Wer heutzutage alle Fussballspiele sehen möchte, braucht mehrere Pay-TV-Abos. Was das für den Fussball als verbindendes Element unserer Gesellschaft bedeutet, erklärt der Sportwissenschaftler Minas Dimitriou im Interview mit unserer Redaktion.
Minas Dimitriou, immer mehr Fussballspiele sind nur noch im Pay-TV zu sehen. Können bald nur noch Menschen Fussball schauen, die sich die Abos leisten können?
Minas Dimitriou: Man sieht an diesem Beispiel, wie sich der Fussball und das "Magische Dreieck" aus Medien, Wirtschaft und Sport verändert haben. Im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels sehen wir, dass Fussballübertragungen sehr exklusiv geworden sind. Wenn man sich das Wort "exklusiv" anschaut, hat es zwei Bedeutungen. Einerseits steht es für das Aussergewöhnliche und Besondere, andererseits kommt es vom lateinischen Wort "excludere", was "ausgrenzen" bedeutet. Man kann also sagen, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen ausgeschlossen wird.
Und das Kriterium für diesen Ausschluss ist der monetäre Aspekt, das Kapital. Man schafft unterschiedliche Zugänge, die darüber bestimmen, wer Fussball live erleben darf und wer nicht. Im Rahmen des Postkapitalismus ist sowas "Part of the Game". In unserer Gesellschaft gibt es immer stärkere neoliberale Tendenzen. Was bedeutet, dass der Markt und seine Regeln immer wichtiger werden. Wenn man sich diese Entwicklung anschaut, ist es ganz klar, dass bestimmte Menschen, Gruppen und Systeme inkludiert werden, während wiederum andere exkludiert werden.
Fussball als Bindeglied der Gesellschaft
Fussball gilt als der "Volkssport" schlechthin. Gerät diese Sonderstellung durch die vermehrten Übertragungen im Pay-TV in Gefahr?
Meiner Meinung nach ist Fussball heutzutage kein Volksport mehr. Man muss sich nur die Rahmenbedingungen anschauen. Früher wurde von Fussballstadien gesprochen, heute von Multifunktions-Arenen. Früher sind die Fans eine halbe Stunde vor Anpfiff zum Stadion gefahren, es gab traditionell Bratwurst und Bier. Heutzutage gibt in den Stadien VIP-Bereiche mit Lachsbrötchen und Sekt, es gibt die Möglichkeit in den Arenen einzukaufen, ins Kino zu gehen und spezielle Programme für Kinder und Familien.
Man muss heutzutage viel Geld ausgeben, um in die Arenen zu kommen. Das Drumherum um die Fussballspiele ist sehr viel konsumorientierter geworden. Vom Volkssport zu sprechen, hat etwas Nostalgisches in diesem Zusammenhang. Diese Entwicklung ist in Deutschland zu sehen und in England noch mehr. Fans geben 120 Pfund für ein Trikot aus und für eine einfache Eintrittskarte 80 oder 90 Pfund. Das sind sehr grosse Unterschiede im Vergleich zu der Zeit vor 15 oder 20 Jahren. Fussball ist ein Bestandteil eines interdependenten Geflechts. Fussball, Medien, Wirtschaft, Rezipientinnen und Rezipienten, das eine kann nicht mehr ohne das andere existieren.
Fussball gilt eigentlich als verbindendes Element in der Gesellschaft. Wird die Trennung zwischen Arm und Reich dadurch vorangetrieben, dass nur noch vermögendere Fans alle Spiele schauen können?
Das ist richtig. Wenn man alle Spiele in der Bundesliga und in der Champions League sehen will, braucht man Abos von Sky, Dazn und Amazon Prime Video. Da kommt man sehr schnell auf 100 Euro und mehr pro Monat. In diesem Zusammenhang werden die Unterschiede zwischen Arm und Reich sichtbar. Wir leben in Zeiten von multiplen Krisen, zu denen auch die Inflation gehört. Alles wird immer teurer, das Leben wird immer teurer. Und die Kluft zwischen Arm und Reich immer grösser.
Gerade in diesen Krisenzeiten können Fussballübertragungen dazu beitragen, die Menschen abzulenken ...
