Hansi Flick ist neuer Trainer des FC Barcelona. Seine Aufgabe hat es in sich: Er soll den Angriff auf Real Madrid starten. Und das in allen Wettbewerben.
An den 14. August 2020 wird sich jeder Fan des FC Barcelona noch erinnern. An diesem Abend erlebten die Katalanen eine der schwersten Niederlagen in ihrer Geschichte. Das Team wurde überrollt, gedemütigt, unterlag dem FC Bayern in der Champions League mit 2:8. Die Spieler auf und neben dem Feld waren fassungslos. Superstar Lionel Messi traute seinen Augen nicht, Trainer Quique Setien resignierte spätestens mit dem sechsten Gegentreffer komplett und verfiel in Schockstarre.
Sein Gegenüber auf der anderen Seite trieb sein Team allerdings weiter an, wollte noch mehr Tore sehen.
Flick hat eine grosse Aufgabe beim FC Barcelona
Jeder Trainer, der beim grossen FC Barcelona unterschreibt, muss Titel gewinnen. Das ist das Selbstverständnis des Klubs. Dass Neu-Trainer Flick Titel gewinnen kann, hat er beim FC Bayern gezeigt, den er zu sieben Titeln in eineinhalb Jahren geführt hat. Gemessen an der Historie der Katalanen sind ein Sieg im Supercup und eine Meisterschaft in den vergangenen Jahren deutlich zu wenig. Titelexperte Flick soll Barça wieder auf Kurs bringen.
Doch ganz so einfach ist das nicht. Der Konkurrent in jedem Wettbewerb ist schliesslich Real Madrid. Quasi der Experte schlechthin im Titelsammeln, der jetzt auch noch Kylian Mbappé verpflichten konnte. Kaum eine Aufgabe im Weltfussball ist so gross wie diese. Es spricht für Flick, dass er es sich zutraut, die Dominanz der Hauptstädter zu brechen.
Probleme auf dem Transfermarkt
Allerdings muss er sich mit einigen Problemen auseinandersetzen. Schon vor Amtsantritt wird Flick gewusst haben, dass keine rekordverdächtigen Summen für neue Spieler ausgegeben werden können. Dani Olmo wurde aus Leipzig verpflichtet, konnte aber noch nicht für den Ligabetrieb registriert werden. Finanzielle Fehlplanungen und aberwitzige Investitionen, die sich nicht auszahlten, brachten den Verein in diese missliche Lage.
Einnahmen müssen her. Doch derzeit ist es nicht leicht, die Verkaufskandidaten bei anderen Teams unterzubringen. Auch, weil jeder potenzielle Käufer weiss, dass Barça Geld benötigt. Das drückt den Preis. Unter diesen Umständen ist auch der Olmo-Transfer ein Risiko. Niemand zweifelt dabei die Qualität des Spielers an, aber in der Abwehr, auf der Sechs oder ganz vorne wäre der Bedarf grösser gewesen als im offensiven Mittelfeld.
Flick ist derweil in den Schönredemodus verfallen, sprach mehrfach davon, wie gut die Jugend ist und dass er genügend Optionen habe. Und obwohl das teilweise sogar stimmt, kann es nicht der Anspruch sein, den Grossangriff auf Real Madrid mit ein paar 18-Jährigen zu starten.
Flick-Fussball verändert den FC Barcelona
Trotz nur weniger Anpassungen ist der Kader weiterhin stark besetzt. Nationalspieler ter Stegen im Tor, Spieler wie Araujo oder Koundé in der Abwehr, ein Pedri im Mittelfeld oder Lewandowski im Sturm können wichtige Achsen sein. Sie alle müssen aber lernen, die neuen Vorgaben des Trainers umzusetzen. Flick ist zwar nicht der "Anti-Xavi", aber sein Fussball ist doch ein anderer als der seines Vorgängers.
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Das ist ein entscheidender Nachteil gegenüber Real Madrid. Flick und sein Trainerteam müssen ihre Ideen schnell vermitteln, damit sich Auftritte wie das 0:3 gegen Monaco im letzten Test nicht wiederholen. Das Fazit nach der Vorbereitung fällt insgesamt zweigeteilt aus. Die Stilveränderungen sind erkennbar und im Spiel gegen den Ball gibt es zweifelsfrei mehr Engagement. Die letzten Prozentpunkte in der offensiven Abstimmung fehlen aber ebenso wie im Defensivbereich. Hier liegt noch Arbeit vor Mannschaft und Trainer.
Kann Flick die Zweifel ausräumen?
Eine wesentliche Frage ist, ob Hansi Flick beim FC Barcelona die Zweifel, die es gibt, ausräumen kann. Schliesslich war während seiner Bayern-Zeit auch nicht alles rosarot. In der zweiten Saison wurde der Fussball immer durchsichtiger, beim Triple profitierte er von der langen Pause, in der er die Mannschaft auf das höchste Fitnesslevel bringen konnte. Seine Zeit beim DFB würde er selbst am liebsten vergessen, hier passte extrem wenig.
Es lässt sich also gar nicht genau sagen, welches Gesicht nun das wahre Flick-Gesicht ist. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte, aber welches Extrem ist näher? Kurz vor dem Saisonstart herrscht jedenfalls keine grosse Euphorie. Ein bis zwei Verstärkungen mehr hätten sich auch die Fans gewünscht. Aber: Flick-Fussball ist Rhythmus-Fussball. Hat sein Team einen Lauf, dann steigert es sich von Spiel zu Spiel. Der moderate Spielplan zum Auftakt kann Barça dabei in die Karten spielen.
Und dann wäre da noch das Problem der Nachhaltigkeit. Der extrem intensive Fussball Flicks fordert jeden Spieler in jedem Spiel bis zum Maximum. Das mag in einem Saisonendspurt funktionieren, über eine lange Saison hinweg ist es aber mit Risiken verbunden. Der Spielplan ist aufgebläht, die Champions League hat noch zwei Vorrundenspiele mehr in petto. Und im Kader stehen einige verletzungsanfällige Spieler.
Um Real Madrid die Titel streitig zu machen, muss ein Team der Perfektion so nahe wie möglich kommen. Und obwohl der neue Stil unter Flick zu den Katalanen passen kann, gibt es doch noch den ein oder anderen Zweifel, was den Grossangriff auf Real angeht.
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