein Pandemietreiber war. So oder so: Bilder von 60.000 Fans wie bei den Halbfinals in London, ohne Masken und ohne Abstand, sich dafür in Jubel-Ekstase in den Armen liegend, sind bei Inzidenzen von über 200 in Grossbritannien mindestens irritierend. Ein Effekt: Die ursprüngliche Intention, ein Turnier eines vereinten Europas auszutragen, rückt so in den Hintergrund.
Zorn und Unverständnis
Ebenfalls irritierend war das Verhalten der UEFA in der sogenannten Regenbogen-Debatte. Der Verband hatte sich mit dem Verbot, das Stadion in München in den Farben für mehr Toleranz und Gleichstellung leuchten zu lassen, den Zorn und das Unverständnis vieler Beteiligter zugezogen. Die Kombination Politik und Sport war generell schon immer ein Drahtseilakt. "Irgendjemandem tritt man bei solchen Entscheidungen immer auf den Schlips, weil die Themen und Entscheidungen sehr komplex sind", betont Ströbel: "Trotzdem muss man sich dem Thema offen stellen. Und bei gewissen Entscheidungen macht man es sich bei der UEFA zu einfach."
Denn der Experte stellt klar: Unpolitisch, wie die UEFA sich selbst immer bezeichnet, ist der Verband nicht. "Es ist immer eine politische Dimension dabei. Teilweise sind es sogar politische Fragen internationalen Ausmasses, die mit einfliessen", so Ströbel, der damit zum Beispiel auf die Vergabe der Spiele nach Baku anspielt, was im Grunde ein politisches Statement ist. "Im Fall der Regenbogen-Debatte hätte sich die UEFA klar zu ihren Werten positionieren können, den Ball hätte der Verband relativ elegant aufnehmen können", sagt er.
Warum gibt es keinen Lerneffekt?
Eine grosse Frage in der Debatte: Warum gibt es nach der teils massiven Kritik keinen Lerneffekt innerhalb des Verbandes? Warum bleibt man so treffsicher auf Fettnäpfchen-Kurs? "Man darf nicht unterschätzen, dass bei einem so grossen Verband sehr viele verschiedene Meinungen und Perspektiven präsent sind. Am Ende ist es die Qualität der Manager, das alles optimal unter einen Hut zu bringen. Es ist aber gleichzeitig auch die Schwierigkeit", sagt Ströbel.
Diese Probleme hat nicht nur die UEFA, auch der Weltverband FIFA liefert regelmässig Skandale, von der Dauerkrise des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) ganz zu schweigen. Eine Folgefrage: Wie gut und modern sind die Strukturen innerhalb des Verbands? "Da könnte man die These wagen, dass sich Sport-Organisationen nach wie vor in einem Professionalisierungs-Prozess befinden. Da gibt es noch Potenzial", so Ströbel.
Ein traditioneller Vorwurf: UEFA, FIFA oder DFB gehe es in erster Linie nur um Geld. Die Funktionäre seien von Profitmaximierung getrieben, Moral und Anstand suche man deshalb vergebens, heisst es. Dass es den Verbänden auch um Monetarisierung geht, ist für Ströbel keine Überraschung, sondern logisch, "denn die UEFA agiert im Prinzip wie ein wirtschaftliches Unternehmen. Und natürlich geht es bei der EM um Geld, das ist ein kommerzielles Event, eines der grössten auf der Welt."
Kommerz zu sehr im Fokus
Das Problem ist die Priorisierung, die Gewichtung nach aussen. "Das Thema Kommerzialisierung steht sehr im Fokus, weshalb so ein Verband so ein schlechtes Image hat", so der Marketing-Experte. Denn es gibt eben nicht nur diese Perspektive. So werden durch den Fussball und ein Turnier Werte und gesellschaftliche Normen transportiert, Emotionen werden vermittelt. Der Kern des Ganzen ist und bleibt ein Fussballspiel. Zumindest in der Theorie. Die Herausforderung für die Verbände: Ein wirtschaftliches Unternehmen sein, ohne Werte zu vernachlässigen. "Das müsste die UEFA besser vermitteln", sagt Ströbel: "Dass es im Kern um das Fussballspiel geht, darf nie vergessen werden. Das wird es von den handelnden Personen aber hin und wieder."
Ist der Fussball also moralisch kaputt? Hier kommt vom Experten "ein klares Nein. Der Fussball ist ein Abbild der Gesellschaft, es sind viele Interessen, Meinungen und Richtungen wiederzufinden. Die Regenbogen-Debatte hat gezeigt, dass der Fussball helfen kann, Dinge in die Öffentlichkeit zu tragen und kontrovers zu diskutieren", sagt Ströbel.
Kein Selbstläufer
Die gemeinsame Liebe zum Fussball sei die perfekte Ausgangsbasis, um auf der Plattform gemeinsam zu wirken und an Themen zu arbeiten, so Ströbel, der die UEFA mit in die Verantwortung nimmt: "Der Verband könnte damit noch proaktiver umgehen. Da muss man sich der eigenen Rolle noch bewusster sein." Aus Fehlern lernen, offener, transparenter kommunizieren. Den Leuten nichts verheimlichen, nichts beschönigen oder Probleme gar totschweigen. "Dafür erklären, warum man gewisse Dinge tut. Und dass man auch gute Sachen macht, um klarzumachen, wie positiv so ein Event sein kann", so Ströbel.
Ein Selbstläufer wird das in Zukunft nicht, vorausgesetzt, man will es innerhalb des Verbandes überhaupt. Ströbel weiss: "Veränderungsprozesse, ein Umdenken, Lernprozesse sind in grossen Organisationen schwierig." Die Voraussetzung auch hier: ein fähiges Management. "Es steht und fällt mit den Verantwortlichen und ob und wie sie damit umgehen wollen", sagt der Experte, der aber auch das Positive des Turniers sieht: "Es wurde Fussball gespielt, und man hat die Begeisterung gespürt. Für wie viel man sich das erkauft hat, ist allerdings die grosse Frage, die man im Nachgang klären muss." Damit man die Fettnäpfchen in Zukunft auslässt.
Verwendete Quellen:
- Zeit.de: Kritik an der UEFA in der Regenbogen-Debatte wächst
- sportschau.de: Grossbritannien lockert Quarantäneregelungen für VIPs
- Augsburger Allgemeine: Keine Geisterspiele bei der EM
- sportschau.de: 60.000 Fans bei den Finalspielen zugelassen
- tagesschau.de: Kritik an der UEFA wächst
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