Gleich zum Start der Fussball-Bundesliga stehen die Schiedsrichter, vor allem aber die Video-Assistenten in der Kritik. Die Schelte ist zu emotional, dennoch stellt sich die Frage: Warum weichen die Referees von der Linie der vergangenen Rückrunde so deutlich ab?

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Meine Meinung

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Verärgerung bei den Hoffenheimern, Verärgerung bei den Nürnbergern, Verärgerung bei den Schalkern – wegen des Videobeweises. Der Start in die Saison verlief für die Bundesliga-Schiedsrichter und ihre Assistenten in der Kölner Videozentrale wahrlich nicht nach Plan.

Der Tenor bei Klubs, Fans und vielen Medien lautete: Bei der Weltmeisterschaft lief es vernünftig mit den "Video Assistant Referees" (VAR), aber in der Bundesliga bekommen sie es einfach nicht vernünftig hin. Dieses Urteil lässt allerdings zweierlei ausser Acht.

Bloss keine WM-Glorifizierung

Erstens, dass es auch beim Turnier in Russland manch fragwürdige Interventionen der Video-Assistenten gab – und Nichteinmischungen in Situationen, in denen ein Eingriff geboten gewesen wäre.

Nur war während der WM die emotionale Distanz der meisten Betrachter hierzulande bedeutend grösser – und der Blick auf den Videobeweis deshalb nüchterner als das bei Bundesligaspielen der Fall ist. Strittige oder sogar falsche Anwendungen führten deshalb kaum einmal zu grösseren Diskussionen.

Zweitens scheint bereits wieder in Vergessenheit geraten zu sein, dass die Rückrunde der vergangenen Saison im deutschen Fussball-Oberhaus in Bezug auf die Video-Assistenten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, relativ geräuschlos verlief.

Eine Glorifizierung des Videobeweises bei der WM ist deshalb so fehl am Platz wie die Verdammung seiner Praxis in der Bundesliga. Trotzdem ist der Faktor Emotionalität natürlich nicht der einzige von Bedeutung.

Projektleiter für den Videobeweis übt Kritik

Vielmehr war das Vorgehen der Video-Assistenten und ihr Zusammenspiel mit den Unparteiischen am ersten Spieltag tatsächlich in mehreren Begegnungen kritikwürdig. Das lag vor allem daran, dass die VAR zu häufig eingriffen und dass die Praxis beim Einsatz des Videobeweises insgesamt uneinheitlich war.

Ein Beispiel dafür waren die beiden Interventionen des VAR im Spiel des VfL Wolfsburg gegen den FC Schalke 04 (2:1) Mitte der zweiten Hälfte. Binnen fünf Minuten wandelte Schiedsrichter Patrick Ittrich jeweils nach einem On-Field-Review eine Gelbe Karte gegen den Schalker Matija Nastasić in eine Rote und einen Feldverweis gegen den Wolfsburger Wout Weghorst in eine Verwarnung um.

Nastasić habe "mit hoher Dynamik und voller Sohle das Schienbein seines Gegenspielers getroffen", weshalb "alle Kriterien für eine Rote Karte gegeben" gewesen seien, erklärte Ittrich seine erste Entscheidungsänderung.

Die zweite begründete er damit, dass Dynamik und Intensität des Kopfstosses von Weghorst gegen Guido Burgstaller auf den Videobildern deutlich geringer ausgesehen hätten als auf dem Feld.

Dem widersprach Jochen Drees, der in der vergangenen Saison noch selbst als Video-Assistent aktiv war und nun der neue Projektleiter des DFB für den Videobeweis ist. "In Wolfsburg ist nach meiner persönlichen Auffassung in beiden Szenen die ursprüngliche Entscheidung richtig und nachvollziehbar gewesen", sagte er im Bezahlsender Sky.

"Wahrscheinlich hat die Angst davor, Fehler zu übersehen, dazu geführt, dass das in den beiden Szenen nicht gut gelöst worden ist", vermutete Drees. "Ich finde, bei beiden Entscheidungen ist das kein Thema für die Video-Assistenz, sondern das sind Situationen, die der Schiedsrichter zu bewerten hat."

