Der FC Chelsea und der 1. FC Heidenheim – das waren lange Zeit zwei ganz verschiedene Welten. In der Conference League sind die beiden Klubs nun erstmals aufeinandergetroffen. Und es stellt sich heraus: So gross sind die Unterschiede dann doch nicht mehr.
Gäbe es einen Moment, übermütig zu werden, dann wäre er für den 1. FC Heidenheim jetzt da. Eineinhalb Jahre ist es her, dass dem Verein in höchster Dramatik erstmals der Aufstieg in die Bundesliga gelang.
Schon damals sprachen viele von einem Märchen, schon damals fragten sich viele, ob diese Hürde nicht zu gross sei für den Klub. Eineinhalb Jahre später, im November 2024, spielt der 1. FC Heidenheim im Europapokal und trifft dort zum ersten Mal in einem Pflichtspiel auf den FC Chelsea. Wie erlebt der FCH das bislang wohl grösste Spiel seiner Geschichte?
"Dass Chelsea nach Heidenheim kommt, ist eine Sensation"
Noch ein paar Kilometer vor Heidenheim merkt man wenige Stunden vor dem Spiel kaum, dass dort bald das Spiel des Jahres, vielleicht sogar des Jahrzehnts, stattfinden soll. Vereinzelt stehen Menschen mit Heidenheim-Schals im Zug, hin und wieder sieht man auch einen Fan der Auswärtsmannschaft. "Dass Chelsea nach Heidenheim kommt, ist eine Sensation", sagt ein Fan im Zug in einem Ton, als würde er darüber reden, dass morgen die Schwiegereltern zu Besuch kommen. Das Schwäbische eignet sich vielleicht auch nicht so gut für die grosse Dramatik.
Der Pragmatismus hat System. "Wovor sollten wir Angst haben? Wir gucken, wie weit wir kommen, und wenn es nicht funktioniert, dann müssen wir das akzeptieren", sagte Heidenheims Vorstandsvorsitzender Holger Sanwald im Mai 2023 in einem Interview mit unserer Redaktion, als es um den Aufstieg in die Bundesliga ging.
Sanwald ist eine der Hauptfiguren des Heidenheimer Wunders, seit 29 Jahren ist er als Vorstand im Verein aktiv und führte ihn Stück für Stück von der Landes- in die Bundesliga. Das Motto lautete bei jedem neuen Aufstieg: ruhig bleiben und gucken, ob die Grenze des Machbaren erreicht ist. Bis heute hat der Klub sie noch nicht gefunden und vielleicht ist diese Einstellung sein grosses Geheimnis.
In der Heidenheimer Innenstadt deutet wenig auf das Spiel hin
Und jetzt also Chelsea. Die Stadt, so scheint es an diesem späten Nachmittag, lebt den Pragmatismus des Klubs heute selbst ein bisschen vor. Ein paar Heidenheim-Schals hier, ein paar Fahnen da – ansonsten deutet in der Innenstadt nicht viel darauf hin, dass die Partie gegen Chelsea in irgendeiner Form besonders wäre. Die Schlangen an den Glühweinständen in der Innenstadt sind kurz, an der Strasse vor dem Einkaufszentrum bleiben die Fans an der roten Ampel stehen. Kein Grund, um übermütig zu werden.
Die Anhänger der Gegner haben sich offiziell am Heidenheimer Konzerthaus versammelt. Inoffiziell haben sie längst eine Kneipe in der Innenstadt übernommen. Beim Warmsingen sind die Chelsea-Fans bis oben auf das Schloss Hellenstein, das über der 50.000-Einwohner-Stadt thront, zu hören. Abgesehen von den Gesängen über deutsche Bomber, die man in England eben gerne singt, bleibt es aber locker und friedlich.
