Nach dem EM-Aus der Niederlande gegen England prasselt von allen Seiten Kritik auf den deutschen Schiedsrichter Felix Zwayer ein. Ein ehemaliger Kollege sieht sich in seiner vorangegangen Einschätzung bestätigt. Kurios: Eine Entscheidung für die "Three Lions" sorgt auch bei den Experten in England für Unverständnis.

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Der niederländische Abwehrchef Virgil van Dijk hat nach dem bitteren EM-Aus in letzter Minute Kritik am deutschen Schiedsrichter Felix Zwayer geübt. "Die Tatsache, dass er direkt in die Kabine rennt, sagt alles", sagte van Dijk am Abend nach dem 1:2 der Elftal gegen den nunmehrigen EM-Finalisten England. Konkret monierten die Niederländer Zwayers Spielleitung in den letzten Minuten.

Auch der Elfmeter, den Harry Kane zum zwischenzeitlichen 1:1 verwandelt hatte, sorgte für Aufregung. "Ich hätte den Elfmeter nicht gegeben. Aber letztlich hat der VAR (Videoschiedsrichter) eingegriffen – und das müssen wir akzeptieren", sagte van Dijk bei MagentaTV.

Bondscoach Koeman war allerdings weit von Akzeptanz entfernt: "Was kann man tun als Verteidiger? Ich bin der Meinung, dass es keinen Elfmeter hätte geben sollen", sagte Koeman. "Es bricht einfach den Fussball."

Ex-Schiedsrichter Gräfe fühlt sich bestätigt

Der ehemalige deutsche Top-Schiedsrichter Manuel Gräfe sah sich jedenfalls in seiner Kritik an der Ansetzung von Zwayer, die er schon vor dem Spiel als "verantwortungslos" bezeichnet hatte, bestätigt. Die Schiedsrichter-Kommission der Europäischen Fussball-Union Uefa habe das bekommen, "was nicht sein musste, aber sehenden Auges passieren musste: Eine Schiedsrichter-Diskussion! Als ob es in ganz Europa keinen anderen gegeben hätte", schrieb er auf der Plattform X.

Der betroffene Denzel Dumfries, der Kanes Schuss blocken wollte, dabei aber foulte, kommentierte: "Es gibt den Kontakt mit Kane, also weiss man auch, dass der Schiedsrichter den Elfmeter geben kann. Dafür übernehme ich die Verantwortung. Man tut alles, um ein Tor zu verhindern, aber dann passiert so etwas. Das ist wirklich scheisse."

Diese Szene von Harry Kane sorgte für den Elfmeter
Diese Szene zwischen Harry Kane und Denzel Dumfries sorgte für den Elfmeter. © IMAGO/Pro Sports Images/Nigel Keene

Die Ansetzung Zwayers war in England vor dem Spiel skeptisch bewertet worden. Es gab eine brisante Vorgeschichte: Vor zweieinhalb Jahren hatte Bellingham, damals noch im BVB-Trikot, die Verstrickung Zwayers in den Manipulationsskandal um Robert Hoyzer thematisiert. Wochenlang kochte dieses Thema damals hoch, aufgrund der heftigen Debatte stand Zwayer kurz davor, seine aktive Karriere zu beenden.

Diesmal dürfte Bellingham zumindest mit der Elfmeter-Entscheidung zufrieden gewesen sein. Auf dem Feld kreuzten sich die Wege von Zwayer und Bellingham dann hin und wieder. Englands Star liess sich früh behandeln (10.) – und musste mit der Rückkehr auf den Platz lange Sekunden warten, bis der deutsche Schiedsrichter sie genehmigte. Bellingham warf die Arme in die Luft und grinste schicksalsergeben. Viel später sah der Mittelfeldspieler die Gelbe Karte (72.).

England-Experten nennen Pfiff für England eine "Schande"

Kurios: Auch die britischen Experten haderten mit Zwayers Elfmeter-Entscheidung, obwohl sie zugunsten der "Three Lions" ausfiel. Der ehemalige Nationalspieler Gary Neville nannte den Pfiff eine "Schande" und fügte an: "Eine skandalöse Entscheidung. Dass so ein Elfmeter verhängt wird, egal wann, und schon gar nicht in einem so wichtigen Spiel. Er geht natürlich rein und versucht, den Schuss zu blocken. Das ist niemals ein Elfmeter."

Auch der frühere Nationalverteidiger Jamie Carragher schloss sich an. Bei X schrieb er: "Niemals ein Elfmeter." Zwayer hatte sich im Spiel zunächst gegen einen Elfmeter entschieden und korrigierte diesen Entschluss nach Sichtung der Videobilder.

Auch der frühere niederländische Nationalspieler Pierre van Hooijdonk kritisierte in seiner Rolle als TV-Experte Zwayer scharf und forderte, den 43 Jahre alten Deutschen auf eine "schwarze Liste" zu setzen. "Wir können lang und breit darüber reden, aber wenn man dafür einen Strafstoss gibt, kann es im Finale acht solcher Elfmeter geben. Wirklich schrecklich", sagte der 54-Jährige. Zwayer habe auch in anderen Szenen falsch entschieden, kritisierte der Ex-Fussballer: "Das sind Momente, die in diesem Spiel entscheidend waren."

"Ein hundertprozentiger Elfmeter. 'Schlappen drübergehalten', wie wir im Pott sagen."

Olaf Thon zur Elfmeter-Entscheidung Zwayers

Unser Kolumnist Olaf Thon hingegen war im Gespräch mit unserer Redaktion ganz auf Zwayers Seite, als es um die Frage eines Fouls von Dumfries gegen Kane ging. "Ein hundertprozentiger Elfmeter. 'Schlappen drübergehalten', wie wir im Pott sagen. So darfst du als Abwehrspieler nicht in den Zweikampf gehen. Da gibt es keine zwei Meinungen."

Koeman wollte am Ende die Schuld für das Ausscheiden dann doch nicht bei Zwayer suchen: "Das ist nicht der Grund für unsere Niederlage. Sie haben ein zweites Tor geschossen und das war der Grund für unsere Niederlage." Ollie Watkins hatte in der ersten Minute der Nachspielzeit den Siegtreffer für England erzielt.

Im Übrigen sahen nicht alle eine schlechte Leistung Zwayers. "Klare Linie, klare gelbe Karten, Fokus", befand Zwayers Schiedsrichter-Kollege Patrick Ittrich bei MagentaTV. "Am Ende gab es kein grosses Thema im ganzen Spiel. Wir haben uns im Vorfeld zu viele Gedanken gemacht." (dpa/sid/ms/ska/hau)

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