Cristiano Ronaldo ist ein Superstar, dem Vergewaltigung vorgeworfen wird. Wie konsequent der Fussball Letzteres ignoriert, zeigt, für wen das System Platz hat – und wer darin egal ist.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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In den USA hat es sich durchgesetzt, über Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, als "Survivor" zu sprechen, also: Überlebende. Damit wird der Blick weggelenkt vom passiven, fremdbestimmten Wort und der damit verbundenen Rolle des Opfers hin zu einem aktiven Vorgang. In den sozialen Netzwerken tauchen begleitend die Hashtags #IBelieveSurvivors oder #IStandWithSurvivors auf, in denen sich Unterstützung ausdrückt.

Die Debatte um den Begriff Opfer ist eine emotionale, gerade für Betroffene. Diese müssen individuell für sich bestimmen dürfen, welche Selbstbezeichnung sie wählen. Im Diskurs um die Taten ist der Blickwinkel aufs Überleben mindestens als Ergänzung wertvoll, die Auseinandersetzung selbst ist wichtig.

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Sport im Allgemeinen und Fussball im Speziellen haben grossen Nachholbedarf in Bezug darauf, wie sie jene aus den eigenen Reihen behandeln, die mit Vorwürfen sexualisierter oder anderer Gewalt konfrontiert sind. In Sportarten, die medial von weiblichen Athletinnen geprägt werden, bewegt sich langsam etwas – wie zuletzt bei den Turnerinnen. Andere Bereiche fallen sträflich durchs Raster.

Das lässt sich im männlich dominierten Fussball insbesondere mit Blick auf Cristiano Ronaldo ablesen: Gerade Fans des Superstars weigern sich oftmals geradezu, anzuerkennen, dass die Vergewaltigungsvorwürfe der US-Amerikanerin Kathryn Mayorga gegen ihn überhaupt existieren. Und falls es doch geschieht, werden sie empört abgetan. Es greift eine Art einseitiger Unschuldsvermutung, die ausschliesslich für Ronaldo gilt, während Mayorga von vorneherein unterstellt wird, sie erzähle eine Lügengeschichte.

Medien halten vielfach bequeme Distanz zu dem Thema und konzentrieren sich auf Ronaldos Erfolge auf dem Platz. Daneben finden sie zwar Raum für sein soziales Engagement, Mayorgas Vorwürfe aber werden selten thematisiert, obwohl diese von den Kolleg*innen des SPIEGEL beispielhaft aufbereitet wurden. Wer die Recherchen liest, versteht, wie komplex und perfide die Geschichte tatsächlich ist. Nach der Lektüre weiter zu erleben, dass sich für den Fussballer bisher keine nennenswerte Konsequenz daraus ergibt, ist schwer zu ertragen.

Wer das anspricht, sieht sich mit Beleidigungen und Angriffen der CR7-Fans konfrontiert. Der Weltstar hat eine unbezahlte Armee von Verteidiger*innen, die mit Attacke reagieren, sobald das Thema auf die mutmassliche Vergewaltigung aus dem Jahr 2009 kommt. Jede Person, die selbst schon sexualisierte Gewalt erleben musste oder Menschen wirklich zugehört hat, welche sie erlitten haben, muss sich ohnmächtig fühlen angesichts der "Argumente"-Lawine. Ronaldo habe es "nicht nötig" jemanden zu vergewaltigen; Mayorga sei "gar nicht hübsch genug"; sie habe aus dieser Sache sicher "nur Geld machen wollen"; und überhaupt: Wer mit jemandem auf ein Hotelzimmer geht, gibt damit offenbar Einverständnis, alles mitzumachen, was die Person möchte. Das ist absurd und gefährlich. Es wirkt zudem wie ein Freifahrtschein für erfolgreiche Sportler einerseits – und zugleich wie ein Maulkorb für alle, die in einer als unangenehm empfundenen intimen Situation "Nein" sagen wollen. Fatal.

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Es erwartet tatsächlich niemand "vom Fussball", bei jeder Erwähnung des Stürmers auch die Vorwürfe zu benennen. Wie vollständig sie unter den Teppich gekehrt werden und wie völlig distanzlos der Ausnahmesportler – denn das ist er ja zweifellos – gefeiert wird, sagt aber viel über den Fussball, seine zutiefst misogynen Strukturen und den Wert, den Frauen und weiblich gelesene Menschen innerhalb dieses Systems haben: Er ist verschwindend gering. Die Seite und Vorwürfe der Überlebenden zählen in diesem Mikrokosmos nicht. Sie sind unsichtbar.

In Diskussionen um gendersensible Sprache, bei Aufregung über Kommentare wie "Es ist halt Männerfussball" oder bei Kritik an einer generellen Grobheit des Fussballs wird oft behauptet, das seien "keine echten" Probleme und "gerade Feminist*innen" sollten sich doch lieber da engagieren, wo es auch "wirklich nötig" sei. Zugleich betonen viele cis-männliche Personen unverdrossen, der Fussball stünde sämtlichen Menschen offen und sei für alle da.

Nun, die kritiklose Heldenverehrung von Ronaldo und anderen ist ein echtes Problem – und ein ganz deutliches Zeichen dafür, wie egal die Vielzahl der Geschlechter dem cis-männlichen Fussball ist. Wer möchte sich an Lösungen beteiligen? Sie sind wirklich überfällig.

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