Österreichs Sommermärchen soll im Halbfinale gegen Dänemark um ein Kapitel reicher werden. Den ÖFB-Damen von Coach Dominik Thalhammer ist auch gegen den Deutschland-Bezwinger einiges zuzutrauen - zumal der Gegner ein kleines Problem haben könnte.
Mit einem Jahr Verspätung bekommt Österreich nun doch noch sein EM-Märchen. Eigentlich sollten die Männer bei ihrem Turnier im vergangenen Sommer auftrumpfen, Österreich aus seinem kärglichen Nischen-Dasein holen und auf die Fussball-Landkarte der grossen Nationen des Kontinents setzen.
Das Ergebnis ist bekannt - und es stärkte jene Geister, die einem ÖFB-Team bei einem grossen Turnier schlicht gar nichts zutrauen.
Nun aber machen die Mädels den arg gebeutelten Verband und seine Fans auf eine Art glücklich, die so niemand für möglich gehalten hätte. Nach dem sensationellen Sieg über Spanien im Viertelfinale der Europameisterschaft scheint für den Underdog mittlerweile alles möglich.
Erinnerungen an Griechenland
Erinnerungen werden wach an die Griechen und daran, wie sie vor 13 Jahren aus dem Nichts bis hoch auf Europas Thron marschiert sind. Als der krasseste Aussenseiter, der jemals ein wichtiges Endturnier gewinnen konnte - mit einer Art Fussball, die dem der ÖFB-Frauen sehr ähnlich ist.
Österreichs Frauen haben sich als das Kryptonit der Schönspielerfraktion erwiesen. Keine andere Mannschaft im Turnier verteidigt aggressiver, entschlossener, leidenschaftlicher und strukturierter als die von Coach Dominik Thalhammer.
Ein einziges Gegentor hat Österreich in vier Spielen plus einer Verlängerung, also in 390 Minuten, erst kassiert.
Richtig erdiger Fussball
Das ist die Basis des Erfolgs und es ist auch die Basis für einen selten dagewesenen Teamgeist in der Truppe.
"So zu verteidigen ist mental gar nicht so leicht", betont Thalhammer. "Man steht tief, man muss aktiv verteidigen, aber nicht zu aggressiv. Da steckt viel mehr dahinter. Man muss Deckungsschatten aufbauen, kein Spiel in den Zwischenlinien zulassen. Deswegen beissen sich viele Teams die Zähne aus, das macht uns Spass", sagt der Trainer, dem man den Stolz über die Leistungen seiner Mannschaft in jedem gesprochenen Satz anmerkt.
Österreich besticht mit echtem, erdigem Fussball und nicht Alibi-Veranstaltungen wie die der turmhohen Favoriten aus Deutschland oder Schweden oder Frankreich.
Diese Mannschaften sind längst aus den Niederlanden abgereist. Die Thalhammer-Truppe aber ist noch immer im Turnier und hat im Halbfinale gegen Deutschland-Bezwinger Dänemark alle Chancen, bis ins Endspiel zu marschieren.
Mental stark und locker drauf
Neben der defensiven Grundausrichtung kann sich die Mannschaft vor allem auf ihre perfekte Mischung aus mentaler Stärke bei gleichzeitig maximaler Lockerheit verlassen.
"Wir haben den mentalen Aspekt im Fussball auf ein neues Level gehoben. Wir können mit unserer Verzahnung von sportpsychologischem Training und Taktik ein Best-Practice-Beispiel sein", erklärt Thalhammer.
Die Mannschaft gebe dem sehr viel Raum, betont der Trainer. "Auch ich treffe mich jeden Tag 15 Minuten vor dem Frühstück mit der Mentaltrainerin. Wir besprechen Dinge, sie sagt mir auch, wie einige Dinge ankommen. Das ist für mich unglaublich wertvoll. Das ist auch ein Grund für meine und unsere Gelassenheit in diesem Turnier."
Das führte im Viertelfinale gegen Spanien offenbar so weit, dass der Trainer im Elfmeterschiessen nicht um geeignete Schützen betteln musste - sondern dass sich ihm freiwillig sechs oder sieben Spielerinnen anboten und er am Ende sogar die freie Wahl hatte.
Der Teamgeist ist neben den handwerklichen Besonderheiten der Schlüssel zum Erfolg. "Wir sind seit einem Monat nun zusammen, mit nur zweimal drei Tagen Pause. Es gab in dieser Zeit nicht einen Konflikt innerhalb der Mannschaft, auch nicht im Betreuerteam. Das ist schon immens", sagt Thalhammer.
Hält Dänemark die Spannung?
Die Däninnen nutzten gegen eine uninspirierte deutsche Mannschaft die Gunst der Stunde und dürften jetzt neben den bisher famos spielenden Engländerinnen die besten Chancen auf den Titel haben. Zumindest auf dem Papier.
Dänemark hat den EM-Dominator der vergangenen Jahrzehnte eliminiert. Ein grösseres Spiel als gegen Deutschland kann es nicht geben. Jetzt die Spannung gegen den vermeintlich leichten Gegner Österreich hoch zu halten, konzentriert zu bleiben - das ist die grosse Kunst. Und an der sind schon ganz andere Mannschaften gescheitert.
Dänemark hat mit Ausnahme des Deutschland-Spiels bisher eine allenfalls durchwachsene EM gespielt. Zudem hat die Mannschaft in einem Freundschaftsspiel Anfang Juli gerade erst gegen Österreich verloren.
Die Däninnen sind homogen aufgestellt, es gibt wenige Schwachpunkte. Auf der anderen Seite gibt es auch keine überragenden Spielerinnen. Angreiferin Nadia Nadim und Kapitänin Pernille Harder sind noch die auffälligsten Akteurinnen.
Ausfall von Lisa Makas soll Leistung nicht trüben
Der Kreuzbandriss von Lisa Makas war ein Schlag ins Kontor, er trübt die Aussichten auf das Halbfinale aber nicht weiter.
Auch das gehört bei einer Spitzenmannschaft dazu: Dass sie Rückschläge wegstecken und daraus vielleicht sogar neue Energie ziehen kann.
Die Reise der ÖFB-Mädels ist noch nicht vorbei, die Mission noch nicht erfüllt. Gegen Dänemark dürfen sich die Fans wohl auf den nächsten Krimi gefasst machen.
Bundeskanzler Christian Kern schickte die Frauen mit dem wohl nicht ganz ernst gemeinten Auftrag los, in der Vorrunde wenigstens gegen Island zu gewinnen und damit die Herren für ihre Pleite gegen die Wikinger vor Jahresfrist zu rächen.
Diese "Pflicht" ist längst erfüllt. Jetzt erfolgt die Kür. Und die darf gerne erst am Sonntag in Enschede abgeschlossen werden. Da steigt dann das Finale.
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