Absolut. Fussball ist unterhaltsam, ein Erlebnis, man kann sich ablenken. Ich habe mir das Rückspiel im Achtelfinale der Champions League zwischen Atletico Madrid und Inter Mailand angeschaut, das Spiel war unheimlich spannend. Es wäre das Beste, wenn man so ein Erlebnis mehr Menschen zugänglich machen könnte.
Streaming-Dienste haben die meisten Rechte
Könnten dem Fussball mittelfristig sowohl aktive Spielerinnen und Spieler als auch Fans verloren gehen, wenn Kinder viele Spiele nicht mehr verfolgen können?
Es gibt empirische Studien über das Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen. Diese Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche kaum noch lineares Fernsehen konsumieren. Es gibt auch Studien, die belegen, dass sich Kinder und Jugendliche kaum noch ein ganzes Spiel anschauen. Sie schauen sich eher auf dem Handy Highlights der Spiele an. Die Erwartungen an die Medien sind völlig anders als in unserer Boomer-Generation. Deshalb wäre ich vorsichtig mit der Beurteilung, was die Exklusivität der Fussballübertragungen damit zu tun hat, ob Kinder selbst Fussball spielen wollen.
Eine andere Frage ist es, was mit den Fans passiert. Da sehe ich tatsächlich eine Gefahr, dass es zu einer Resignation und in diesem Zusammenhang zu einer Abstinenz kommen könnte. Viele Leute könnten einfach die Lust verlieren. Vielleicht kommen wir dann auch in eine Situation, in der grosse Sender andere Formen von Fussball oder andere Ligen präsentieren. Dass zum Beispiel mehr Frauenfussball oder auch völlig andere Sportarten übertragen werden. Das wäre eine andere Dynamik, die ich gar nicht so schlecht finden würde.
Generell werden immer mehr Fussballspiele übertragen und gestreamt. Ab wann kommt es zu einer Übersättigung?
Wenn man zwei, drei Abos hat, kann man sich an jedem Tag allen möglichen Sport anschauen, nicht nur Fussball. Das ist die Entwicklung einer mediatisierten Landschaft, was bedeutet, dass sich der Sport sehr stark an den Logiken der Medien orientiert. Die Frage wird sein, wie dieser immer intensiver werdende Rhythmus vom Publikum wahrgenommen wird. Als Gesellschaft sind wir im Moment einfach so gepolt, dass wir immer mehr wollen. Das ist das typische kapitalistische Ideal: immer mehr, immer besser.
Ausserdem gibt es natürlich ein grosses Interesse aus der Wirtschaft und von Sponsoren, dass dieser Rhythmus so bleibt. Je häufiger eine Marke oder ein Logo in den Übertragungen auftaucht, desto besser. Deshalb glaube ich nicht, dass sich die Lage so schnell ändern wird und die Leute übersättigt sind. Man sieht es ja auch an den Entscheidungen der Fifa und Uefa, Welt- und Europameisterschaften mit immer mehr Mannschaften auszutragen. Das geht in die gleiche Richtung.
Die Streaming-Angebote sind in letzter Zeit deutlich teurer geworden, beispielsweise Dazn stand und steht deshalb in der Kritik. Denken Sie, es gibt eine Grenze, was Fussballfans bereit sind zu zahlen?
Da gibt es auf jeden Fall eine Grenze. Man hat es ja gesehen, als Dazn seine Preise erhöht hat. Da sind einige Leute einfach ausgestiegen. Andererseits muss man sich die wirtschaftliche Situation der grossen Pay-TV-Anbieter wie Sky oder Dazn anschauen, beide stehen finanziell nicht gut da. Die Personal- und Produktionskosten sind gestiegen. Um diese Kosten abzudecken, braucht man mehr Abos. Oder diejenigen, die schon Abos haben, müssen eben mehr zahlen. Das Geschäftsmodell, die Preise durch mehr Abo-Verkäufe stabil zu halten, funktioniert im Moment nicht. Für die Zukunft müssen sich Pay-TV-Anbieter vielleicht etwas anderes überlegen. Aber im Moment sehe ich, dass viele Leute dieses Geschäftsmodell einfach nicht mehr wollen.
Mehr Übertragungen im Free-TV?
