Als Franz Beckenbauer am 11. April 1998 nach einem 3:1-Derbysieg über den Stadtrivalen 1860 München live auf der Anzeigentafel des Olympiastadions erscheint, kassiert er gellende Pfiffe der Bayern-Fans. Der Kaiser verkündet die bevorstehende Trennung von Giovanni Trapattoni. Der Italiener ist in drei Jahren in München nur ein Mal Meister geworden. Für die Fans aber ist er Kult. In alle Ewigkeit. Nicht nur in München, und nicht nur wegen seiner legendären Wutrede.
Giovanni Trapattoni auf den 10. März 1998 zu reduzieren, hiesse, Giovanni Trapattoni nicht zu kennen und sein jahrzehntelanges Werk unzureichend zu würdigen.
"Fussball ist nicht nur ding. Fussball ist ding, dang, dong", lautet einer der philosophisch angehauchten Sprüche aus dem reich gefüllten Fundus der Weisheiten des mittlerweile 80-Jährigen.
"Was erlaube Struuunz?"
So wie Fussball nicht nur eindimensional gedacht und gespielt werden kann, so ist Trapattoni nicht nur "Flasche leer" oder "Was erlaube Struuunz?"
Trapattoni ist Bayern, vor allem aber auch Milan, Juve und Inter, er ist Cagliari, Florenz und Stuttgart und hat auch in Lissabon, Salzburg und Irland bleibende Spuren hinterlassen.
Trapattoni holte den heutigen Bayern-Trainer
Trapattoni ist ein Fussballverrückter, dessen Frau es akzeptierte, dass er sich hinter das heimische Anwesen in Cusano Milanino einen Fussballplatz bauen liess.
Bei Olympia 1960 in Rom trifft ihn Amors Liebespfeil
Schliesslich hatte der schüchterne Bursche die Römerin auch während eines Fussballturniers kennen und lieben gelernt, während des olympischen 1960 in Rom - wenn auch erst durch Vermittlung seines genervten Zimmerkollegen Luciano Magistrelli.
"Tu' mir einen Gefallen und sprich mit dem Blonden mit den blauen Augen dort drüben. Denn wenn nicht, lässt er mich in der Nacht nicht schlafen", bat er die unbekannte Schöne. Paola hatte Mitleid mit Magistrelli und Interesse an seinem Mitspieler und ist nun seit 1964 die Frau an Traps Seite.
"Du liebst den Fussball mehr als mich", sagte sie, als der "Maestro" sie 2005 darum bat, das Angebot aus Stuttgart anzunehmen und nach 1994 und 1996 ein drittes Mal seine Zelte in der Bundesliga aufzuschlagen. Paola gab nach, schlug für sich aber einen gemeinsamen Urlaub auf einer einsamen Insel heraus.
Thierry Henrys Hand kostet Trap die WM-Teilnahme
Die Reise ging nicht nach Irland, wo Trapattoni aber als Nationaltrainer zum Ende seiner glorreichen Laufbahn noch fünf Jahre verbrachte. Und wo ihm, einem Gentleman unter den Trainern, der Franzose Thierry Henry mit einem hinterhältigen Handspiel in der Verlängerung des Playoffspiels in Paris den Weg zur WM 2010 versperrte.
So blieb es für Trap bei einer WM als Spieler (1962, aber ohne Einsatz, sonst hätte er gegen Gruppengegner Deutschland gespielt) und einer als Trainer, 2002. "Ich fürchte keine Tomaten", bekannte Trapattoni, als ihm damals nach dem äusserst ärgerlichen Achtelfinal-Aus gegen Gastgeber Südkorea die Rückkehr aus Asien nach Italien bevorstand.
Das Weihwasser hilft gegen den Schiedsrichter nicht
Trapattonis Schwester Romilde, eine Nonne, hatte ihrem Bruder extra ein Fläschchen geweihten Wassers ins Gepäck gesteckt. Trapattoni verteilte es grosszügig vor seiner Trainerbank. Doch gegen den Referee half auch kein Beistand von oben.
Ein Schiedsrichter aus Ecuador namens Byron Moreno hatte derart offensichtlich seinen Job verfehlt und die Südkoreaner bis hinein in die Verlängerung bevorteilt, dass deutsche Fans unweigerlich an eine späte Rache an den Italienern für die ebenso blamable Schiedsrichterleistung aus dem WM-Halbfinale 1970 denken mussten.
Damals stand Italien gegen Deutschland bei einem 4:3, das 120 Minuten lang die Herzkranzgefässe gefährdete, auf der glücklichen Seite.
Deutschland nimmt in Trapattonis Vita einen breiten Raum ein. Dass die Italiener ihn "Il Tedesco", der Deutsche, nennen, hängt aber auch mit seiner Korrektheit zusammen, pünktlich und zuverlässig zu sein und von seinen Spielern preussische Disziplin zu erwarten.
Geschwollene Halsschlagader wegen Strunz, Basler und Scholl
Und wenn sie ihn enttäuschen - im Frühjahr 1998 beim FC Bayern München erst auf (0:1 in Schalke) und dann auch neben dem Platz - dann kommt es zu Vorträgen wie jenem, der sich gegen Thomas Strunz, Mario Basler, Mehmet Scholl richtete und in die Geschichte der Bundesliga ebenso dauerhaft eingegangen ist wie in die deutsche Sprache.
Ausländische Trainer, auch weit erfolgreichere als Trapattoni, hat die Bundesliga einige gesehen. Doch welcher Kollege des Maestros kann schon von sich behaupten, nicht nur seinen Verein um Siege und Titel, sondern die Sprache eines ganzen Landes um unverwechselbare Stilblüten bereichert zu haben?
"Ich habe fertig!"
"Grazie Trap", plakatierten die Bayern-Fans vier Tage nach der Explosion des italienischen Vulkans vor versammelter Presse. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, ausser vielleicht: "Ich habe fertig."
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