Angerer ist Kahn, Maroszan ist Ballack, Mittag ist Klose - aber hoffentlich ist Lotzen nicht Neuville: Wie die Männernationalmannschaft 2002 bei der WM in Japan und Südkorea haben sich auch die deutschen Fussballerinnen bei der Europameisterschaft in Schweden teilweise mehr schlecht als recht ins Finale gewurschtelt. Erst der 1:0-Erfolg im Halbfinale gegen die Gastgeberinnen zeigte, was in dieser jungen Mannschaft steckt. Der Finaleinzug ist ein Erfolg, den nur die Wenigsten dem Team von Bundestrainerin Silvia Neid zugetraut hätten.
Mit einer runderneuerten und deutlich verjüngten Mannschaft reiste Bundestrainerin Silvia Neid zum Endturnier nach Schweden und begab sich auf eine für alle Beteiligten ungewisse Mission. Auch Neid selbst stand nach der missglückten Heim-WM vor zwei Jahren unter Druck, ein frühes Scheitern hätte sie womöglich ihren Job gekostet.
Eine schleppende Vorrunde mit schwachen Partien gegen die Niederlande und Norwegen und nur einem Sieg gegen das zweitklassige Island bestätigten die Kritiker schnell. Das 0:1 gegen die Norwegerinnen bedeutete die erste Niederlage einer deutschen Mannschaft bei einem EM-Turnier seit 20 Jahren.
"Ich möchte gerne wissen, was heute mit meiner Mannschaft los war. Wir hatten keine Bewegung im Spiel, wir hatten keinen Mut, keine wollte den Ball", war Neid nach dem Spiel einigermassen ratlos.
Es waren ungemütliche Tage für sie und ihre Mannschaft. Aber das Spiel gegen die Skandinavierinnen, das die deutsche Nationaltrainerin trotz bereits erfolgter Qualifikation für das Viertelfinale mit der besten Elf anging, während der Gegner auf sechs Stammkräfte verzichtete, wurde offenbar zu einer Art Wendepunkt. Dabei war trefflich darüber spekuliert worden, ob die Niederlage gegen Norwegen einkalkuliert war, um im Viertelfinale den vermeintlich leichten Gegner Italien zugeteilt zu bekommen.
Und natürlich, ob die deutsche Mannschaft nach Jahren der Dominanz, gepaart mit spielerischer Finesse, nach den gezeigten Leistungen überhaupt noch der Standard sein konnte für die kontinentale Konkurrenz.
Mit Rumpelfussball durch die Vorrunde
Die Vorrunde erwies sich als eine zähe Veranstaltung, die deutsche Mannschaft spielte verkrampft und offenbarte jene taktischen Defizite, die ihr schon vor zwei Jahren den Traum vom Sommermärchen zerstört hatten. Der Spielaufbau aus der Abwehr fand kaum kontrolliert den Weg ins Mittelfeld, das Zentrum war schlecht besetzt.
Die Folge waren verzweifelte Versuche eines Flügelspiels, das wiederum an eklatanten technischen Unzulänglichkeiten scheiterte. Am Ende sollte vermehrt der hohe Ball in die Spitze Abhilfe schaffen. Die deutschen Frauen hatten sich schnell das wenig schmeichelhafte Prädikat der Rumpelfussballerinnen erworben.
Nur scheint die latente Kritik und - noch viel schlimmer - die gedrosselte Berichterstattung deutscher Medien über die EM die deutschen Frauen auf angenehme Weise zusammengeschweisst zu haben. Das Viertelfinale gegen Italien war kein Leckerbissen, aber eine Steigerung immerhin erkennbar. Wenngleich das entscheidende Tor von Simone Laudehr eher der Kategorie Zufallsprodukt entsprang.
Es war zu sehen, dass auf einmal eine Einheit auf dem Platz stand, das 1:0 als Arbeitssieg einzuordnen, war wohl eher ein Kompliment denn eine erneute Kritik.
