Am Ende war die offizielle Verkündung keine Überraschung mehr, aber eine Nachricht mit Tragweite ist es trotzdem: Emma Hayes (47) wird nach Ende der Saison 2023/24 mit den Frauen des FC Chelsea die neue Nationaltrainerin des US Women's National Team (USWNT) und ausserdem zur am besten bezahlten Trainerin der Welt im Fussball der Frauen.

Annika Becker
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Annika Becker dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Verkündet wurde das wenige Tage nach dem neuen TV-Deal der NWSL in Höhe von 240 Millionen US-Dollar über vier Jahre. Beides zusammengenommen ist eine Kampfansage.

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Bereits am 4. November hatte der FC Chelsea in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass Hayes den Verein nach Ende der laufenden Saison verlassen werde, um sich "einer neuen Aufgabe ausserhalb des Vereinsfussballs" zu widmen. Noch am selben Abend berichtete 'The Athletic' aus gesicherter Quelle über eine bevorstehende Anstellung Hayes' beim Frauen-Nationalteam der USA.

Am Dienstagabend dieser Woche erfolgte dann die offizielle Verkündung durch die U.S. Soccer Federation (USSF). Hayes steigt ab Mai 2024 und damit zwei Monate vor den Olympischen Spielen 2024 in Paris ein, bis dahin bleibt Twila Kilgore (43) Interimstrainerin. Sie hatte im August nach der Freistellung von Vlatko Andonovski (47) aufgrund des Gruppen-Aus der vormaligen Weltmeisterinnen bei der WM 2023 übernommen. Eine der grössten Sorgen von Beobachtenden der Situation war, dass die USSF sich vor einem nötigen Impuls von aussen verschliessen würde, aber wie es aussieht, wurde genau dieser Bedarf erkannt.

USA auf Identitätssuche

Noch während Andonovskis Amtszeit waren die USA im Grunde genommen auf Identitätssuche. Hoch veranlagte Spielerinnen gibt es im und um den Kader viele, nur schien es Andonovski nicht möglich, ihnen ein funktionierendes taktisches Grundgerüst zu geben. Die Gründe scheinen tief liegend zu sein. Der Fussball in der heimischen NWSL gilt als sehr physisch und schnell, ausgelegt auf Pressing und Umschaltspiel.

Schaut man sich die statistischen Werte der Teams in der Liga an, fällt sofort auf, dass es (abgesehen von North Carolina Courage) kaum Unterschiede zwischen den Teams bei der Intensität des Pressings, der Länge der Ballbesitz-Zeiten oder den bespielten Räumen auf dem Platz gibt.

Die NWSL mag also sehr ausgeglichen und spannend anzuschauen sein, es fehlt aber die taktische Variabilität. Eine überlegene Physis war lange eine der Erfolgssäulen des USWNT, im heutigen Fussball reicht das allein aber nicht mehr aus, wenn Titel gewonnen werden sollen. Wie sich die Liga durch den heftigen, aber auch vergleichsweise kurzfristigen Geldregen durch den neuen TV-Vertrag entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Die 60 Millionen US-Dollar pro Jahr sind das Vierzigfache der bisher gezahlten 1,5 Millionen Dollar. Geht es nach Liga-Leiterin Jessica Berman soll nach den vier Jahren Laufzeit des neuen Vertrages nach der WM 2027 eine erneute Steigerung erfolgen. Die Vereine wären jedenfalls gut beraten, zunächst vor allem in bleibende und die Bedingungen der Spielerinnen weiter verbessernde Werte zu investieren.

Das wiederum hätte dann mittel- bis langfristig Auswirkungen auf das Nationalteam. Solche Prozesse ein Stück weit zu begleiten, vor allem aber an einem Nationalteam zu schrauben, das hauptsächlich aus Spielerinnen aus der US-Liga besteht, erfordert eine besondere Art von Coach und genau da kommt Emma Hayes ins Spiel.

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Emma Hayes, die Entwicklerin

Sie war seit 2012 Trainerin der Frauen des FC Chelsea, ihr Vermächtnis für den Briefkopf der 'Blues' sind unter anderem sechs englische Meisterschaften und fünf FA-Cup-Siege. Einem Champions-League-Titel am nächsten kamen Hayes und ihr Team in der Saison 2020/21 mit dem Einzug ins Finale gegen den FC Barcelona. Die dramatische 0:4-Niederlage, schon nach 36 Minuten entschieden, löste bei der Trainerin den Antrieb zu einer weiteren taktischen Entwicklung aus.

