Das DFB-Team steht nach der Pleite gegen die Niederlande in der EM-Qualifikation unter Druck. Auch, weil Nordirland fleissig punktet. Vor dem direkten Duell in Belfast sprach unsere Redaktion mit dem Nordirland-Experten Dietrich Schulze-Marmeling über Fussball in Zeiten des Brexit, über ein Land, das einen Bürgerkrieg hinter sich hat, und über Fans, die ihr Team selbst dann feiern, wenn es verliert.
Herr Schulze-Marmeling, Nordirland trifft in der EM-Qualifikation auf Deutschland. Haben die Nordiren bei all dem Brexit-Chaos überhaupt Nerven für Fussball?
Dietrich Schulze-Marmeling: Fussball kann ja alle anderen Themen verdrängen (lacht). Bisher hat die nordirische Nationalmannschaft eine sehr ordentliche EM-Qualifikation gespielt (vier Spiele, vier Siege; Anm.d.Red.).
Seit der Qualifikation für die EM 2016 geht es mit dem nordirischen Fussball weiter bergauf. Das Spiel gegen Deutschland ist nun das absolute Highlight und wird sicher zumindest für ein paar Stunden das Thema Brexit beiseite schieben.
Der Brexit schwebt dennoch über allem. Schliesslich wird Nordirland dann eine grüne Grenze zur EU haben.
Selbstverständlich ist es ein Riesenthema. Der Brexit ist ja eigentlich eine englische Angelegenheit, weil sowohl in Schottland als auch Nordirland eine Mehrheit gegen den Brexit gestimmt hat.
Die katholische Community hat mit überwältigender Mehrheit gegen den Brexit votiert, aber auch viele liberale Protestanten. Aber die konservative Politik in London interessiert die Meinung von zwei Millionen Nordiren wenig.
Der Konflikt zwischen Protestanten, die sich meist zum Königreich zugehörig fühlen, und den Katholiken, die sich meist eine Wiedervereinigung mit Irland wünschen, schwelt bis heute - und spielt auch in der Fussball-Nationalmannschaft eine Rolle?
Die Nationalmannschaft hat unter den protestantisch-unionistischen Bürgern deutlich mehr Popularität als in der katholisch-nationalistischen Community. Die Katholiken halten es im Fussball eher mit der Republik Irland. Das ist historisch gewachsen.
Ab 1985 und dem anglo-irischen Abkommen war die Fussball-Nationalmannschaft für viele Protestanten im ehemaligen "protestant state for protestant people" eine der letzten Institutionen, die für nordirische Eigenständigkeit stand und den Norden von der Republik abgrenzte. Das hat sich auch bei Länderspielen geäussert.
Die Katholiken haben dem Nationalteam den Rücken gekehrt. Das Nationalstadion, der Windsor Park, liegt in einem militant-protestantischen Gebiet und ist eine "no-go area" für Katholiken. Man schätzt die Zahl katholischer Zuschauer bei Länderspielen auf maximal acht bis zehn Prozent. Selbst die Ernennung des Nationaltrainers hat einen politischen Anstrich.
Warum ist das so?
Michael O'Neill ist ein Katholik. Hier wurde offenbar versucht, mehr Unterstützung in der katholischen Community zu gewinnen. Katholische Spieler entschieden sich lieber für die Nationalmannschaft der Republik – dort fühlten sie sich willkommen. Dies beschnitt die Rekrutierungsmöglichkeiten der nordirischen Auswahl.
Der ehemalige Nationalspieler Neil Lennon, heute Trainer von Celtic Glasgow, hatte 2002 seine Nationalmannschaftskarriere beendet, nachdem er sogar Morddrohungen erhalten hatte. Damals hat der Verband erkannt, dass er das anti-katholische Sektierertum bekämpfen und auf die katholisch-nationalistische Community zugehen muss.
Nordirland hat schon zwölf Punkte geholt und steht in der Gruppe C vor Deutschland und den Niederlanden. Woher kommt der Aufschwung?
Der Erfolg ist eng verbunden mit Michael O'Neill. Es hat sich aber auch etwas in der Ausbildungs- und Rekrutierungspolitik getan. Früher durften in der Nationalmannschaft nur Spieler spielen, die auch in Nordirland geboren wurden. Heute sind mehrere Spieler dabei, die nordirischen Hintergrund haben, aber in England geboren wurden.
Fast alle Spieler spielen in Schottland oder England – wenn auch in England eher in der zweiten oder dritten. Nur ein Spieler, der 20-jährige Shayne Lavery, steht bei einem nordirischen Klub unter Vertrag, beim FC Linfield. Unter den "kleinen" Fussballnationen ist Nordirland wieder eine der grösseren.
Was auffällt: Die Fans feiern die Mannschaft selbst bei Niederlagen. Woher kommt das?
Sie haben das Image des Underdogs angenommen. Es gibt ja den Slogan "We're not Brazil, we're Northern Ireland".
Sie sind stolz darauf, was sie als kleines Land geleistet haben. Früher wurden eher anti-katholische Songs gesungen. Verschiedene Kampagnen in der Fanszene haben aber für einen Stimmungsumschwung gesorgt. Und das erleben wir heute.
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