Wegen des Militärgrusses in der türkischen Nationalmannschaft befinden sich gerade die deutsch-türkischen Sportler in der Zwickmühle. Ein Experte erklärt, was sich die türkischen Fussballspieler beim Torjubel denken.

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Die türkische Fussballnationalmannschaft hat momentan allen Grund zur Freude. Nach dem späten Siegtor zum 1:0-Sieg gegen Albanien und dem durchaus überraschenden 1:1-Unentschieden gegen Weltmeister Frankreich thront die Türkei punktgleich mit den Franzosen auf dem ersten Platz der EM-Qualifikationsgruppe H und hat damit gute Chancen, an der Europameisterschaft im nächsten Jahr teilzunehmen.

Den sportlichen Aspekt aber überdeckt die umstrittene Militäroffensive in Nordsyrien. Sie wurde am 9. Oktober gestartet, um dort gegen die kurdischen Volksschutzeinheiten der YPG-Miliz vorzugehen. In denen sieht die Türkei einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wegen jenes Einsatzes versammelten sich die türkischen Spieler nach ihren Toren und am Ende der Spiele und zeigten einen Militärgruss.

Türken jubelten mit Militärgruss

Der sportliche Erfolg verlor in der internationalen Presse dadurch schnell an Bedeutung. In den Vordergrund rückte das vermeintliche politische Statement.

Viele sehen in dem Salutieren eine öffentliche Befürwortung des höchst umstrittenen Militäreinsatzes. Da die UEFA in ihren Stauten politische Bekundungen jeglicher Art verbietet, hat sie gegen den türkischen Verband nach dem Spiel gegen Albanien ein Verfahren eingeleitet, welches am 17. Oktober eröffnet wird.

Wie bereits berichtet, waren auch die deutschen Nationalspieler Emre Can und Ilkay Gündogan kurzzeitig in den Fokus geraten. Sie hatten ein Foto des Siegtorschützen Cenk Tosun, das ihn beim Jubel mit Militärgruss nach dem 1:0 gegen Albanien zeigt, auf sozialen Netzwerken mit einem "Like" versehen.

Experte: Nationalismus spielt in Türkei sehr grosse Rolle

Doch was bringt die türkischen Spieler überhaupt dazu, beim Torjubel zu salutieren? Für deutsche Fans ist ein vergleichbares Verhalten der Spieler der deutschen Nationalmannschaft unvorstellbar.

Turkologie-Professor Christoph Neumann hat dafür eine mögliche Erklärung: "Nationalismus spielt in der Türkei eine sehr grosse Rolle." Nationalismus sei etwas, das man praktizieren müsse, wenn man dazugehören wolle. So werde etwa vor jeder Partie in der türkischen SüperLig die Nationalhymne gespielt.

Die weitgehende Solidarität mit den türkischen Soldaten und dem Militär erklärt er damit, dass im Land eine allgemeine Wehrpflicht herrsche, sodass die meisten Türken einen Militärdienst abgeleistet hätten. Der Jubel sei demnach mehr Respektsbekundung gegenüber den Landsmännern als eine Zustimmung zu dem Militäreinsatz an sich.

Deutsch-türkische Spieler müssen sich entscheiden

Dass sich nicht jeder Spieler der türkischen Nationalelf an dem Militärjubel beteiligt, zeigt das Beispiel Kaan Ayhan. Im Spiel gegen Albanien war der Verteidiger von Fortuna Düsseldorf noch aufgefallen, als er, gemeinsam mit seinem Düsseldorfer Mannschaftskollegen Kenan Karaman, den umstrittenen Militärgruss zeigte. Im Spiel gegen Frankreich weigerte sich Ayhan, der den späten Ausgleich erzielt hatte, dann aber trotz teaminterner Aufforderung, sich am Militärjubel zu beteiligen.

Türkische Spieler mit Militärgruss nach Sieg gegen Albanien

Nach dem Last-Minute-Sieg gegen Albanien in der EM-Quali salutieren türkische Spieler mit einem militärischen Gruss. Es drohen Konsequenzen.

Aus Neumanns Sicht ein durchaus gewagtes Vorgehen. Er meint: "Wer nicht mitmacht, muss in der Türkei mit harten sozialen Sanktionen rechnen."

Genau hierin liege das Dilemma, besonders für die deutsch-türkischen Fussballspieler. Laut Neumann müsse sich ein Spieler für eine Nation entscheiden. Es sei nicht möglich, beide Gesellschaften gleichermassen zufriedenzustellen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Neumann
Prof. Dr. Christoph Neumann ist Professor der Turkologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er beschäftigt sich mit der Kultur, Gesellschaft, und der Politik der Türkei.


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