Chelseas Spiel ist schon lange vielseitiger, als nur den Ball lang auf die schnelle Sam Kerr zu schlagen, Spielerinnen wie Trainerin begingen über die Jahre eine gemeinsame Evolution von einem sehr physischen Spiel, hin zu einem Fussball der eine gute Physis als Grundlage hat, aber weit mehr zu bieten hat. Dennoch ist ein Titel auf allerhöchstem internationalem Niveau genau das, was Hayes noch fehlt: "Es wäre ein Märchen, den Wettbewerb zu gewinnen. Aber ich bin nicht mit Märchen aufgewachsen", sagte Hayes dazu vor dem Spiel in der Champions League gegen Real Madrid am Mittwoch (2:2).

Mindestens genauso wichtig wie Titel sind aber andere Dinge, die Emma Hayes während ihrer über zehnjährigen Amtszeit erwirkt hat. Denn als sie von der Co-Trainerin zur Nachfolgerin von Matt Beard wurde, war die Frauenabteilung Chelseas noch semiprofessionell und beendete die Gründungssaison der Women's Super League (WSL) 2011/12 auf dem drittletzten Platz. Mit den heutigen Bedingungen ist das nicht mehr zu vergleichen.

Sportwissenschaft und deutliche Worte

Hayes ist mit dafür verantwortlich, dass im Training sportwissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden, die speziell auf den Fussball der Frauen zugeschnitten sind. Zum Beispiel, wenn es um den Einfluss der Periode auf das Training geht, um Spielerinnen, die von Endometriose betroffen sind, oder um die Begleitung während und Rückkehr nach einer Schwangerschaft, wie im Fall von Ex-Nationalspielerin Melanie Leupolz.

Chelsea gilt in der Branche aktuell was Ausstattung und Arbeitsweise angeht als einer der modernsten arbeitenden Vereine im Fussball der Frauen.
Diesen Reformwillen trägt Hayes regelmässig auch nach aussen, sie spricht immer wieder konkret die Bedingungen in der WSL oder im Fussball der Frauen generell an. Sei es die Qualität der Plätze, Spiel-Ansetzungen oder den Versuch der Fifa, 'Visit Saudi' als Sponsor für die WM 2023 zu installieren.

Ihre Loyalität gilt dabei immer unverkennbar ihren eigenen Spielerinnen, weshalb sie von Fans anderer Vereine durchaus als streitbare Persönlichkeit wahrgenommen wird. Dass sie eine der besten Trainerinnen der Welt ist, würde allerdings kaum jemand bestreiten wollen.

Bestbezahlte Trainerin im Fussball der Frauen

Es verwundert also nicht, dass die USSF alle Hebel in Bewegung setzte, um Hayes von Chelsea loszueisen. Dabei geholfen hat auch die Verbindung zu den USA, denn ihre Trainerinnen-Karriere begann auf Long Island und führte sie schliesslich von 2008 bis 2010 zu den Chicago Red Stars. Ihr Gehalt beim US-Verband wird im Rahmen von 1,8 bis 2 Millionen US-Dollar geschätzt und liegt damit gleichauf oder sogar etwas höher als das von Gregg Berhalter, Cheftrainer der US-Männer.

Während es für Prämien bei den Spielerinnen seit 2022 eine durch eben diese hart erkämpfte Verpflichtung zu Equal Pay gibt, ist Hayes Gehalt davon nicht betroffen – es entspricht ihrem Marktwert und der Wichtigkeit ihrer neuen Position als Trainerin des bei den Frauen erfolgreichsten Verbandes der Welt. Kein anderer zahlt bisher auch nur annähernd so viel Gehalt für diese Position.

Die Verpflichtung von Emma Hayes, aber auch der neue TV-Vertrag sind daher gleich in mehrfacher Hinsicht eine Kampfansage an den restlichen Fussball, vor allem den in Europa, wo die englische WSL der NWSL den Rang abzulaufen schien und sich zum Beispiel mit Spanien und England neue ernstzunehmende Konkurrenten um internationale Titel entwickelt haben. Es ist aber auch eine Verschiebung der Wertigkeit, auf die sich andere Trainerinnen und Trainer in Zukunft berufen können. Dem US-Verband ist mit der Einstellung von Emma Hayes ein Coup gelungen – alle anderen müssen sich fragen, wie sie in Zukunft mithalten wollen.

Verwendete Quellen

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