Die Gratistrikots eines Vergleichsportals fluten die Europameisterschaft - und sind wahrscheinlich der grösste Marketing-Coup der Fussballgeschichte.
Sie sind überall. Nicht in einem übertriebenen Sinne: sondern wirklich überall. Auf Grillfesten. Am Supermarkt. Im VIP-Bereich. In Kneipen, Videos von TikTok-Influencern, auf Fanfesten, in vielen Kleinanzeigen - das Gratistrikot des Vergleichsportals Check 24 flutet in Millionenauflage alles, was auch nur entfernt mit der Fussball-EM zu tun hat. Die einen haben für das weisse Shirt nur Hohn und Spott übrig, doch andere merken an: Eine so niedrigschwellige Teilhabe-Möglichkeit habe es selten gegeben.
Es ist womöglich der grösste Marketing-Coup der Fussball-Geschichte. Aber darüber reden? Das will in diesen EM-Tagen niemand. Nicht Check24, das fünf Millionen Werbeträger losschickt. Auch nicht Puma, das mit dem Guerilla-Marketing dem Konkurrenten adidas schadet. Nicht adidas, das seinerseits auf grandiose Verkaufszahlen der echten Trikots verweist. Und schon gleich gar nicht der Deutsche Fussball-Bund. Die Anfragen in alle Richtungen ergeben: nichts.
Heinrich Blase hat aber doch einmal gesprochen. Den "öffentlichkeitsscheuen Firmenlenker" nennt ihn das Portal Finance Forward, dem der Gründer sein einziges Interview gab. "Alles über eine Million wäre ein Erfolg gewesen", sagt Blase darin, "1,5 Millionen hatten wir geordert." Gestoppt wurde die Aktion bei unglaublichen fünf Millionen. Alles, was Fans dafür tun mussten, war der Download der App und die Teilnahme an einem Gewinnspiel: Schon kam das Shirt mit schwarz-rot-goldener Schrift und KI-generiertem Fantasie-Adler per Post. "Made in China", steht im Kragen.
Check24-Aktion: Geschätzte Kosten von 100 Millionen Euro
Nicht nur musste Puma gewaltige Mengen produzieren, es wurde auch kräftig geworben. In EM-nahen Formaten, mit Weltmeister Lukas Podolski, der die Trikots aus einer T-Shirt-Kanone verschoss - aber eben nicht in den Stadien oder auf offiziellen EM-Werbeflächen. Finance Forward schätzt die Kosten für Produktion, Versand und Werbung auf 100 Millionen Euro. EM24 mit Check24: Auch das passt der Ähnlichkeit wegen perfekt. Angesichts der penetranten TV-Werbung nennt der Spiegel das Shirt schon den "Ohrwurm für das Auge".
"Das ist ein schönes Beispiel für Ambush-Marketing", sagte Christoph Breuer dem SID. Er leitet das Institut für Sportökonomie und Sportmanagement an der Deutschen Sporthochschule in Köln. "Ein Unternehmen zahlt nicht für Sponsoring-Rechte, wird aber mit der Nationalmannschaft assoziiert." Allerdings stellten derlei Aktionen "eine zentrale Geschäftsgrundlage des Sport-Business auf den Prüfstand", gefährdeten sie möglicherweise. Die auf Gegenleistung basierende Beziehung zwischen Sponsor und Gesponsertem werde "unterlaufen".
Verbraucherschützer sehen weiteren Anlass zu Kritik. Gratis sei das Shirt keinesfalls, bezahlt werde mit Daten - Millionen Mail-Adressen oder Handynummern werde Check24 zu nutzen wissen. Das ist wohl neben dem Werbewert und dem endgültigen Einstieg ins Segment Fussball das Ziel.
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Sämtliche Erwartungen wurden weit übertroffen
Sämtliche Erwartungen jedenfalls wurden weit, weit übertroffen. Wer konnte schon damit rechnen, dass junge Frauen in Instagram-Videos Tipps geben würden, womit das Teil ideal zu kombinieren sei? Hinzu kommt ein für Puma netter Effekt: Jedes Trikot verhindert potenziell, dass ein Fan 100 Euro beim Rivalen adidas ausgibt. Würde nur jeder fünfte Check24-Träger sonst ein DFB-Trikot kaufen, wären das 100 Millionen Euro - die ein Konkurrent nicht einnimmt.
Inzwischen wecken die Trikots, die im Gegensatz zu früheren Aktionen hochwertig wirken, Begehrlichkeiten bei jenen, die keines mehr bekommen haben. Bei ebay verlangen Verkäufer zwischen 15 und 100 Euro - und damit in der Spitze tatsächlich den Preis für ein Originaltrikot. (SID/lh)
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