Chelsea und seine Fans sind nicht nur aus einem anderen Land an die Ostalb gereist, sondern ein bisschen auch aus einer anderen Dimension. Umgerechnet über 600 Millionen Euro nahm Chelsea-Eigentümer Todd Boehly in der Saison 2022/23 für Neuzugänge seines Klubs in die Hand. Am Ende wurde der Klub Zwölfter.
Ein Jahr später gelang immerhin wieder die Qualifikation für Europa, den Ansprüchen gerecht wird das natürlich immer noch nicht. Der zweimalige Champions-League-Sieger will gegen Real und Bayern München spielen, nicht gegen einen gerade aufgestiegenen Underdog aus der Fussball-Provinz.
Im Stadion ist von Unterschieden wenig zu sehen
So unterschiedlich die Klubs auch sein mögen: Im Stadion selbst ist davon schliesslich nur noch wenig zu sehen – genauso wenig wie das Gemütliche, das man den Heidenheimern zuvor noch generalisierend zuschreiben wollte.
"Let's get Brexit done, send Chelsea home tonight", lautet die klare Ansage der Fans bei der Choreografie. Und dann wird es laut an diesem doch besonderen Abend an der Ostalb, lauter als bei vielen Bundesligisten, die in dieser Hinsicht etwas auf sich halten.
Auch auf dem Platz stellt sich heraus: Der 1. FC Heidenheim und der FC Chelsea, das sind an diesem Abend tatsächlich zwei Klubs auf gleichem Niveau. Auch wenn die Heidenheimer das Spiel – der Aufstellung nach zu urteilen – deutlich ernster nehmen als ihr Gegner – Christopher Nkunku und Jadon Sancho sind Namen, die einem in Deutschland noch am ehesten bekannt sind. Der portugiesische Superstar Joao Felix kommt erst nach einer guten Stunde aufs Feld.
Viele Chancen gibt es aber auch auf der anderen Seite: Chelseas Pokaltorwart Filip Jörgensen muss nicht nur einmal gegen die mutig aufspielende Offensive der Heimmannschaft retten. Die umtriebigen Offensivkräfte Paul Wanner, Mikkel Kaufmann und Leonardo Scienza verpassen in der ersten Hälfte Chancen auf die Führung. Kurz nach der Halbzeit bekommt der Abend einen Dämpfer, als Nkunku Chelsea mit 1:0 in Führung bringt.
Mudryk beendet Heidenheimer Träume
Doch Heidenheim fängt sich schnell – erneut haben Scienza und Wanner den Ausgleich mehrmals auf dem Fuss, der eingewechselte Breunig erzielt gar zwei Abseitstore. Die Hoffnung auf einen Coup ist im Stadion zu spüren – bis Mikhaylo Mudryk, einer von Boehlys Zig-Millionen-Neuzugängen, mit dem 2:0 jegliche Hoffnungen für Heidenheim begräbt. Ein Punkt gegen den Conference-League-Krösus, vielleicht wäre das dann doch ein bisschen zu viel Märchen gewesen.
"Am Ende hat der eine 100, der andere 80 Millionen Euro Ablöse gekostet, der die Tore gemacht hat", weiss auch Trainer Frank Schmidt nach dem Spiel, der Stolz auf seine Mannschaft überwiegt. Denn was das Team an diesem Abend bewiesen hat: Der FCH ist auch auf der nächsten Ebene des Fussballs angekommen. London und Heidenheim sind fussballerisch gerade nicht mehr so weit entfernt, wie man denkt.
Eine Stunde nach Schlusspfiff ist es in Heidenheim schon wieder erstaunlich ruhig. Auf den FCH wartet am Sonntag nun wieder der Bundesliga-Alltag. Mit Eintracht Frankfurt, dem FC Bayern München und dem VfB Stuttgart warten vor Weihnachten noch herausfordernde Partien, der Relegationsplatz ist nur noch zwei Punkte entfernt. Aber Alltag, das können sie in Heidenheim. Jetzt nur nicht übermütig werden.
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