Aus dem Nichts hat es Robin Gosens aus der Münsterländer Provinz in die Serie A geschafft. Mit Atalanta Bergamo trifft der 23-Jährige in der Europa League auf Borussia Dortmund und erfüllt sich damit den nächsten grossen Traum.

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Geschichten, wie die von Robin Gosens, gibt es heute eigentlich gar nicht mehr. Die Nachwuchsleistungszentren der höchsten Spielklassen in Deutschland spucken Jahr für Jahr reihenweise Talente auf den Markt. Alle bestens ausgebildet, geformt von hochqualifizierten Ausbildern, permanent leistungsüberwacht und regelrecht hochgezüchtet für die Anforderungen des modernen Profifussballs.

Nur ein winzig kleiner Prozentsatz schafft es dann auch bis zum Profivertrag, nahezu alle Spieler der ersten und zweiten Liga mit einem deutschen Pass haben aber eine Geschichte in einem der Leistungszentren nachzuweisen. Das ist der Regelfall. Robin Gosens ist die grosse Ausnahme.

Am Donnerstagabend spielt der Sohn einer Deutschen und eines Niederländers in der Europa League mit Atalanta Bergamo gegen Borussia Dortmund. Internationaler Fussball, die Serie A, der BVB als Gegner - all das war für Gosens vor wenigen Jahren noch absolut undenkbar.

2012 kickte er noch in Rhede, einem kleinen Städtchen im westlichen Münsterland. Die Landesliga war seine Heimat, 200 Zuschauer am Wochenende. In Dortmund werden es an die 80.000 sein.

"Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich morgens beim VfL Rhede auf dem Platz stand, am Abend davor noch aus war und mit den Jungs Bierchen ohne Ende geschlürft habe. Und jetzt spiele ich gegen Klubs wie Neapel, gegen echte Weltstars", erinnert sich der 23-Jährige.

In seiner Kinder- und Jugendzeit wurde er von den grösseren Klubs der Umgebung geflissentlich übersehen. Bei Fortuna Elten und dem 1. FC Bocholt verbrachte er seine Jugendjahre, in der A-Jugend folgte dann der Wechsel nach Rhede.

Zufällig entdeckt worden

Bei einem Spiel der Niederrheinliga beim 1. FC Kleve fiel er einem Scout von Vitesse Arnheim auf. Gosens war am Abend davor noch mit seinen Kumpels bis in die Morgenstunden unterwegs. Der Scout war eigentlich wegen anderer Spieler angereist, gab seine Notizen über Gosens aber brav weiter.

Probetraining, erste Gespräche und kurze Zeit später der Wechsel des Teenagers in die Eredivisie. Aus dem Nichts gelang der Sprung von der Landesliga in den Profifussball. Die Ausbildung bei der Polizei, für die sich Gosens beworben und im Auswahlverfahren qualifiziert hatte, liess er dann vorerst liegen.

In Arnheim hatte der damalige Trainer Peter Bosz zwar keine Verwendung für Gosens und schickte ihn weiter zum FC Dordrecht. Aber Bosz hatte ein gutes Auge dafür, wo der gelernte Mittelfeldspieler am besten eingesetzt werden könnte: auf der linken Aussenbahn in der Viererkette.

In Dordrecht fasste Gosens schnell Fuss und stieg mit dem Aussenseiterklub in die erste Liga auf. Ein Jahr später folgte der Wechsel zu Heracles Almelo. Der nächste Klub im Grenzgebiet zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Gosens pendelte die 100 Kilometer von seinem Elternhaus in Elten nach Almelo jeden Tag und übernahm in seiner Freizeit auch noch die die C-Jugend des SV Emmerich-Vrasselt. Die ersten Jahre seiner Karriere im professionellen Fussball hatten noch etwas Idyllisches und Heimeliges.

Dann kam der Anruf aus Italien, das war im vergangenen Sommer. Mit starken Leistungen hatte sich der Aussenverteidiger interessant gemacht, Atalanta wollte den Spieler unbedingt haben.

Auf Matthäus‘ und Völlers Spuren

Gosens ging das Abenteuer ein. Atalanta, ein ambitionierter Klub im Schatten der Mächtigen aus Mailand, Turin und Neapel.

Die Serie A, das einstige Lire-Paradies der 1980er und 1990er Jahre mit den deutschen "Vorgängern" Rudi Völler, Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann, Andi Brehme, Thomas Doll oder Icke Hässler. Nun also Robin Gosens aus Elten im Münsterland.

Es ist ein kleines modernes Märchen, wenn Gosens jetzt gegen einige die besten Spieler der Welt spielen darf, seinen Lebensunterhalt mit dem Fussball bestreiten kann. "Fast jeden Tag wundere ich mich darüber, wie mein Leben verläuft. Wenn ich meine Tasche fürs Training packe, ins Auto steige, meine Musik höre, dann frage ich mich manchmal: Was machst du eigentlich hier? Wie geil ist das denn? So richtig begreife ich noch gar nicht, was passiert ist", sagte er in einem Interview mit "Reviersport".

Probetraining beim BVB war "ein Fiasko"

Die Reise nach Dortmund, in den Signal-Iduna-Park, wird am Donnerstag auch zu einer kleinen Reise in die Vergangenheit. Als Gosens 18 Jahre alt war, wurde er beim BVB zum Probetraining eingeladen. Die grossen Ambitionen, die leise Hoffnung auf eine Chance zerplatzten aber schon nach wenigen Minuten.

"Ich konnte überhaupt nicht mithalten. Ich stand zwar auf dem Platz, aber ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie der Ball wieder von meinen Schuhen verschwunden war. Ich wusste überhaupt nicht, was passiert und war komplett überfordert", erinnert er sich. "Es war eine reine Katastrophe, ein Fiasko."

Bei Atalanta ist er der Ersatz des aus Turin ausgeliehenen italienischen Nationalspielers Leonardo Spinazzola auf der linken Abwehrseite. Gosens soll in Spinazzolas Schatten lernen, sich über Kurzeinsätze anbieten und langsam an das Niveau gewöhnen, das die Serie A immer noch hat.

Die Partie gegen die Borussia, deren Spiele er früher jedes Wochenende im Fernsehen oder live im Stadion verfolgte, ist da so etwas wie die Krönung. Vermutlich wird Gosens gegen den BVB nicht eingesetzt werden, für den 23-Jährigen wäre das kein Problem.

"Ich bin glücklich, selbst wenn ich nur gucken darf. Das ist eine unglaubliche Geschichte für mich und ich geniesse wirklich jeden Moment. Und obwohl ich jetzt auf dem Rasen stehe, bin ich immer noch auch Fan."

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