Sind die Öffentlich-rechtlichen Sender in der Pflicht, mehr Rechte an Fussballübertragungen zu kaufen und die Spiele einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Die Öffentlich-rechtlichen Sender befinden sich - meines Erachtens - in einer sehr schwierigen Situation. Bei der Vergabe der TV-Rechte für die Bundesliga ab der Saison 2025/26 will die DFL mindestens 1,1 Milliarden Euro einnehmen. Die Rechte werden also nochmal deutlich teurer und man wird sehen, welches Rechte-Paket ARD und ZDF dann bekommen. Im Gegensatz zu Sky oder Dazn stammt das investierte Geld aus dem Rundfunkbeitrag. Weshalb die Öffentlich-rechtlichen auch eine politische Verantwortung haben. Denn nicht jeder Gebührenzahler ist auch Fussballfan. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben einen Bildungsauftrag, was bedeutet, dass sie ein vielfältiges Programm machen müssen, das für alle Menschen interessant ist.
Allerdings gibt es in Deutschland im Rundfunkstaatsvertrag und in Österreich im Mediengesetz eine Schutzliste mit Sportveranstaltungen, die frei angeboten werden müssen, unabhängig davon, wer die Rechte hat. Dazu gehören die Olympischen Spiele, die Welt- und Europameisterschaften im Fussball. Ich gehe davon aus, dass das in Zukunft zu Problemen führen wird, weil die Öffentlich-rechtlichen einfach nicht mehr in der Lage sein werden, solche Rechte zu finanzieren. Eine Möglichkeit wäre dann zum Beispiel eine Pool-Finanzierung, bei der Menschen, die die Olympischen Spiele, die WM oder EM sehen wollen, die Rechte mitfinanzieren und dann einen Zugang zu den Übertragungen bekommen. Ich könnte mir vorstellen, dass das ein Szenario für die Zukunft sein wird.
Die erfolgreichen Proteste gegen den Investoreneinstieg bei der DFL haben gezeigt, welche Macht Fussballfans haben. Denken Sie, die Entwicklung hin zu immer mehr Fussball im Pay-TV könnte durch einen Boykott gestoppt werden?
Ich fand diese Proteste und das Ergebnis sehr gut. Sie haben gezeigt, dass die Fans nach wie vor ein Mitspracherecht haben sollten. Aber die Situation bei den Fernsehrechten ist eine andere. Während durch die Proteste gegen den Investoreneinstieg eine institutionelle Entscheidung beeinflusst wurde, geht es hier um eine Marktsituation. Es geht um Angebot und Nachfrage. Deshalb bin ich skeptisch, inwiefern Fans diesen Markttrend beeinflussen können.
Und es geht auch um die Finanzierung der Teams. Was wäre, wenn die Pay-TV-Sender nicht mehr für die Rechte bieten würden? Ich bin mir nicht sicher, ob die DFL 1,1 Milliarden Euro erwirtschaften könnte, wenn sie die Übertragungen selbst übernehmen würde. Mit den TV-Geldern wird die ganze Liga finanziert. Diese Einnahmen sind sehr wichtig, damit die Bundesliga in den europäischen Wettbewerben konkurrenzfähig bleibt. Man muss nur auf die Transfers in England, Spanien, Italien oder Frankreich schauen. Ohne Fernsehgelder wäre es nicht möglich, da mitzuhalten.
Die Bundesliga muss deshalb Möglichkeiten finden, die angestrebten 1,1 Milliarden Euro einzunehmen. Denn wenn die Konkurrenzfähigkeit leidet, ist das nicht gut für den deutschen Fussball. Und die Fans wollen ja auch, dass ihre Mannschaften konkurrenzfähig bleiben. Deshalb glaube ich nicht, dass das Mitspracherecht der Fans auf dieser Ebene eine Rolle spielen wird.
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Über den Gesprächspartner
- Assoz. Prof. Dr. Minas Dimitriou ist Sportwissenschaftler und forscht im Fachbereich Sport- und Bewegungswissenschaft der Paris Lodron Universität Salzburg. Er ist Fachkoordinator des Masterstudiums "Sport-Management-Medien" und Geschäftsführer des Universitätslehrganges Sportjournalismus, einer seiner Schwerpunkte ist die Beziehung zwischen Sport und Medien.
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