"Wir haben uns in der Vorbereitung spielerisch super präsentiert. Hier in Schweden können wir technisch sicherlich mehr zeigen. Aber mit Schnick-Schnack-Schnuck hätten wir gegen Italien nicht gewonnen. Da war es entscheidend, dass man mit Leidenschaft und Mut agiert", wehrte sich Neid nach dem Italien-Spiel gegen die hartnäckigen Vorwürfe.
Offenbar hatte die Bundestrainerin ein gutes Gespür für die Stimmung im Team. Und die nötige Gelassenheit, um mit den Kritiken aus der Heimat umzugehen.
Neid beschäftigt sich nicht mit Kritikern
Ihr Intimfeind und Chefkritiker Bernd Schröder hatte bereits in der Vorrunde Neids Entlassung gefordert, sollte die deutsche Mannschaft in Schweden frühzeitig scheitern. "Ich habe es gelesen, aber ich beschäftige mich nicht damit", hatte Neid den Angriff von Turbine Potsdams Trainer abgewehrt.
Die Voraussetzungen für das Halbfinale gegen Schweden hatten sich verbessert. Gastgeber Schweden hatte sich mit 13 Toren im bisherigen Turnierverlauf zum Top-Favoriten entwickelt und mit Torjägerin Lotta Schelin eine der überragenden Figuren der Endrunde im Team.
Aber die Art und Weise, wie sich die deutsche Mannschaft durch das Turnier gebissen hatte, flösste den Gegnern offenbar jede Menge Respekt ein. "Deutschland ist nicht mehr das alte Deutschland", sagte Schelin vor der Partie. "Aber Deutschland bleibt Deutschland."
Spätestens da waren einige Parallelen zu erkennen zwischen dieser Mannschaft und der letzten Generation männlicher deutscher Rumpelfüsse. Rudi Völler hatte eine deutsche Delegation 2002 in Japan und Südkorea entgegen etlicher Widerstände ins Finale geführt. Nach einer zittrigen Vorrunde und mit drei 1:0-Siegen in der K.o.-Phase.
Mit solidem Handwerk statt wohlfeiler Kunst. Und mit einem
Nach dem deutschen Treffer zum 1:0 rannten die Schwedinnen wütend an, die 16.600 Fans im Stadion Gamla Ullevi wogten hin und her. Schweden vergab Chancen zuhauf, scheiterte am Pfosten oder an einer bärenstarken
Die Schwedinnen waren bei EM, WM und Olympia zuletzt siebenmal in Serie an Deutschland gescheitert, die Chance gegen diese neue deutsche Mannschaft war so gross wie noch nie - am Ende aber stand das achte Ausscheiden bei einem grossen Turnier. Und die sechste Finalteilnahme bei einer EM in Folge für Deutschland.
"Wenn man gewinnt, geht der Plan immer auf", sagte Neid nach einem der aufregendsten Spiele ihrer Karriere hinterher lapidar. Nach fünf Titeln hintereinander hat Deutschland nun am Sonntag die Chance, das halbe Dutzend vollzumachen. Gegner wird entweder Norwegen oder Dänemark sein.
Für den Finaleinzug kassiert jede Spielerin 15.000 Euro, im Fall des Titelgewinns gibt es die EM-Rekordprämie in Höhe von 22.500 Euro. Das sind im Moment aber nur Randaspekte. Die Konzentration gilt jetzt lediglich den 90 Minuten von Solna.
Da sollten sich die deutschen Damen aber besser abwenden von ihren heimlichen Vorbildern. Bei der Weltmeisterschaft 2002 wurde das Endspiel zu keiner deutschen Angelegenheit.
Die Chancen dafür waren da, Neuville traf beim Stand von 0:0 kurz nach der Pause aber nur den Pfosten. Deutschland unterlag Brasilien am Ende 0:2. Aber Lena Lotzen ist ja zum Glück nicht Oliver Neuville.
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