Beim EM-Spiel zwischen den Niederlanden und Polen ruderten kürzlich Wolff-Christoph Fuss und Lothar Matthäus zurück, nachdem sie auf eine Aussage hin eine kritische Nachricht aus dem DFB-Lager erhalten hatten. Die Einflussnahme auf die Berichterstattung verdeutlicht das schwierige Verhältnis zwischen Sport und Medien.
Es war durchaus kurios und ungewöhnlich, was die Zuschauerinnen und Zuschauer kürzlich während der Übertragung des EM-Vorrundenspiels zwischen Polen und den Niederlanden bei RTL und MagentaTV zu hören bekamen.
Während der ersten Halbzeit sprachen Kommentator Wolff-Christoph Fuss und Experte
Dieser Vergleich kam einem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge im Trainingslager der Nationalmannschaft in Herzogenaurach gar nicht gut an, woraufhin Co-Trainer
Fuss bezeichnete die Aktion im Nachhinein als "eine nette Flachserei zwischen den Jungs in Herzogenaurach und uns". Allerdings stellt sich die Frage, ob der Vorfall tatsächlich so leicht abgetan werden kann. Immerhin nahm eine Führungsperson des DFB-Teams ganz offensichtlich Einfluss auf die journalistische Berichterstattung während der Übertragung.
Die freie und kritische Berichterstattung im Fussball ist deutlich schwieriger geworden
"Ich würde es nicht als Eingriff in die Pressefreiheit werten, aber es ist ein interessanter Hinweis auf das zum Teil etwas asymmetrische Verhältnis zwischen Sport und Medien. Im Sport gibt es teilweise das Verständnis, am längeren Hebel zu sitzen und sich Kritik zu verbitten", erklärt Daniel Nölleke, der an Deutschen Sporthochschule in Köln zu aktuellen Trends im Sportjournalismus forscht, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Tatsächlich ist die freie und kritische Berichterstattung vor allem im Spitzenfussball in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden. Spätestens im Zeitalter der sozialen Medien sind die europäischen Spitzenklubs nicht mehr auf eine unabhängige Berichterstattung angewiesen. Öffentliche Trainingseinheiten sind seltener, der Kontakt zu den Spielern ist schwieriger geworden.
Stattdessen wird Sportjournalistinnen und -journalisten immer wieder mit Sanktionen gedroht, die Wutreden von
Nachricht an die Kommentatoren: "In der Politik würde es einen Aufschrei geben"
Selbstverständlich hat Wagner das Recht, Kritik zu äussern. Er war selbst als TV-Experte tätig und pflegt vermutlich einen guten Kontakt zu Fuss und Matthäus. Wie kompliziert die Situation der Pressefreiheit im Sport ist, wird allerdings deutlich, wenn man das Beispiel auf ein anderes Ressort überträgt. Wir wären die Reaktionen wohl ausgefallen, wenn beispielsweise ein Spitzenpolitiker eine Nachricht an Markus Lanz geschickt und den Talkmaster während seiner Show zum Zurückrudern gebracht hätte?
"Das ist undenkbar", sagt Nölleke. "Der Sport-Medien-Komplex lebt von einem Geben und Nehmen. Der Sportjournalismus findet mittlerweile auf einer hoch analytischen, aber oft auf einer weniger kritischen Ebene statt. In der Politik würde es einen Aufschrei geben. Und im Sportjournalismus muss man sich vielleicht auch fragen, warum der Aufschrei in diesem Fall ausbleibt."
Sportjournalismus muss mehr als leichte Unterhaltung sein
Die Argumentation, dass es letztlich "nur" Fussball ist, über den berichtet wird, greift zu kurz. In Zeiten, in denen Weltmeisterschaften in Katar stattfinden und der Sport immer mehr politisiert wird, ist kritischer Sportjournalismus nötiger denn je.
"Manche Leute machen es sich in diesem Bereich zu einfach, wenn sie sagen: Es ist nur Sport, es ist nur Unterhaltung. Auch in diesem Bereich sollte es der Anspruch sein, dass man sachlich, neutral berichtet und kritisch hinterfragt. Es ist extrem problematisch, sich vom Sport an der langen – oder vielleicht sogar kurzen – Leine durch die Manege führen zu lassen. Es ist nicht die Pressefreiheit im strukturellen Sinn, die eingeschränkt wird. Aber wenn der Horizont der möglichen Berichterstattung durch drohende Sanktionen eingeschränkt wird, ist das problematisch", sagt Nölleke.
Während es für Sportjournalistinnen und -journalisten vor 20 Jahren noch möglich war, einen Bundesliga-Trainer wenige Tage vor einem Spiel einfach anzurufen, ist ein Interview ohne Absprache und Autorisierung durch die Presseabteilung der Vereine mittlerweile praktisch unmöglich geworden. In der Premier League sprechen die Spieler eigentlich nur noch mit den TV-Rechte-Inhabern oder den Klub-Medien. Zur Verkündung von Neuigkeiten nutzen die Klubs die vereinseigenen Social-Media-Kanäle und sind nicht auf externe Berichterstatter angewiesen.
Wie soll der Sportjournalismus auf die veränderten Bedingungen reagieren?
Aber wie können Sportjournalistinnen und -journalisten auf diese veränderten Arbeitsbedingungen reagieren? Die sei eine ganz schwierige Frage, findet Nölleke: "Man kann nicht näher dran sein, man kann keine besseren Einblicke als der Verein selbst gewähren. Wenn der Sportjournalismus merkt, dass er am kürzeren Hebel sitzt, ist es dann nicht vielleicht an der Zeit, sich auf das zurückzubesinnen, was man eigentlich ist? Es könnte eine Reaktion sein, sich zurückzubesinnen auf den kritischen Blick auf den Gegenstand. Aber man muss sich auch die Frage stellen, ab wann man sich zu marginalisieren beginnt."
Wolff-Christoph Fuss und Lothar Matthäus entschieden sich dafür, die Einmischung aus dem DFB-Lager aufzugreifen und in ihre Berichterstattung einzubauen. Sie spielten sich mit dem DFB-Team die Bälle hin und her, wovon sie letztlich sogar profitierten.
"So wie es im Nachhinein dargestellt wurde, war es gar nicht so schlecht für Wolff-Christoph Fuss und die RTL-Übertragung. Nach aussen wurde signalisiert, wie nah dran man an der Mannschaft ist. Dem Publikum ist vielleicht gar nicht bekannt, dass diese engen Kontakte gepflegt werden. Vor dem Hintergrund der Legitimität dieser Formate könnte das vielleicht eine Rolle spielen", sagt Nölleke.
Letztlich war der Vorfall also ein gutes Beispiel für das im Sportjournalismus häufig praktizierte Geben und Nehmen. Aber trotzdem: Die nötige, kritische Distanz zu wahren, ist die grosse Herausforderung für den Sportjournalismus in unserer Zeit.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Daniel Nölleke ist als Juniorprofessor für "Sportjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit" an der Deutschen Sporthochschule in Köln am Institut für Kommunikations- und Medienforschung tätig. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit aktuellen Trends im Sportjournalismus.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Daniel Nölleke
- bild.de: "Geheime Wagner-WhatsApp an Fuss und Matthäus"
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