Er ist einer der besten Torhüter der Welt. Aber Marc-André ter Stegen kommt an Manuel Neuer nicht vorbei. Weil er niemals einen Umsturz anzettelte, führt ihn die Torwart-Statistik nur als Nummer 8 in der DFB-Geschichte. Sogar Jens Lehmann liegt vor ihm.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Bei der Zahl der Länderspiele führt Manuel Neuer inzwischen 118:40 gegenüber Marc-Andre ter Stegen. Neuer ist schon 38 Jahre alt und damit sechs Jahre älter als ter Stegen. Aber man kann davon ausgehen, dass er als Rekordtorwart nicht mehr eingeholt wird. Eher tritt ter Stegen zurück als der Weltmeister von 2014.

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Es ist schon kurios. Deutschland hat zwei Weltklasse-Torhüter. Der eine spielt seit Jahren erfolgreich beim FC Bayern, der andere beim FC Barcelona, also: absolute Königsklasse. In ein paar Jahrzehnten wird man sich aber nur an den erinnern, der mit dem DFB Turniere gespielt hat. Das war seit 2010 immer Manuel Neuer.

Dessen Bilanz: ein WM-Sieg, ein dritter WM-Platz, zweimal EM-Halbfinale, aber auch zwei WM-Blamagen (2018 und 2022) sowie ein vorzeitiges EM-Aus (2021). Kein Bundestrainer rüttelte jemals an seiner Vormachtstellung. Weder Joachim Löw noch seine Nachfolger Hansi Flick und Julian Nagelsmann.

Immer im Schatten von Manuel Neuer

Manuel Neuer war, wenn er fit war, immer gesetzt. Ist das gerecht? Marc-André ter Stegen macht kein Geheimnis daraus, dass ihn die Situation "enttäuscht". Wann immer die öffentliche Meinung zu seinen Gunsten umschlug, festigte sein Kontrahent die eigene Position. Notfalls mithilfe von Bayern-Boss Uli Hoeness.

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Es spricht für ter Stegens Charakter, dass er niemals einen Umsturz gegen die vermeintliche Nummer 1 angezettelt hat. Brav verspricht er vor der Heim-EM, dass er das Sportliche vom Menschlichen trennen kann: "Am Ende des Tages hast du eine Verantwortung der Gruppe gegenüber. Ich werde helfen, wo ich kann."

Da waren andere Weltklasse-Torhüter, die in einer ähnlichen Situation steckten, weniger rücksichtsvoll. Uli Stein zum Beispiel, damals beim Hamburger SV, wollte den Status von Toni Schumacher 1986 nicht akzeptieren. Und musste die WM vorzeitig verlassen, weil er Teamchef Franz Beckenbauer "Suppenkasper" nannte.

Legendär wurde der Verdrängungswettbewerb vor der WM 2006. Jens Lehmann nervte den einstigen Welttorhüter Oliver Kahn so penetrant, dass Trainer Jürgen Klinsmann irgendwann einen Schlussstrich zog: Lehmann durfte ran. Da half auch Kahns Bayern-Connection nicht mehr. Die Meldung schaffte es in die Tagesschau.

Zu nett für den Profifussball?

Marc-André ter Stegen, der sich in einer Vereinsmannschaft mit Lionel Messi und Neymar behaupten konnte, würde Nagelsmann oder Neuer niemals beleidigen und seine Ansprüche öffentlich untermauern. Vielleicht ist genau das sein Problem: Der Darwinismus des Profifussballs verlangt manchmal Rücksichtslosigkeit.

So wird ter Stegen bei der Heim-EM von der Ersatzbank zusehen müssen, wie Neuer Länderspiel an Länderspiel reiht. Läuft alles glatt (das heisst: bis zum Finaleinzug), liegt er am Ende 40:125 zurück. In der 124 Jahre alten DFB-Statistik wäre er dann nur die Nummer 8 unter allen Torhütern. Sogar Lehmann läge vor ihm.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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