Die unnötigen Eingriffe durch den Video-Assistenten trugen massgeblich dazu bei, dass das zwar intensive, aber weitgehend friedliche Spiel gallig wurde. Die vermeidbare Hektik kulminierte schliesslich sogar in einer heftigen verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Referee und dem Schalker Trainer Domenico Tedesco.

Warum der Video-Assistent bei Ribérys Fall nicht eingegriffen hat

Bereits beim Auftaktspiel am Freitagabend zwischen dem FC Bayern München und der TSG 1899 Hoffenheim (3:1) hatte es hitzige Debatten über den Video-Assistenten gegeben. Dieser riet dem Schiedsrichter Bastian Dankert nicht zu einem Review, als es nach einem Zweikampf zwischen Havard Nordtveit und Franck Ribéry im Hoffenheimer Strafraum einen Elfmeter für die Bayern gab.

Dabei sprach mehr für eine "Schwalbe" des Münchners als für ein Foul an ihm. Doch wenn man die Eingriffsschwelle für den VAR grundsätzlich hoch ansetzt – wie allgemein gefordert – liess sich noch argumentieren, dass hier keine klare und offensichtliche Fehlentscheidung vorlag.

So sah es auch die Schiedsrichterkommission des DFB. "Diesen Vorgang als Foul zu bewerten ist eine Interpretationsfrage, die beim Schiedsrichter bleibt", schrieb sie in einer Presseerklärung. "Die Diskussionen zu diesem Fall reichen von "Schwalbe" über "natürliche Kollision" bis "fahrlässiges Abwehrverhalten mit Zufallbringen des Gegners"." Der Elfmeterpfiff sei daher lediglich "als "umstritten" einzuordnen", weshalb der Video-Assistent zu Recht nicht interveniert habe.

Das tat er dann jedoch im weiteren Verlauf der Partie gleich zweimal. Zunächst riet er nach der Elfmeterausführung zu einem Review, weil Spieler beider Mannschaften den Strafraum zu früh betreten hatten. Der Unparteiische schaute sich die Bilder daraufhin selbst an und entschied, den Strafstoss wiederholen zu lassen.

Das war zwar regelkonform. Doch solche Verstösse werden in der Praxis – was weithin akzeptiert ist – nur in seltenen, extremen Fällen geahndet, die Schiedsrichter drücken fast immer ein Auge zu. Deshalb waren die Video-Assistenten in der Bundesliga bis dato auch nie dagegen eingeschritten, wenn sie es gedurft hätten.

Wie ein Bordcomputer, der sich verselbstständigt hat

Die Eingriffsschwelle lag hier also eher niedrig, und so war es auch bei der Intervention nach Thomas Müllers Treffer zum vermeintlichen 3:1. Der Münchner hatte einen Torschuss seines Mitspielers Leon Goretzka mit dem Arm ins Hoffenheimer Gehäuse abgefälscht. Der Referee gab den Treffer, doch erneut empfahl der VAR ein Review.

Dankert folgte der Empfehlung ein weiteres Mal und annullierte das Tor schliesslich, wofür es genauso Gründe gab wie für das Gegenteil. Denn Müller – der die Entscheidung selbst "nachvollziehbar" fand – hatte dem Ball mit einer eigentümlich anmutenden Bewegung abgelenkt, die gleichermassen ein Wegdrehen wie eine Bewegung zum Ball war.

Aber wäre es eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung gewesen, das Tor zu geben? Wohl eher nicht. Zumal der DFB, anders als die UEFA, seine Unparteiischen zumindest bislang nicht angewiesen hat, auch unabsichtlich mit der Hand erzielte Tore in jedem Fall abzuerkennen.

Alles in allem wirkten die Video-Assistenten nicht wie der Airbag, der sie eigentlich sein sollten – ein Schutz im absoluten Notfall –, sondern eher wie ein Bordcomputer, der sich verselbstständigt hat. Der Umgang mit dem Videobeweis erinnerte an die teilweise chaotische Hinrunde der Saison 2017/18, dabei sollte unbedingt die Rückrunde der Massstab sein.

Es ist sinnvoller, wenn die Unparteiischen auf dem Feld das Heft des Handelns in der Hand behalten. Dazu sollte die Eingriffsschwelle für die Video-Assistenten dringend wieder erhöht werden.

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